24 Jahre sind eine lange Zeit. Seit dem Kinostart von Der Schuh des Manitu 2001 hat die Frage, worüber man lachen darf, neue Antworten bekommen. Und die alten gehören für viele in die Mottenkiste: Queere und indigene Menschen etwa wollen es nicht länger akzeptieren, als schwule "Indianer"-Karikatur Winnetouch auf der Leinwand verunglimpft zu werden. Und das ist auch richtig so.
Macht Das Kanu des Manitu, der am 14. August 2025 im Kino angelaufen ist, in dieser Hinsicht große neue Schritte? Bedient er sich bei einem politisch korrekteren Humor? Mit Blick auf den Umgang mit indigenen Menschen verblüfft der Film jedenfalls mit einer Szene, die zeigt: Regisseur Michael "Bully" Herbig weiß, wie viel Zeit vergangen ist. Und muss nicht gegen die angeblich so pingelige und humorfeindliche Welt von 2025 wettern, wie es etwa Thomas Gottschalk tut.
Vorsicht, Spoiler: Um welche Kanu des Manitu-Szene geht es?
Am Ende von Das Kanu des Manitu kommt heraus: Abahachi und Winnetou (beide von Bully Herbig gespielt) haben keine echten indigenen Wurzeln. Ihre europäischen Eltern wurden von Santa Maria (Sky du Mont) attackiert, die Apachen kamen ihren kleinen Söhnen zur Hilfe und zogen sie auf. Die meisten von ihnen haben vergessen, dass ihr Häuptling Abahachi eigentlich gar nicht zu ihnen gehört. Und bei ihnen entschuldigt sich Herbigs Figur in einer rührenden Szene.
Schaut euch hier den Trailer zu Das Kanu des Manitu an:
Er enthüllt ihnen seine wahre Herkunft und bittet sie für die Lügen um Verzeihung. Er betont, dass er zu ihnen habe gehören wollen, seit er denken könne. Und dass er auch weiterhin an ihrer Seite stehen möchte.
Die indigenen Menschen vor ihm, die im Film tatsächlich von Native Americans gespielt werden, schweigen einen Augenblick. Dann tritt einer vor und erklärt, man habe schon lange von Abahachis wahren Wurzeln gewusst und ihn nie darauf angesprochen, um seine Gefühle nicht zu verletzen.
Doch viel wichtiger sei die geistige Verbundenheit zum Apachenstamm, die Solidarität mit seinen Brüdern und Schwestern, die Akzeptanz gemeinsamer Werte. Mit anderen Worten: es sei der innere "Indianer", auf den es ankomme. Glücklich fallen sich Abahachi und seine Wahlfamilie in die Arme.
Die rührendste Szene in Das Kanu des Manitu ist zugleich die kontroverseste
Für die einen ist diese Szene rührend, für die anderen beschämend. Die einen loben, dass sich hier über ethnische Grenzen hinweg Menschen die Hand reichen. Dass sie sich entscheiden können, sich nicht von äußerlichen Merkmalen trennen zu lassen und ihr Glück zu teilen.
Die anderen werden die Szene als bestenfalls naive Schönrederei verurteilen: Ethnische Wurzeln lassen sich nicht durch Leidenschaft und Hingabe ersetzen. Mit verschiedenen Wurzeln sind verschiedene Privilegien und zum Teil erhebliche Leiden und Grausamkeiten verbunden.
Deswegen gibt es Begriffe wie kulturelle Aneignung, deswegen wird das sogenannte Blackface verurteilt: Weil es die Geschichte wegwischt und im schlimmsten Fall ganze Kulturen zu Karikaturen degradiert. Hätte der berühmte Bürgerrechtler Martin Luther King, der von Sklaven abstammte, gesagt: "Man ist immer so schwarz, wie man sich fühlt"?
Die Kanu des Manitu-Szene des Manitu ist eine unbeholfene Liebeserklärung
Bullys Szene hat also ihre Schwächen. Auf einer Metaebene adressiert sie das sogenannte Redface, bei dem weiße Darsteller:innen indigene Menschen verkörpern, und das genau wie das verwandte Blackface mittlerweile von vielen verurteilt wird. Sie tritt mit einer unbeholfenen Haltung ins Fettnäpfchen, die sagt: Die innere Einstellung veredelt jeden Spott und überwindet alle Grenzen. Eine Haltung, die Bully als Autor auch seinen indigenen Schauspieler:innen in den Mund legt.
Für manche ist allein dieser Gestus schon unmöglich. Aber was die ganze Szene so sympathisch und rührend macht, ist die Hilflosigkeit von Bullys Figur: Abahachi bittet um Verzeihung. Er entblößt seinen Kindheitstraum, seinen Wunsch, als Apache zu gelten. Er hat alles zu verlieren in diesem Moment. Er, der eigentlich privilegierte Weiße, beugt sich dem Urteil der Indigenen. Sie halten sein Herz in ihren Händen.
Und wenn Michael Bully Herbig mit dieser Szene tatsächlich die schäumende Diskussion um kulturelle Aneignung und indigene Kulturen adressiert, spricht aus Abahachis Mund auch er selbst. Bully wollte immer ein "Indianer" sein. Nicht, um zu spotten und zu verunglimpfen, sondern aus kindlicher Bewunderung heraus. Er hat kein Recht, zu bitten. Aber er bittet dennoch, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.
Vielleicht liest man damit zu viel in eine Szene hinein, die in anderen Fällen nur ein simpler dramaturgischer Twist sein könnte. Aber was wäre die Alternative? Die allgegenwärtige Diskussion um Politik und Humor ignorieren und glauben, dass ausgerechnet Das Kanu des Manitu, das Sequel zum erfolgreichsten deutschen Film seit Beginn der Zählung, nichts zu diesem Thema zu sagen hat? Ein Film, bei dem sich seit seiner ersten Ankündigung die gesamte deutsche Öffentlichkeit mitsamt Feuilleton eine Frage gestellt hat: "Darf man heute noch 'Indianer' sagen?"
Auch wenn Bully Herbig den Meta-Gehalt der Szene im Spiegel -Interview herunterspielt: Ihn zu leugnen, wäre absurd. Der Hauptdarsteller wendet sich hier, sogar durch die Kameraperspektive, direkt an den Zuschauer und sagt: "Ich habe Apachen immer bewundert. Ich stehe hier und kann nicht anders." Die hilflose Äußerung des kindlichen Wunsches hat eine Unangreifbarkeit, die die Szene rührend macht.
Thomas Gottschalk hätte eine solche Szene nie gedreht
Auch wenn der Twist politisch unbeholfen daherkommt: Die Existenz der Szene allein ist ein Schritt in Richtung Selbstreflektion und Offenheit. Sie beweist, dass sich Bully der heftigen Diskussionen um Humor, Politik und ausgegrenzte Minderheiten bewusst ist. Und sich nicht gegen sie sperrt.
Das ist mehr, als man über viele andere deutsche Entertainer seines Kalibers sagen kann. Thomas Gottschalk kündigte 2024 in unversöhnlicher Art seinen Abschied von der TV-Bühne an. Er fiel zuletzt immer wieder mit Negativ-Schlagzeilen auf, die auf seinen Umgang mit weiblichen Gästen, gendergerechter Sprache oder Körpernormen abzielten. Oliver Pocher, ebenfalls kein kleiner Name im deutschen TV, tobte gegen Gottschalks Kritiker. "Die sollen sich alle mal f*cken und die Fresse halten", forderte der Moderator. Und stellte fest: "Man kann und darf einfach alles sagen."
Vielleicht hat deswegen Bullys Haltung in der Kanu des Manitu-Szene unsere Sympathie verdient: Nicht, weil sie in der politischen Diskussion um Humor alles richtig macht. Sondern weil sie die hasserfüllte Polemik durch einen demütigen Gestus ersetzt. Ob man diesen Gestus akzeptieren kann, bleibt allen Zuschauerinnen und Zuschauern selbst überlassen.