Der Heiland 2.0 in Serial Experiments Lain

21.05.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Der Netzweltmessias ist ein Mädchen in Serial Experiments Lain
SPVision
Der Netzweltmessias ist ein Mädchen in Serial Experiments Lain
Zum zweiten Mal in Folge darf ich euch eine meiner Lieblingsserien vorstellen, der eigentlich eher eine Doktorarbeit gewidmet werden müsste. Auch im Anime Serial Experiments Lain geht es dieses Mal wieder äußerst philosophisch zu.

Nachdem ich euch letzte Woche mein Herz für Serie bezüglich Neon Genesis Evangelion ausgeschüttet habe, setze ich heute mit Serial Experiments: Lain noch eins drauf, was verkopfte Animeserien angeht, die einem die Hirnlappen frittieren. Stellt euch das erwähnte Evangelion vor, nur ohne die bunte Farbpalette, ohne Action und ohne den schon in EVA sparsam eingebauten Comic-relief. Was übrig bleibt, ist die minimalistische, 13-teilige Passion des Internetmessias, der sich in diesem Fall als verstörtes Schulmädchen entpuppt. Auch hier erhält man einen regelrechten Crashkurs in Philosophie, diesmal gespickt mit Existentialismus á la Descartes (Ich denke also, bin ich eine Trickfilmfigur) und einem großen Batzen Kommunikationstheorie. Serial Experiments Lain benutzt dabei keine Riesenroboter als Story-Vehikel, sondern vielmehr Elemente des Cyberpunk, weshalb ihr eine Menge Standbilder von Kabeln und Strommasten zu sehen bekommt, ehe die Serie in ihrem transzendentalen Finale mündet.

Present day, present time
Die Serie beginnt mit dem befremdlich-euphorischen Suizid eines Schulmädchens, dessen Klassenkameradinnen bald darauf eine E-Mail von der Toten erhalten. Dass Tote weder Karos tragen noch elektronische Post verschicken sollten, ist allen klar, das Mädchen versichert jedoch, es habe lediglich seinen Körper aufgegeben. Dies veranlasst Lain Iwakura, die sich bisher kaum für Technologie begeistern konnte, ihren Computer auf den neusten Stand zu bringen und in die Welt des Netzes einzutauchen, wo laut der Verstorbenen auch Gott existieren soll. Immer tiefer im Cyberspace versinkend, werden bald Fragen zu den Grenzen zwischen Realität und Virtualität sowie der eigenen Identität aufgeworfen. Dies ist nicht unbedingt auf konkreter Ebene wie in Matrix – du bist wach oder nicht – zu verstehen, sondern geht in Richtung von Jean Baudrillards abstrakterem Konzept des Simulacrums.

What isn’t remembered never happened
Der Vorspann versichert höhnisch, dass es sich beim Setting um das Hier und Heute handelt, doch nicht alles ist, wie wir es kennen: Die Computer werden NAVI genannt, das Internet als WIRED bezeichnet und trotz erkennbarem Einfluss, den ältere Modelle einer gewissen Computerfirma mit Obst drauf auf das Design der Geräte hatten, spielt die Kommunikation über das Netz in dieser Welt bereits eine zentralere Rolle in der Gesellschaft. Fast schon prophetisch, bedenkt man das Erscheinungsjahr von 1998. Das Charakterdesign von Yoshitoshi ABe ist prägnant und eignet sich in seiner minimalistischen Weise hervorragend für eine TV-Serie mit begrenztem Animationsbudget, wie sein Design später auch in Haibane Renmei und Texhnolyze bewies. Begleitet werden die teils meditativen Bilder, die auch mal minutenlang ohne Dialog präsetiert werden, von einer Mischung aus elektronischer Geräuschkulisse und herrlich gegensätzlichem Gitarrenpop von Singer-Songwriter Nakaido “Chabo” Reichi, der auch den Song zum Abspann beisteuerte.

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