Selten kommen neue Kinofilme mit derart episch aufgeladener Wucht daher wie Der Brutalist. In seinem neuen Werk erzählt der ehemalige Schauspieler Brady Corbet eine ebenso vielschichtige wie turbulente Lebensgeschichte, verdichtet zu gewaltigen 215 Minuten Laufzeit – inklusive einer 15-minütigen Pause in der Mitte.
Entstanden ist ein intensives Filmerlebnis, so reich an Themen, Gefühlsschwankungen und bildgewaltigen Eindrücken, dass die Länge fast kompakt wirkt. Auf der großen Leinwand solltet ihr euch Der Brutalist, der mein persönlicher Favorit unter den diesjährigen Oscar-Nominierungen als Bester Film ist, auf keinen Fall entgehen lassen.
Oscar-Highlight Der Brutalist lässt Holocaust-Trauma auf den amerikanischen Traum prallen
In Corbets Film spielt Adrien Brody (Der Pianist) den ungarischen Architekten László Tóth, der als jüdischer Holocaust-Überlebender im New York des Jahres 1947 ankommt. Seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) musste er zurücklassen. Zunächst kommt er bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) unter, der ein Möbelgeschäft betreibt. Nach einem Job für den Sohn des wohlhabenden Tycoons Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), der seinem Vater eine moderne Bibliothek bauen lässt, soll László für den Geschäftsmann ein komplettes Kulturzentrum aus mehreren Räumlichkeiten entwerfen.
Schaut hier noch einen deutschen Trailer zu Der Brutalist:
In der ersten Hälfte breitet Der Brutalist ausschweifend ein ganzes Füllhorn an Themen aus. Corbet nimmt sich viel Zeit, um die Hauptfigur als gequälte Künstlerseele zu zeichnen, die als Immigrant in einem fremden Land und durch eingebrannte Erinnerungen an den Massenmord seines eigenen Volks mit sich ringt.
Nachdem László Demütigung und Armut erfährt, kommt Van Buren wie ein charmanter Erlöser daher. Brillant spielt Guy Pearce ihn gleichzeitig als gewieften Unterdrücker und Teufel des Kapitalismus, der zu jeder Zeit genau weiß, dass er den verzweifelten Architekten in seiner Hand hat.
Wie sich Brody und Pearce in ihren gegensätzlichen Rollen hier langsam duellieren, ist für sich schon eine schauspielerische Urgewalt, die mich beim Schauen an moderne Meisterwerke wie Paul Thomas Andersons There Will Be Blood und The Master erinnert hat. Darin treffen ebenfalls solch gegensätzliche Figuren in unterschiedlichen Machtverhältnissen aufeinander.
Die inszenatorische Wucht von Der Brutalist durchbricht kleine Schwächen des Drehbuchs
Wer von Titel und Thema des Films abgeschreckt wird, den kann ich beruhigen: Ihr braucht keine tieferen Kenntnisse über Architektur oder konkret den Baustil des Brutalismus, um von Corbets Film mitgerissen zu werden.
Der Brutalist ist vielmehr ein klassisches, amerikanisches Epos, das mit gigantischen Bildern durch beeindruckende Landschaften und imposante Kunstwerke führt. Noch imposanter sind aber die Charakterporträts und Abdrücke vielschichtiger Persönlichkeiten, die der Regisseur hier errichtet.
Auch wenn der Film in der zweiten Hälfte nach der Intermission manchmal etwas zu plump darauf setzt, Botschaften einzuhämmern, bleibt die hypnotische Strahlkraft von Corbets Regiestil und das packende Schauspiel fast aller Beteiligten ungebrochen.
Am Ende, nachdem Der Brutalist im Epilog nochmal einen völlig überraschenden Weg eingeschlagen hat, werden euch die gut dreieinhalb Stunden Laufzeit wahrscheinlich kaum länger als viele 2- bis 2,5-Stunden-Filme vorgekommen sein.
Fordernd, aber nie überfordernd denkt der Regisseur in seinem Film darüber nach, wie niederschmetternd es sich anfühlt, fernab von seiner Heimat niemals wirklich irgendwo anzukommen und vor allem angenommen zu werden. Wie Kunst durch persönlichen Schmerz geformt wird, aber auch, wie negative Gefühle endlos darin widergespiegelt werden. Und ob Talent aufblühen kann, wenn es vom System nur gefördert wird, um irgendwann ausgesaugt oder zerschmettert zu werden.
Der Brutalist läuft ab sofort in den deutschen Kinos.