The Birthday Massacre - Imagica (4-Track Demos 1998-2001)
Jahr: 2016
Genre: Synth-Rock, Dark Wave
Anspieltipps: The Birthday Massacre, Open Your Heart
Benannt nach ihrem ursprünglichen Bandnamen (den ich übrigens für den besseren halte) haben The Birthday Massacre kürzlich ein paar alte Demos rausgekramt und diese auf CD gepresst, bzw. zum Download veröffentlicht - ich habe freilich zu ersterem gegriffen. Auslöser war offenbar, dass einige davon bereits im Intenet kursierten und sich bei der kleinen aber treuen Fanbase der kanadischen Grusel-Synthies großer Beliebtheit erfreuen. 5 der 11 Songs des Albums gibt es in anderen Versionen auch auf späteren Veröffentlichungen zu hören, und obwohl die Melodien und Texte gleich klingen, haben manche davon ein ganz anderes Gewand. "The Birthday Massacre" ist beispielsweise die Urversion von "Happy Birthday" aus dem Album "Nothing and Nowhere", später noch einmal neu arrangiert auf "Violet", und statt den Rammstein-artigen Gitarren ertönen hier düster verzerrte Keyboards. Es zeugt von gehörigem Talent, wenn die nicht professionell im Studio aufgenommenen Demoaufnahmen besser klingen als die meisten Studioalben anderer Künstler. Bereits hier entwickelten The Birthday Massacre ihren unverwechselbaren Sound, der melodiöse, als schön empfundene Klang wird mit verzerrten und verstörenden Klängen und Inhalten mischt; andere Songs sind komplett träumerisch gehalten - trotzdem wirkt alles bereits so vollkommen und ausgereift wie auf ihren späteren Studioalben. Ihre Nähe zu 80er Jahre-Musik beweisen sie mit 2 gelungenen Coverversionen von Madonna und Faith No More, welche den Geist der Originale beibehalten, jedoch untee Verwendung ganz typischer Birthday Massacre-Synthesizer. Tatsächlich wirkt "Imagica" so rund wie kaum eine Compilation, man merkt nicht, von welchem Demoband welche Musik stammt. Dabei hat die Band dich eine deutluche Wandlung gemacht: zunächst waren die harten Gitarren fester Bestandteil, die Synthesizer begleiteten sie ebenbürtig; neuere Alben der Gruppe kommen fast ohne sie aus und klingen poppiger. Lustigerweise fehlen sie auf "Imagica" nahezu zur Gänze - vielleicht weil die Technik fehlte, denn weich gespielte E-Gitarren sind durchaus zu hören - trotzdem gehört diese Sammlung zu den rockigeren Werken, da hier besonders monströs klingende, tiefe Keyboards zum Einsatz kommen, die sie perfekt ersetzen. "Imagica" gehört zu den musikalischen Highlights der Gruppe und schlägt dabei sogar recht deutlich die beiden vorangegangenen Studioalben "Hide and Seek" und "Superstition".
★★★★1/2
Skrillex & Diplo - Jack Ü
Jahr: 2015
Genre: Electronica, Dubstep, Trap
Anspieltipps: Where are Ü Now, Take Ü There, Mind
Okay, das ist schon ein verdammt cooles Album und die Drops fetzen brutal, das ist man ja vom Meister Skrillex gewohnt (zu Diplo kann ich wenig sagen, da ich nicht viel von ihm kenne), und auch der Verzicht auf stampfende Beats, im Austausch dafür Hi-Hat lastige Trap-Beats, kommt sehr, sehr gut. Das ist pure Soundanarchie, eine Kollage unterschiedlicher Effekte, Schnipsel und merkwürdigster elektronischster Klänge. Besonders wunderbar ist auch der Wechsel zwischen melodischer, introvertierter Musik und dem blanken Chaos der Drops. In seinen ruhigeren Momenten wird der Vibe der künstlerischen modernen Popmusik spürbar, zu deren besten Vertretern Justin Biebers "Purpose" und Rihannas "Anti" zählen, beides fantastische Alben. Wer ersteres kennt, der sollte nun die Kollabo "Where are Ü Now" im Kopf bzw. Ohr haben, welche sich auf beiden Releases befindet - immer noch DAS definitive Lied der 2010er Jahre.
Ich muss dennoch einräumen, dass "Jack Ü", so brillant sich einige Musik auch anhört und bei mir heiß läuft, ein sehr unrundes und zeitweise unfertig wirkendes Album ist. Das Werk dauert gerade einmal 35 Minuten und beinhaltet 10 Tracks, von denen der erste (ca. 2 Minuten) ein aus düsterer Geräuschkulisse und gesprochenen Sätzen bestehendes Intro darstellt; an manche Songs sind auch noch zusammenhanglose Skits direkt angehängt, die die Lauflänge noch weiter drücken und den Flow des Gesamten stark stören. Dafür wirken manche Songs, etwa "Beats Knockin'", als würden sie in der Mitte beginnen - direkt beim Build Up zum Drop, ohne etwas strophenähnliches zu liefern. Musik wie diese lebt wie ein Film von Dramaturgie. Zunächst müssen wir uns innerhalb akzeptierter und konformer Zonen bewegen, dann muss sich die Stimmung spürbar anheben, bis das komplette Chaos ausbricht, alles niederbrennt und wie ein Phönix aus der Asche von neu beginnt. Den ersten und auch den letzten Schritt lässt "Jack Ü" ab und an vermissen - so scheint "Febreze" in der Mitte des Songs mit der Bridge und dem Build Up zu beginnen, baut nach den Drop erst eine Strophe ein, macht dann alles richtig, nur um dann nach 2:50 Minuten nach dem zweiten Verse abrupt zu stoppen und ein Skit einzuspielen. Dabei ist der Drop einer der krassesten des Album und in Skrillex' Karriere. Generell hat das Album einen eher mäßigen Fluss und erscheint als Sammlung mehrerer Songs, nicht wie ein Gesamtwerk. Das heißt nicht, das "Jack Ü" nicht genial ist - aber das Potenzial nach oben ist groß. Letzten Endes habe ich genau das bekommen, was ich mir gewünscht habe, und es trotzdem nicht so hart gefeiert wie erwartet.
PS: Die Wertung des Albums ist sehr schwer, musikalisch ist es deutlich besser, aber das Gesamtkonzept ist ein Totalausfall.
★★★1/2☆
Rammstein - Mutter
Jahr: 2000
Genre: Neutsche Deutsche Härte, Industrial Metal
Anspieltipps: Spieluhr, Sonne, Mutter
"Mutter", Rammsteins drittes Album, macht einige wichtige Schritte, die es im direkten Vergleich von den beiden meisterhaften Vorgängeralben deutlich unterscheiden. Das sind vorwiegend drei charakteristische Elemente: Reduktion der statisch elektronischen Acid Trance-Elemente, melodischere Gestaltung der Kompositionen und Einschränkun von zu provokante Inhalte. Stattdessen zeigen sich Rammstein auf "Mutter" deutlich emotionaler und lyrischer als auf den Vorgängern. Was nicht heißt, dass alle 3 Alben nicht dieselben Elemente beinhalten; sie werden nur zur Gänze anders gewichtet. Lieder wie "Klavier" auf "Sehnsucht" bilden den Grundkörper von "Mutter", allerdings treten mit "Feuer frei", "Rein Raus" und "Links 2, 3, 4" auch typische klassische Rammsteinklänge auf. Daneben wirken "Spieluhr" und der Titeltrack "Mutter" wieder unfassbar melodiös. Text hin oder her, alleine durch den Klang und der einschlagenden Tonfolge wird immens packendes Kopfkino erzeugt. Doch wer mit der Band vertraut ist, weiß, dass es sich bei Rammstein um eine der lyrischsten Musikgruppen handelt. Dabei bedient sich die Gruppe einer gewissen Freiheit zur Interpretation. Hat man kein Wissen über den Hintergrund zu "Sonne", und/oder hat das Video gesehen, könnte man Annehmen, es handle von einer wunderschönen Frau mit tyrannischem Charakter, tatsächlich wurde es jedoch als Hommage an Vitali Klitschko verfasst. Durch Schlagwörter wie "Mond", "Regen", "Kind", "Grab" und "Melodie" wird "Spieluhr" zu einer atmosphärischen Kurzgeschichte um Tod und Wiederauferstehung, "Mutter" scheint von einem Klon und dessen Hass auf das Fehlen einer Mutter handeln, der beschließt, sich an der seiner genetischen Vorlage zu rächen. Und ja, dieser Song klingt viel emotional aufwühlender als es sich hier liest. Weitere Lieder, etwa der bombastisch daherkommende Opener "Mein Herz brennt", sind wieder derart kryptisch, dass sich die Bedeutung auch nach oftmaligem Anhören nicht so recht offenbaren will. Aber das ist kein Problem: die musikalische Aufbereitung ist bereits so stimmungsvoll und die Bildsprache derartig nachhaltig, dass sich auch ohne Kenntnis des Inhalts ein umfangreiches Bild ergibt. "Mutter" ist ein geniales Album einer einzigartigen Band, und ist eine der Spitzen ihrer Diskografie.
★★★★★
Kollegah - Alphagene
Jahr: 2007
Genre: Hip-Hop
Anspieltipps: Alphagene, Veni Vidi Vici, Pokerfacekönig
Es ist ganz offiziell: Kollegah ist der beste Deutschrapper, egal, was Fler sagt, wie real er ist. Ist er kaum. Aber er ist trotzdem visionär. Und ich habe nichts gegen Fler, einen der musikalischsten Deutschrapper, der sich raptechnisch von ganz unten nach oben geboxt hat (früher über den Beat sinnlos provokatives Zeug geredet, nicht ansatzweise gereimt, vollkommen aus dem Takt, heute unbestrittener deutscher König der Trapmusik und einer der Rapper mit dem besten Flow, und nahezu fehlerloser Delivery), aber ich bin eben auch massiver Kollegah-Fanboy und halte ihn für visionär und genial. Er hat die Richtung, in die sich Deutschrap in den 2010ern bewegt hat, am Meisten geprägt und die lyrische Messlatte um einige Stufen höher gestellt. Wer hat vor ihm auch nur einen billigen Fick darauf gegeben, wie viele Silben gereimt sind und wie intelligent die Wortspiele? Das war in ernsteren Musikliebhaberkreisen durchaus ein Thema, aber der Mainstream wurde durch Kollegah auf diese Qualitätssiegel aufmerksam. Auf seinen letzten beiden Alben "King" und "Zuhältertape, Vol. 4" wirkt Kolle wie ein Rap-Computer, es sind Epen, die von ständiger, übermenschlicher Perfektion geprägt sind und durchgehend konstant die ideale Qualität aufweisen. Davor verhielt es sich noch etwas anders: er war ein junger Bursch, sah noch nicht so muskelbepackt aus, hatte beschissene Photoshop-Covermotive und teilweise etwas billige Beats. Aber seine Rapskills waren bereits großteils wo sie heute sind: "Bitch, Obacht, ey der Halbkanadier / kommt mit Gewaltfanatikern aus der Balkanmafia / In dein Haus und misshandelt dich Trottel wie Versuchskarnickel / Deine Mom sieht's und ist von den Socken wie Geruchspartikel"
Während ihr noch die sich reimenden Silben zählt, lob' ich erst einmal die Produzenten der ersten Hälfte des Albums (mit Ausnahme von "Showtime III"), ehe das die Produktion des Albums mit laufender Länge beginnt, immer billiger zu wirken (mit Ausnahme von "Ein Junge weint hier nicht"). Und hier zeigt sich auch erstmals eines der Hauptunterschiede des alten zum neuen Kollegah: die Hooks. Bis vor "King" gab es dahingehend einige Kuriositäten zu bewundern, so versucht sich Kolle selbst am (zumeist für den Text zu wenig maskulinen) Gesang, lässt sie andere Rapper mit Autotune singen oder bemüht sich, übertrieben rhythmisch zu sprechen. Egal, was er versucht, es klingt alles recht bemüht und anders als seine Raps nicht sehr locker und natürlich. Es sind jedoch Makel, die in Abetracht seines Talents als Rapper eher charmant als störend wirken. Auf Alben wie "Alphagene" klingt er noch fehlbar, noch nicht wie ein Rap-Professor, bei dem jegliche Mängel nicht einmal denkbar wären. Trotzdem sind seine Techniken und seine Wortgewandtheit einfach mal 10 Mal besser als bei anderen Deutschrappern, trotz deutlich fröhlicherer Line Delivery. Kollegah noch als absolutes Wunderkind, bald danach auch als rundum komplette Hip-Hop-Maschine wie eine 808.
★★★★☆
Tokio Hotel - Kings of Suburbia
Jahr: 2014
Genre: Electro-Pop, Crunkcore
Anspieltipps: Kings of Suburbia, Feel it All, Girl Got a Gun
Ich habe noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich ein Fan von Tokio Hotel bin, obwohl ich mit den meisten übereinstimme, dass ihr Debüt "Schrei" ein furchtbares Album ist. Von einem Produzententeam geschrieben und produziert, Bill Kaulitz damals noch vor dem Stimmbruch und alles so pseudo-rebellisch. Leider hat hierzulande kaum jemand der Musik, welche nach diesem Werk entstanden ist, eine Chance gegeben. Bereits ihr zweites Album, "Zimmer 483" war großartig und nach dem internationalen Durchbruch erst recht. Tokio Hotel sind in den USA gut bekannt und auch beliebt. Nach "Schrei" hat die Band wirklich selbst das Ruder übernommen und sich der modernen amerikanischen Emo-Szene angenähert. Aber nun genug davon, es geht hier um ihr Album "Kings of Suburbia". Das Album erschien 2014, nachdem sich die Gruppe 5 Jahre Auszeit genommen hatte, da ihr der mediale Rummel zu viel wollte, und sie in die USA gezogen sind. Dem entsprechend erschien das Album ausschließlich in englischer Sprache und war eher auf den amerikanischen Markt ausgerichtet, wo es auch deutlich erfolgreicher war. Während es in Deutschland floppte, erreichte es in 30 anderen Ländern die Spitze der Charts.
Musikalisch unterscheidet sich das Werk seht deutlich von ihrem früheren Schaffen: auf diesen herrschte ein gitarrenlastiger, softer Rocksound vor, "Kings of Suburbia" wirkt dahingehend nahezu gänzlich elektronisch. Heftige Synthesizer, 808s, Dubstep Kits und stellenweise Autotune dominieren den Klang der Musik, Gitarren, Schlagzeug und Klavier treten sporadisch auf. Dabei legt die Musik eine ziemliche Vielfalt an den Tag: so könnte das an einen Road Movie-Soundtrack erinnernde "Girl Got a Gun" gut auch auf My Chemical Romance's "Danger Days" zu finden sein, "Kings of Suburbia" klingt wie eine bombastische, postapokalyptische Großstadthymne eines Cyberpunkfilms. Dagegen wirken "Stormy Weather" und "Love Who Loves You Back" wie besser durchdachte Musik von Blood on the Dance Floor. "Feel it All" schlägt eine ähnlich experimentell poppige Richtung ein wie aktuelle Alben von Rihanna oder Justin Bieber, was im extremst ruhigen "Run Run Run" (welches übrigens später von Kelly Clarkson gecovert wurde) auf die Spitze getrieben wird. Blickt man bei Amazon.de auf die Kommentare liest man Lobeshymnen ehemaliger Hater, die den neuen Klang gefällig finden und sich freuen, dass die Gruppe endlich erwachsen wurde. Auf Amazon.com stolpert man ab und an auf eher mäßige Reviews, die den alten Sound vorziehen, und unter YouTube-Videos zu Songs aus der KoS-Ära, oder ihrer Facebook-Seite, liest man regelmäßige Debatten, ob dieser neue Sound wirklich das Wahre ist. Meine Meinung: man ist Fan einer Band geworden, weil man ihren Stil liebt und generell alles an der Band. Man freut sich, wenn sie sich weiterentwickelt, was Tokio Hotel auch zuvor geschafft haben, wenn sich aber der Stil radikal verändert, ist man skeptisch. "Kings of Suburbia" ist für sich stehend ein gutes Album, aber es wird nie ein Fan-Favorit werden, da es sich musikalisch wie inhaltlich zu stark vom altbewährten Sound unterscheidet (die melodramatischen, metaphorischen und sentimentalen Elemente, für das Emo-Genre typisch, fehlen zur Gänze). Da die Gruppe, die übrigens immer noch aus dem Gründungsmitgliedern besteht, noch für dieses Jahr ein neues Album angekündigt haben, werden wir sehen, ob sie diesen oder ihren alten Weg weiterbeschreiten. Bleibt "Kings of Suburbia" ein experimenteller Einzelfall, werden ich, sowie einige weitere Fans, sicherlich deutlich glücklicher damit werden. Und ja, meine Reviews werden wirklich immer länger.
★★★1/2☆