Das deutsche Kino kann mehr, als ihr ihm zutraut

17.08.2017 - 10:40 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Hin und WegMajestic Filmverleih
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Ihr findet deutsche Filme uncool, weil ihr keine seichten Komödien sehen wollt und genug von Til Schweiger habt? In diesem Artikel zeige ich euch, dass der deutsche Film mehr zu bieten hat, als die Oberfläche vermuten lässt.

Die heimische Filmlandschaft lässt viele deutsche Zuschauer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Deutsche Komödien wie Männerherzen oder Traumfrauen fluten die Kinosäle und scheinen bei ihrem Klischee-Ausgeschlachte ganz vergessen zu haben, worum es beim Filmemachen eigentlich geht. Wenig Achtung erhält der deutsche Film zumindest bei regelmäßigen Kinogängern, die beispielsweise bei der Sneak-Preview aufstöhnen, sobald sie in den ersten Sekunden ein deutsches Produktionslogo erhaschen. Aber gibt es so etwas wie den deutschen Film? Und warum ist sein Ruf so schlecht? Abgesehen von Til Schweiger und den üblichen Verdächtigen hält die deutsche Kinolandschaft nämlich einige schöne Filme für Freunde von Arthouse-Kost bereit, wie die Kinostarts in diesem Jahr zeigen. Erst letzte Woche startete mit Die Hannas eine unkonventionelle Tragikomödie aus deutschem Hause in den Lichtspielhäusern. In meinem Artikel möchte ich euch anhand von drei Filmen das deutsche Arthouse-Kino beispielhaft näherbringen.

Die hier vorgestellten Filme werden einer Darstellung eines umfangreichen Bildes der Kinolandschaft in Deutschland freilich nicht gerecht. Zu viele Filme gehen zudem in der Masse der Hollywood-Produktionen verloren und viele von euch haben vielleicht gar keinen regelmäßigen Zugang zu Programmkinos, was das Entdecken dieser "nischigen" Filme natürlich zusätzlich erschwert. Dass die drei Beispielfilme relativ aktuell sind, war mir allerdings wichtig, denn deutsche Klassiker wie Lola rennt und Schtonk!, der Aufreger Victoria und Oscar-Anwärter Toni Erdmann dürften einigen schon bekannt sein.

Love Steaks

Verrückt, verrückter, Love Steaks

2013 erschien Love Steaks, der zweite Spielfilm des Regisseurs Jakob Lass. Der Filmstudent der HFF Potsdam produzierte sein Drama ohne Fördergelder. Damit handelt es sich um einen waschechten Independent-Film, wie er aufgrund des staatlichen Fördersystems in Deutschland nur selten zu sehen ist. So unüblich wie seine Entstehungsgeschichte war auch die Vorgehensweise beim Dreh. Die Szenen wurden nicht nach einem festen Drehbuch gedreht, sondern entstanden durch die Improvisation der Hauptdarsteller. Lana Cooper und Franz Rogowski raufen, jagen und lecken sich als ungewöhnliches Liebespaar durch den Film. Gemeinsam arbeiten sie in einem Wellness-Hotel an der Ostsee. Sie ist dort Köchin und hat ein Alkoholproblem, während er der neue Masseur ist, der aufgrund seines Aussehens ein wenig verklemmt ist.

Der Film hat etwas unglaublich Authentisches, Rohes an sich, so dass manche Szenen sehr schwer anzusehen sind. Die Geschichte per se ist zwar nicht gerade langweilig, hätte aber komplett konventionell inszeniert werden können. Und das ist es doch, was Filme ausmacht: Wie sie etwas erzählen und nicht zwingend, was. Für viele Kritiker war dieses Werk des jungen Filmemachers eine regelrechte Offenbarung. Sie sehen in Lass einen Hoffnungsträger des deutschen Kinos, der dieses Jahr nach den Regeln seines FOGMA-Manifests  auch seinen dritten Spielfilm Tiger Girl in die Kinos brachte. Der Spiegel  schrieb über Love Steaks: "Love Steaks ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Filmlandschaft, ein aufregender und witziger Film, einer, der ebenso kunstvoll wie realitätsgesättigt ist [...]." Für diese Art des experimentellen Improvisationskinos hat sich inzwischen der Begriff German Mumblecore entwickelt, der heruntergebrochen für aufrüttelndes, schauspieler-fokussiertes deutsches Kino steht. Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel, Dicke Mädchen, Ich fühl mich Disco und Familienfieber sind weitere Empfehlungen aus dieser Strömung.

Hin und weg

Hin und weg von Hin und weg

Hin und weg bewegt sich in der Mitte von konventionellem deutschen Film und ausgefallenem German Mumblecore. Die Tragikomödie aus dem Jahr 2014 dreht sich um den jungen Mann Hannes (Florian David Fitz), der an der Nervenerkrankung ALS leidet. Er hält die Krankheit vor seinen Freunden geheim, mit denen er seine traditionelle jährliche Radtour antritt. Doch dann offenbart er der Truppe auf der Tour durch Belgien sein Geheimnis und seine radikale Entscheidung, dort Sterbehilfe anzumelden. Der Regisseur Christian Zübert sollte in Deutschland ein Begriff sein; zumindest hat es sich der Filmemacher redlich verdient. Er steckt auch hinter den Filmen Lammbock - Alles in Handarbeit, Dreiviertelmond und Der Schatz der weißen Falken, die jede Menge Preise abräumten.

In Hin und Weg ist es wieder die Authentizität, die überzeugt. Der Film drückt nicht zu sehr auf die Tränendrüse und präsentiert sich angenehm nüchtern und sehr realistisch. Viele Szenen wirken wie aus den Leben gegriffen, oft versteht man Sätze nicht oder die Menschen reden durcheinander. Hier ist ein einfühlsamer und respektvoller Film über den Umgang mit dem Tod entstanden. Wir sehen einen deutschen Film mit bekannten deutschen Darstellern wie Hannelore Elsner, Jürgen Vogel, Florian David Fitz und Julia Koschitz nach einem festen Drehbuch. Und "trotzdem" (denn das scheint der allgemeine Konsens zu sein) ist ein absolut empfehlenswerter Film entstanden, der mehr Zuschauer verdient hätte.

4 Könige

4 Könige, die es mir angetan haben

2015 kam mit 4 Könige der erste Film der Regisseurin Theresa von Eltz in die deutschen Kinos. Dabei handelt es sich um einen unkonventionellen Weihnachtsfilm, der vier Jugendliche in der Psychiatrie an Heiligabend begleitet. Das zarte Jugenddrama ist ein kreativer und einfühlsamer Film, der nicht so brutal wie beispielsweise Love Steaks daherkommt. Genauso wie in den anderen Beispielen liegt der Fokus ganz auf dem Spiel der Protagonisten. Die jungen Darsteller bekamen einen Schauspiel-Coach zur Seite gestellt, der ihnen half, komplett in den Rollen aufzugehen. 4 Könige ist in vielen Momenten ein Kammerspiel mit sehr einprägsamen, befreienden und auch lustigen Situationen. Der Film gewann - ebenso wie Love Steaks und Hin und weg - zahlreiche Preise. Die weiblich dominierte Produktion (Drehbuch, Schnitt und Regie) zeigt außerdem einen Trend im deutschen Kino auf, der Ansätze über Frauenquoten in der deutschen Filmbranche fast überflüssig werden lässt - zumindest im Bereich des Arthouse. Maren Ade, Nicolette Krebitz, Doris Dörrie, Margarethe von Trotta, Hermine Huntgeburth, Caroline Link und Maria Schrader sind alle aktuell im Filmgeschäft aktiv.

Ohne Übertreibung könnte ich diese Liste eine gutes Stück weiter fortführen. Jedes Jahr kommen kreative, mutige und unkonventionelle deutsche Filme in die Kinos, die nicht die Zuschauerzahl bekommen, die sie verdient haben. Das liegt an verschiedenen Faktoren. Nicht jeder hat ein Arthouse-Kino um die Ecke, vielen sind die Filme zu kunstvoll und das Filmförderungssystem in Deutschland stellt vielen guten Ideen von Anfang an ein Bein. So oder so - der deutsche Film ist meiner Meinung nach unterschätzt. Deswegen lautet meine Bitte an euch: Lasst Til Schweiger links liegen und begebt euch auf die spannende Schatzsuche nach dem deutschen Arthouse-Film. In nächster Zeit könnt ihr schon mal mit den Filmen Die Hannas, Hard & Ugly - Eine Liebesgeschichte und Western anfangen, die alle dieses Jahr noch in den Kinos starten werden. Viel (deutsches) Kinovergnügen!

Was haltet ihr vom deutschen Arthouse-Kino?

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