David Cronenberg – ambitioniert & eigenwillig

15.03.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Naked Lunch
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70 Jahre wird der Meister des Body Horrors heute und auch wenn er für einige Fans im Alter etwas zu ruhig geworden sein mag, ist das Kino des David Cronenberg in seiner Ambition und Konsequenz immer noch einzigartig.

Radikale Bilder, die im Gedächtnis hängen bleiben: ein Mann, dem der Schädel platzt; das Fliegenmonster; sexsüchtige Unfall-Fetischisten; ein penisartiges, blutsaugendes Organ in der Achselhöhle; im menschlichen Bauch verschwindende Videokassetten; ein sprechender Käfer, der brutale Todeskampf des nackten Viggo Mortensen in der Sauna; ein externer Uterus. Das sind lose Szenen aus den Filmen des David Cronenberg, dem Erfinder und ungekrönten Meister des Body Horrors, und sie bleiben in Erinnerung. Für Martin Scorsese waren die Filme des David Cronenberg ein Jungscher Kulturschock. Weiter sagt er: “Ein Jahr später spukte mir der Film immer noch im Kopf herum. Ich habe es bis heute nicht geschafft, mich richtig von ihm freizumachen. Die letzte Szene aus Parasiten-Mörder, wenn sie sich alle auf den Weg machen, um die ganze Welt mit sexueller Dementia zu infizieren, sitzt mir heute noch in den Knochen. Das ist ein vollkommen schockierendes, subversives und surrealistisches Ende – und wahrscheinlich eines, das wir alle verdienen.” So manchem Zuschauer mag es ähnlich ergehen: Bilder aus David Cronenberg-Filmen lassen sich nicht einfach so in hinteren Gehirnzellen verstecken.

David Cronenberg überführt seit nunmehr 40 Jahren den Horror in eine erwachsene Kunst. Seine Karriere beginnt der ehemalige Biologie-Student mit Filmen, die im Grenzbereich von Horror und Science Fiction angelegt sind. Ganz in der Tradition einer Ästhetik des Fantastischen verhaftet, bietet er zu Beginn seiner Laufbahn mit Die Brut, Shivers, Scanners oder Videodrome nicht nur Angst-Bilder, sondern auch Gesellschaftskritik. Er ist nicht ein weiterer junger Regie-Wilder, der die Oberfläche der Gewalt genüsslich aufbereitet, vielmehr präsentiert er uns über die Jahre obsessiv und eigenwillig radikale Bilder im Spannungsfeld von Wissenschaft / Technik / Moderne und Körper / Organismus / Fleisch. Der menschliche Körper bringt seine eigene Vernichtung hervor, ist eines seiner Credos, sei es als geschiedene Ehefrau, die ihre Kinder nun in einer externen Gebärmutter zur Welt bringt (Die Brut) oder als Überlebender eines Autounfalls, der das zerstörte Objekt noch mehr begehrt (Crash).

Mehr: Werkschau: David Cronenberg – Meister des Body Horrors

Das Böse und die Lust, Sexualität und Infektion, Begehren und Zerstörung, Verwesung, ein neuer Mensch: Das sind einige der großen Themen im Cronenbergschen Universum. Distanziert und mit fast wissenschaftlicher Präzision protokolliert er seine Film-Fälle. Sie sind im Gegensatz zu vielen klassischen Genrefilmen nicht Experimente, die fehlgeschlagen sind. Vielmehr ist bereits alles Böse als Anlage vorhanden und wir passen uns nur den veränderten Bedingungen an. Das Video wird zur Droge (Videodrome), genauso wie der Verkehrsunfall (Crash). Realität und Illusion verschwimmen beim Spiel (eXistenZ) oder im Leben (M. Butterfly).

Der kanadische Filmemacher wird immer ein Grenzgänger bleiben. Er verbindet Splatter- mit Kunstkino, radikale Horrorbilder mit Medienkritik, Pornographie mit Reflexionen über die Perversion der Lust. Auch seine vermeintlich schwächeren Filme laden immer dazu ein, über das Organische, den Körper und seine Fehlfunktionen zu sinnieren. Manchen mag die visuelle und intellektuelle Auflösung, die David Cronenberg liefert, zu pessimistisch, gar reaktionär erscheinen, aber seine Filme präsentieren uns einen Horror, der aus dem Inneren des Körpers kommt, der leidet, der schmerzt, der aufschreit und seine eigenen Wege geht. Fast nie gibt es in seinen Filmen jemand, der wirklich böse ist. Vielmehr ist es meist menschliches Versagen, das zu unkontrollierten Konsequenzen führt und die mühsamen Anstrengungen, die Lage unter Kontrolle zu bringen, verschlimmern nur alles. Der Filmemacher steigert damit natürlich die genretypische Angst, aber er schafft eher Mitleid, statt Abscheu zu generieren. Eine distanzlose Perspektive scheint unmöglich. Das macht seine Filme für viele Zuschauer so unerträglich, für andere so sehenswert.

Mit dem Alter wird der Regisseur ruhiger, ohne allerdings seine Prämissen aufzugeben. Sein Weg entwickelt sich vom Schock-Horror hin zu dem eines Regisseurs, der psychologische Aspekte seiner Figuren beleuchtet und dabei gleichzeitig einen subtilen, schleichenden Horror kreiert. Effizient, konsequent und stilbewusst übersetzt er in Tödliche Versprechen – Eastern Promises und A History of Violence klassische Genre-Formeln in den Mainstream. Dabei präsentiert er uns weiterhin seine skeptisch-existenzialistische Weltanschauung, die er mit seinem langjährigen Kameramann Peter Suschitzky in düstere Neo Noir-Bilder taucht. David Cronenberg ist ein eigenwilliger Filmemacher, auch mit 70 Jahren. Gratulation!

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