Lieber Herr Wim Wenders,

heute haben Sie also das Rentenalter erreicht, was Sie jedoch noch lange nicht dazu bewegen sollte, die Stiefel an den Nagel zu hängen. Aber so wie wir Sie und Ihre Leidenschaft für die Kunst und den Film kennen, haben Sie das auch gar nicht vor. In all den Jahrzehnten seit ihrem Kinodebüt Summer in the City im Jahre 1970 haben Sie eindrucksvoll bewiesen, dass Sie ein Kind des Kinos sind und ihre Filme in erster Linie nicht für uns Zuschauer inszenieren, sondern um ihrer eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen und sich damit der Welt mitzuteilen.

Dabei sind Sie oft einen sehr eigenwilligen Weg gegangen, mit dem das breite Publikum und zeitweise auch ihre Fans nicht so richtig etwas anfangen konnten, experimentierten mit vielen unterschiedlichen Filmstilen und Genres. Nicht immer waren ihre kreativen Ergüsse von Erfolg gekrönt, aber der unverkennbare Stil des einmaligen Wim Wenders war bei all Ihren Filmen stets erkennbar. Wie viele Regisseure in der heutigen Filmwelt können das noch von sich behaupten? Wir müssen aber auch zugeben, dass Sie sich diese Freiheit durch ihre vielen Erfolge und unzähligen Filmpreise und sonstigen Auszeichnungen selbst erarbeitet haben, womit Sie deutlich aus der Masse der internationalen Filmemacher herausstechen.

Mit Ihrem Gespür für magische Bilder, intensive Musik und sehr viel Zeit in Ihren Inszenierungen sorgten Sie, Wim Wenders, für einige der größten Meilensteine der internationalen Filmgeschichte. Aus den bisher über 40 Werken Ihrer langen Karriere gefallen besonders die Road Movies aus Ihrer Anfangszeit, in denen sich rastlose und melancholische Helden auf Odysseen mit ungewissem Ausgang begeben und dabei selten vom Glück begleitet werden. Sie beleuchteten das Ruhrgebiet in Alice in den Städten, entdeckten das Rheinland in Falsche Bewegung und ließen ihre Figuren in Im Lauf der Zeit die ostdeutsche Zonengrenze erkunden. Mit diesen Meisterwerken prägten Sie, Wim Wenders, neben Ihren prominenten Kollegen Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Werner Herzog den Neuen Deutschen Film, was Sie auf nationaler Ebene bereits in Ihrer Anfangszeit zu großem Ansehen verhalf.

Der internationale Durchbruch sollte Ihnen dann mit Ihren amerikanischen Kollaborationen beschienen sein. Sie nahmen sich den Roman Der amerikanische Freund von Patricia Highsmith zur Brust und machten Dennis Hopper und eine ganze Reihe weiterer Regie-Kollegen zu den Schurken in diesem intensiv erzählten und dramatischen Thriller, der den Namen Wim Wenders auch über dem großen Teich bekannt machte. Sie gründeten mit der Road Movies Filmproduktion Ihre eigene Produktionsfirma, was Ihnen zunächst eine gewisse Unabhängnigkeit garantierte, aber sie nicht vor Konflikten mit den Studios bewahrte. Das mussten Sie schmerzhaft beim Biopic Hammett über den großen Krimiautor Dashiell Hammett erfahren, bei dem Sie sich mit den Zoetrope Studios uneins über das Drehbuch und die Besetzung waren. Dies Erfahrungen verarbeiteten Sie sehr anschaulich im dokumentarisch angehauchten Drama Der Stand der Dinge, das von den Schwierigkeiten des Filmemachens handelte.

Ihre eindrucksvollsten Arbeiten sollten aber noch vor Ihnen liegen. Mit dem legendären Road Movie Paris, Texas kehrten Sie zu Ihren Wurzeln zurück und schufen in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Autor Sam Shepard eines der schönsten und poetischsten Meisterwerke des internationalen Autorenkinos, das die Goldene Palme in Cannes gewinnen konnte und auch beim Publikum überwältigenden Anklang fand. Zurück in Deutschland ließen Sie drei Jahre später den nächsten Meilenstein folgen. Mit Der Himmel über Berlin schufen Sie eine poesievolle und wunderbare Liebeserklärung an die damals noch geteilte Stadt und das Leben an sich. Die Fortsetzung In weiter Ferne, so nah!, die Sie einige Jahre später folgen ließen, konnte zwar ebenfalls überzeugen, aber eigentlich hätten Sie sich eine Fortführung der Geschichte sparen können, Herr Wim Wenders. Der Himmel über Berlin steht für sich alleine sehr gut da.

Leider konnten sie seitdem nicht mehr an Ihre ganz großen Erfolge anknüpfen, weder mit dem ambitionierten Sci-Fi-Drama Bis ans Ende der Welt (Haben Sie wirklich 15 Jahre gebraucht, um den Film fertig zu stellen?) noch mit Ihren jüngsten Filmen Land of Plenty, Don’t Come Knocking oder Palermo Shooting. Vielleicht war es auch nicht die beste Idee, den Sänger Campino in der Hauptrolle zu besetzen, obwohl Sie als langjähriger Fan der Toten Hosen gelten. Wir müssen aber auch zugeben, dass Sie die Messlatte mit Paris, Texas und Der Himmel über Berlin sehr hoch gelegt haben und ein Vergleich mit jedem Ihrer neu erscheinenden Filme deshalb von vornherein unfair ist.

Wir hoffen, dass Sie sich auch weiterhin Ihre Kreativität bewahren und uns in Zukunft noch mit dem ein oder anderen Alterswerk beglücken werden. Die Jugend kann von Ihrem reichen Erfahrungsschatz und Ihren vielseitigen Kenntnissen nur profitieren, die Sie Ihnen an diversen Hochschulen vermitteln. Dadurch tragen Sie auch dazu bei, den deutschen Film weiter in die richtige Richtung zu leiten, wie Sie es schon in Ihren Anfangszeiten getan haben. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, Herr Wim Wenders, alles Gute zu Ihrem 65. Wiegenfeste.

Ihr moviepilot-Team

Das wahre Paris liegt in Texas

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