Fear and Loathing in Las Vegas - Abgesang auf eine Bewegung

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Fear and Loathing in Las Vegas
Tobis Filmkunst/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Fear and Loathing in Las Vegas
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Fear and Loathing in Las Vegas von Terry Gilliam ist für viele ein echtes Meisterwerk. Auch einer der moviepilot-User empfindet so, auch wenn es bei ihm ein wenig gedauert hat, wie er uns in seinem Lieblingsfilmtext schildert.

Das Wort heißt wohl nicht zufällig „Lieblingsfilm“, denn manchmal verhält es sich mit einem solchen wie mit der Liebe selbst: sie erwischt einen zwar nicht auf den ersten Blick, entwickelt sich dafür aber langsamer, wirkt nachhaltiger und bleibt womöglich umso länger.

Eine Chronik:

Fear and Loathing in Las Vegas liebte ich beim ersten Mal nicht wirklich.
Genau genommen mochte ich ihn nicht einmal besonders. Überdrehte Figuren, anstrengende Drogeneffekte, eine wirre Story ohne echte Dramaturgie.
Terry Gilliams Verfilmung des teilweise autobiographischen Romans von Hunter S. Thompson gleicht nicht nur inhaltlich, sondern auch formal einem einzigen Rausch.
Gemeinsam mit seinem Anwalt Dr. Gonzo (Benicio del Toro) und einem mehr als übertriebenen Drogenarsenal begibt sich der Journalist Raoul Duke (Johnny Depp) auf die Suche nach dem Amerikanischen Traum. Hand in Hand mit den Zuständen der beiden Protagonisten manövriert sich der Film von einer Drogenszenerie zur nächsten. Zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt bleiben verwüstete Hotelzimmer, Selbstreflexionen und wundersame Zeitgenossen.
Den üblichen Sehgewohnheiten entsprechend wartet man als Zuschauer darauf, dass etwas passiert. Dass klar zu erkennende Story-Wendepunkte einen Spannungsbogen kreieren, der einen auf klassische Weise unterhält und befriedigt. Doch dieser Film hat seinen eigenen Kopf. In seinem Umhertreiben wird er dem Wunsch nach romantischer filmischer Zuneigung nicht nachkommen. Er scheißt vielmehr darauf, um es klar auszudrücken.

Ab dem zweiten Mal war eine erste Veränderung in unserer Liaison zu beobachten.
Ich wusste nun, was ich von meinem Gegenüber zu erwarten hatte und der Stil des Films, der sich zu jedem Zeitpunkt der ebenso exzessiven Romanvorlage verpflichtet fühlt, versetzte mich nicht mehr in Angst und Schrecken. So wurde mir allmählich seine erste große Qualität bewusst: die absurde Komik.
Die überspitzten Drogenexzesse bilden den Background für allerlei bizarre Auswüchse der Herren Depp und Del Toro, die als dynamisches Drogenduo wie füreinander geschaffen sind. In perfekter Symbiose ist immer einer der beiden gerade noch zurechnungsfähig genug, um den jeweils anderen irgendwie ins nächstgelegene Hotelzimmer zu befördern. Del Toro, als fettbäuchig-schmieriger Anwalt kaum zu erkennen, wandelt gekonnt zwischen Businessman und paranoidem Aggressor und wird nur noch von Johnny Depps legendärer Performance übertroffen. Mit wahnwitziger Mimik und Gestik bewegt sich dieser am Rande des geistigen Minimalismus, um sich kurze Zeit später wieder souverän zwischen allerlei Spießbürgertum hindurch zu schlängeln oder sich aus dem Treiben seiner Zeit einfach beobachtend auszuklinken. Abstruse Wortfetzen vereinen sich mit unvermittelt heraus gebrüllten Lauten zu einer Absurdität und Durchgedrehtheit, wie man sie selten zuvor oder danach auf der Leinwand bestaunen konnte. Herrlich-sinnfreie Aussagen wie „Ich wusste nicht einmal wer das Rennen gewonnen hatte – vielleicht niemand” attackierten meine Lachmuskeln ähnlich heftig wie das Adrenochrom Raoul Dukes Zirbeldrüse. Ich mochte Fear and Loathing in Las Vegas wirklich gerne.

Irgendwo zwischen unserem dritten und fünften Aufeinandertreffen wurde unsere Beziehung schließlich auf das Level gehoben, auf dem sie heute ist.
Terry Gilliams Film wäre kein Meisterwerk, wenn er nur die reine Maßlosigkeit als komischen Selbstzweck zu bieten hätte. Vielmehr ist es die spezielle Betrachtung einer einzigartigen Zeit, die dem Film die notwenige Tiefe verleiht und ihn nach und nach zu einem meiner Lieblinge machte.
Vietnam, Nixon und der allgegenwärtige Reaktionismus des konservativen Amerikas erscheinen als halluzinogene Randbilder der Drogentrips. Dabei bilden genau sie die Eckpfeiler eines Amerikanischen (Alp-)Traums, der möglicherweise nur im Vollrausch zu ertragen ist. Diese ironische Erkenntnis wird durch die kritische Auseinandersetzung mit der Love Generation noch erweitert:
Wer, wenn nicht ein Beteiligter wie Duke/Thompson selbst, sollte die bittere Erkenntnis, dass die „unheilbaren Krüppel“ gescheitert sind, besser auf den Punkt bringen können? Letzten Endes war das „Licht am Ende des Tunnels“ doch nur der nächste Zug.

Fear and Loathing in Las Vegas ist ein filmischer LSD-Trip mit eingebauter Bewusstseinsveränderung. Die Nachwirkungen, die sich praktischerweise nur geistig manifestieren, könnten bleibende Eindrücke hinterlassen und dafür sorgen, dass einen alsbald die Sucht ereilt, diesen Film noch einmal sehen zu müssen.
Durch die außergewöhnlichen Talente seines Autors, seines Regisseurs und seiner Darsteller verschmilzt der Film zu einem einzigartigen Zeitportrait, stets untermalt vom Soundtrack einer Generation. Es ist der bizarre und gleichzeitig nostalgische Abgesang auf eine Bewegung durch die Augen derer, die diese Zeit mitgestaltet, miterlebt und ihre ideologischen Überreste zu Grabe getragen haben. Wenn ringsum der Wahnsinn regiert, sind es wohl die bereits Wahnsinnigen, die den Überblick behalten: „Nur ein weiterer Freak im Freak-Königreich”.
Nach der mittlerweile zweistelligen Anzahl unserer Begegnungen und einer intensiven, langjährigen Beziehung bewegt sich unsere Partnerschaft auf einem konstant glücklichen Niveau. So kann ich heute voller Überzeugung sagen: Ja! Ich liebe dich, Fear and Loathing in Las Vegas.


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