In Arthur Penns Krimi Die heiße Spur sagt der von Gene Hackman gespielte Privatdetektiv: "Ich war schon mal in einem Rohmer-Film. Es war, als würde man Farbe beim Trocknen zusehen." Auch wenn manche Menschen dieser Anspielung auf die Eintönigkeit im Werk des Nouvelle Vague-Vertreters Eric Rohmer (Claires Knie) zustimmen würden, ihre Meinung würde sich nach der Sichtung des Experimentalfilms Paint Drying vermutlich ändern.
Darin bekommt man nämlich genau das zu sehen: Weiße Farbe, die an einer Mauer trocknet. Und das ganze 10 Stunden und 7 Minuten lang! Verantwortlich für dieses ungewöhnliche Werk ist der britische Filmemacher Charlie Shackleton, der damit ein wichtiges Statement setzen wollte.
Langeweile als Protest: Paint Drying war ein filmischer Seitenhieb gegen britische Zensoren
Shackletons Idee zu dem unkonventionellen Projekt entstand 2015 aus der Frustration heraus. Denn um in Großbritannien einen Film veröffentlichen zu dürfen, muss dieser zuvor von der British Board of Film Classification (BBFC), dem Pendant zur deutschen FSK, auf jugendgefährdende Inhalte geprüft werden.
Und nicht nur das: Der oder die verantwortliche Filmemacher:in muss für diese Kontrolle auch selbst bezahlen. 2015 beliefen sich diese Kosten auf einmalig 101,50 britische Pfund (damals ca. 134 Euro) plus 7,09 Pfund (ca. 9,40 Euro) pro Filmminute.
Independent-Regisseur Shackleton, damals noch unter dem Namen Charlie Lyne aktiv, empfand nicht nur diese Gebühren für ungerechtfertigt, sondern auch das in seinen Augen oftmals übereifrige Zensurverhalten der Prüfstelle.
Aus Protest entwickelte er das Konzept von Paint Drying, natürlich mit dem Wissen, dass die BBFC dazu verpflichtet ist, jedes eingereichte Werk auch wirklich anzuschauen.
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Er stellte sein Projekt bei der Crowdfunding-Plattform Kickstarter vor und plante, die Länge seines Films von der gespendeten Summe abhängig zu machen. Letztendlich konnte er Geld für insgesamt 607 Minuten Filmmaterial sammeln, die er komplett abdrehte und schließlich bei der BBFC einreichte.
Den Vorschlag einiger Spender:innen, Shackleton solle heimlich irgendwo in seinem Film für eine Sekunde das Bild eines Penisses aufblitzen lassen (Fight Club lässt grüßen), lehnte er ab. Dies hätte die beabsichtigte Aussage von Paint Drying seiner Meinung nach nur torpediert, schreibt Dazed .
Doch sein Plan funktionierte: Die BBFC-Gutachter:innen sahen sich tatsächlich über 10 Stunden lang (aufgeteilt in zwei Sessions) trocknende Farbe an und verkündeten im Januar 2016 offiziell ihr wenig überraschendes Prüfungsurteil: "Keine Altersbeschränkung. Kein beleidigendes oder schädigendes Material."
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Paint Drying gibt es nirgendwo zu sehen, ist aber trotzdem ein Internet-Phänomen
Shackleton gab gegenüber Dazed übrigens zu, dass er seinen Anti-Film selbst niemals in voller Länge gesehen habe. Und auch für "Fans" existierten bislang kaum Möglichkeiten, das monotone Werk komplett zu sichten. Die erste und einzige öffentliche Vorführung fand erst im November 2023 statt, als Paint Drying für mehrere Tage in der Gallery of Modern Art im australischen Brisbane gezeigt wurde.
Obwohl ihn also bisher kaum jemand gesehen haben dürfte, hat der Film dennoch seine Spuren hinterlassen. Zwar änderte er nichts am Prozedere der BBFC, doch Tausende von Menschen nutzen die Letterboxd-Seite des Films mittlerweile als eine Art Tagebuch und äußern dort ihre persönlichen Gedanken, die nicht unbedingt immer etwas mit Shackletons 10-Stunden-Projekt zu tun haben. Auf gewisse Art und Weise ist sein Film damit für viele zu einem Kultwerk geworden.
Tatsächlich macht der Brite aber auch andere Filme. So feierte seine Doku Zodiac Killer Project auf dem Sundance Film Festival 2025 Premiere und wurde dort sogar mit dem NEXT Innovator Award ausgezeichnet.