Es war eine lange Zeit mehr oder weniger out von Freud zu sprechen. Man darf nicht alles auf die Mutti schieben, Träume sind letztlich Schäume und diese ganze Sexfixierung ist ja auch irgendwie sehr 1969.
Freud als psychologischen Ansatz wird man heute wohl in kaum einer klinischen Schulung finden - nicht dass dort seine Gedanken, Thesen und Forschungen keinen Wert hätten....man schreibt die Erfolge des kleinen Östereicher Bartträgers nur eben lieber dem Feld der Literatur gut, literarisch, so lautet die Expertenmeinung, sei er sicherlich hoch zu schätzen, nur wenn es um die Psychologie als Naturwissenschaft mit ihren Statistiken und bio-chemischen Einblicken geht, will die Psychoanalyse nicht so recht der kritischen Betrachtung standhalten.
Was mag es da verwundern, dass sich die kleine schlüpfrige Schatzkiste freudianischer Theorien eine Niesche sucht, die mehr als dankbar in ihr buddelt und wühlt. Seit nunmehr ein bis zwei Dekaden zieht die Theaterwissenschaft , die inzwischen in einem Alter ist in dem man eigentlich schon so ziemlich alles gesehen hat, hier ihre ganz neuen Erkenntnisse - und das tun die nicht etwa weil sie nichts besseres zu tun haben, sondern weil ganz offensichtlich eine Gesellschaft, die Dinge wie Auschwitz, Vietnam und Tschernobyl gesehen hat, nicht mehr das offensichtliche beschreiben möchte und stattdessen eine Ebene tiefer rückt...ins Un- bzw Unterbewusste.
Erneut - ähnliches sah die Welt schon mehrmals vor sich - sind wir wohl etwas kulturmüde geworden, im schlechteren Sinne denke ich jetzt an Berlin Tag und Nacht, im besseren an Thomas Mann, der Freuds Methoden als "Arbeit aus einer Beschädigung heraus" beschrieben hat und gleich dazu passend den Schluß zog, dass Beschädigung ein Kernthema jeder kulturellen Arbeit, jedes künstlerischen Werkes sein kann...zumindest lässt sie sich immer finden wenn wir danach suchen und somit finden wir bei genauerem Hinsehen auch immer Freuds Thesen zum Unterbewussten.
So oder so ähnlich wurde es mir zumindest von dem Prof erklärt, der die Vorlesung zum Thema Freud und Theater hält.
Da ich aber neben meinem Studium auch und in erster Linie ausgeprägter Filmfan bin, ja insgeheim und bei aller Liebe zum Theater den geheimen Verdacht hege, dass sich der Spiegel unserer Gesellschaft (der banalen ich-und-du-Gesellschaft, nicht die der Intellektuellen, Hipsters und Art-Jünger...nicht dass an denen was falsch wäre, aber um die gehts grad mal nicht) eher in unseren Filmen als unseren Bühnenproduktionen findet, will ich das mal in eine andere Richtung denken.
Bevor ich diese Richtung ansteuere erstmal zum Grundsätzlichen: Was sagt der Freud überhaupt, so ganz grob gefasst zumindest.
Sich Treiben lassen - der göttliche Urzustand
Als ich noch in der Gebärmutter Übungen im Kunstschwimmen gemacht habe, war die Welt in Ordnung. Es gab weder Ich noch Du, Er, Sie, Es, es gab nur die reine, undefinierte Existenz in fröhlicher Schwerelosigkeit, innerhalb einer, sehr beschränkten aber ausgesprochen warmen und behütenden, Welt - nichts drang auf mich ein und ich hatte auch kein gesondertes Bedürfnis, denn alles was ich wollte, erhielt ich über die kosmische Verbindung einer Nabelschnur und dem Blutkreislauf meiner Mutter. Ich teilte mit ihr einen Herzschlag, wir existierten in perfekter Symbiose, kann vielleicht sein dass es mir mal nicht gepasst hat, wenn sie eine Banane gegessen hat (die mochte ich noch nie!) aber solang dass dein größtes Problem ist, muss die Welt ziemlich in Ordnung sein.
Zwischen den Fronten: Mein "Ich", meine Schulterengel und ich.
Leider hält dieser paradiesische Zustand (Freud nennt das wohl tatsächlich so) selten länger als neun Monate und danach dauert es nicht lange und ich bin nicht nur zum "Ich" geworden, ich habe auch die ausgesprochen lästigen Schulterengel namens "Unter-Ich" (aka: "ich will") und "Über-Ich" (Motto: Gib mir nicht was ich will, sondern was ich DARF) entwickelt. Ganz stark vereinfacht: "Unter-Ich" ist mein kleiner oder großer Trieb, "Über-Ich" mein Regulator, mein Richter, meine ausgesprochen schrille Alarmglocke, die ich, zumindest was Freuds Ansicht angeht, entwickelt habe, weil ich in einem gewissen Alter die Mutti zu gern hatte und der Papa folglich Feindbild war. Um mich daran zu hindern Ödipus-like Vatermörder und Erzeuger meiner eigenen Geschwister zu werden, habe ich gelernt die Vaterfigur zum moralischen Leitbild zu machen....und das macht mir jetzt Riesenärger, weil ich eben nicht mehr tun kann was ich will, sondern ein schlechtes Gewissen bekomme. "Ich", und auch dass stammt direkt aus Freuds Zitatekreisel, bin eine ganz schön arme Wurst und wünsche mir den paradiesischen Urzustand zurück. Pech gehabt: ab dem Moment da die Nabelschnur getrennt wird, fängt mein Verhältnis zu meinen Eltern, Sexualität und nicht zuletzt zu mir selbst an KOMPLIZIERT zu werden.
Nur eine Situation gibt es, in der ich gänzlich in Kontakt mit dem Unterbewussten stehe, ohne dass ein "Über-Ich" dazwischenfunkt und dass ist immer dann, wenn ich träume. Dann kommuniziere ich nur noch mit dem Unterbewusstsein und das "Unter-Ich" flüstert mir meine geheimen Träume und Ängste zu. Nur leider spricht das Unterbewusstsein, im Gegensatz zum "Über-Ich", das ziemlich laut NEIN sagen kann, keine sehr direkte Sprache, sondern es verwickelt sich in Zeichen, Andeutungen und Gefühlen....es verschiebt, ersetzt und mischt - es ist halt nicht sehr rational.
Warum der ganze Sums an dieser Stelle? Weil es genau diese Themen sind, die wir in unserer Themenwelt immer wieder finden: Trieb, Regulation, Verzweiflung aber auch Träume, Symbole und, ein ganz besonders großer Freud-Punkt: Die Lust!
Die unerträgliche Leichtigkeit der Lustverfremdung
Weil es für das "Unter-ich" so wenig Möglichkeit gibt, sich ehrlich auszutoben, das "Über-Ich" dauernd am meckern ist und weil das "Ich" deshalb so unglaublich unter Druck von oben und unten ist, schafft es sich sogenannte Lustmomente, die wenigstens kurzzeitig Erleichterung verschaffen. Ich spreche nicht zwingend von Sex, aber doch ganz unmissverständlich von Rausch, Extase und dem allgemeinen "Über den Wolken schweben" dass ich aus der Gebärmutter kenne und im Traum vage nachvollziehen kann.
Was passiert jetzt, wenn Lust, etwa die Erregung, die ein nackter Frauenkörper auslösen kann, in einen Kontext gestellt wird, der mir (als banalem Mensch mit klassischen sexuellen Ausrichtungen) falsch vorkommt, sagen wir etwa mit Mord, Gewalt, Folter. Peinlicherweise ist das Erregende immer noch erregend, ein Teil meiner Sinne darauf eingestellt sich einem Lustmoment anzunähern...während gleichzeitig der große Spielverderber Major Moral schon längst die Trillerpfeife gepfiffen hat. Zu Recht, denn dass anderen Schmerz zuzufügen falsch ist, ist sicherlich eine der elementarsten Vorstellungen die wir in einer bestimmten Kindheitsphase ganz tief in uns aufnehmen sollten. Dass wir zugleich von gewissen optischen Stimulanzen.... nun ja...angetörnt werden, ist aber ebenso natürlich - Natur prallt somit auf quasi bis in die Natürlichkeit hinein Verinnerlichtes, eine goldene Regel (Schmerz = schlecht) wird auf etwas angewendet, auf das sie nicht zu hundert Prozent passt (sexuelle Stimulanz sollte nicht schlecht sein). Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, verwirrend und je nach Veranlagung reagieren wir mit Ekel (dass ist das offensichtlichste) oder auch mal Gelächter (dabei handelt es sich um eine Übersprungshandlung).
Was wir hier erleben, kommt in etwa dem Erlebnis eines Menschen nahe, der z.B durch eine überstrenge christliche Erziehung gelernt hat, Sex abzulehnen, wenn er dann doch damit konfrontiert wird - wer das in seiner ursprünglichsten Form nachvollziehen will könnte sch zB Stephen Kings Carrie zu Gemüte führen, wer schon bereit ist für die Abstraktion, der findet diesen freudianischen Aspekt in so gut wie jedem der so herrlich als torture-porn betitelten Filme der letzten zwanzig bis dreißig Jahre. Ich könnte jetzt alle Hostel- oder Sawteile abwärts aufzählen. Tatsächlich aber ist der Film, der mir das Prinzip der Verwirrung im besten Freud-Sinn am besten vorgeführt hat kein geringerer als "The last house on the left" aus dem Jahr 1972 von Wes Craven. Wes Cravens Freud-Bezug wird noch eine größere Rolle spielen wenn ich die Teen-shocker der 90er-Jahre betrachte, dieses ziemlich frühe Werk hat mich allerdings auf zwei völlig anderen Ebenen fasziniert.
Musik und Sex in "Last House on the left"
Musik: Horrorfilme haben eine Tradition, die fast so alt sein dürfte wie der Western und im Laufe der Zeit haben sich bestimmte Mechanismen herausgebildet, die sich als besonders förderlich für die Stimmung erweisen. Nummer eins und sicherlich der älteste Trick in der Kiste ist der Soundtrack. Ein alter Mitbewohner zeigte sich einmal verwundert, dass ich allein am Ton (ohne Text) erkenne, dass er gerade Starwars, die Szene "Ich bin dein Vater" schaut. Filmfans sind weniger beeindruckt: Die Szene ist bekannt wie die Rückseite der eigenen Hand, ebenso ihre musikalische Untermalung. Ton und Bild gehören zusammen: Rührendes Bild, schmalzige Musik, Horrorszene - natürlich Suspense. Nicht nur ist Musik generell emotionsschaffend, auch ist es inzwischen so sehr zur Konvention geworden, dass zumindest dem trainierten Ohr allein der Sound genügt um uns zu wissen was wir sehen werden....und wie wir uns dabei fühlen sollen. Pawlow und sein Köter lassen grüßen. Klingeling, sabber-sabber.
Nö. Denkt sich da Wes Craven und unterlegt die brutalsten Szenen mit dem fröhlichsten Soundtrack...man meint ein paar Freunden bei einem lustigen Streich zu zusehen und beobachtet doch die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung zweier junger Frauen durch eine Gruppe völlig entmenschlichter Assozialer.
Wir reagieren distanziert, befremdet und haben in gewisser Weise ein schlechtes Gewissen, denn die Musik lenkt unsere Emotion in eine völlig falsche Richtung und auf einmal bekommt man den Eindruck abgestumpft gegen die Gewalt zu sein.
Sex: Dass in einem Film der Vergewaltigung und blutige Rache beinhaltet gelegentlich Körperteile entblößt werden und Vergewaltigung nie ein netter Anblick ist, überrascht jetzt nicht wirklich. Etwas freudianischer wird es dann, wenn sich die Rache der Mutter ausgerechnet auf die schlimmste Waffe des Vergewaltigers richtet - alt-eingesessene Kastrationsangst begegnet hier dem leisen Gefühl, eine gewisse (sehr barbarische und vorsintflutliche) Form von Gerechtigkeit zu beobachten. Allein das ist schon eine sehr verwirrende Kontradiktion. Noch irritierender ist allerdings der Akt der Vergewaltigung als solcher - dieser wird nämlich das erste Mal sichtbar in Form einer lesbischen Sexszene zwischen beiden Mädchen.
Dass Freundinnen sich gegenseitig in die Liebe einführen ist quasi ein griechisches Thema, dass in der allgemeinen Konnotation eher positiv ist - zumindest dürfte es Teil einer ausgeprägten Gruppe von Männerphantasien sein...und tatsächlich gibt es im Leben vieler junger Frauen eine Phase in der die Erprobung der eigenen Sexualität innerhalb des eigenen Geschlechts sicherer, weniger furchteinflößend als der Gedanke an Penetration erscheint. Ich denke an den Klassiker von Zungeküssen auf dem Mädchenklo üben.
Dieses eher von zärtlichen Gefühlen, Neugier und definitiv einer gewissen Erotik geprägte Bild wird nun in einen vollkommen anderen Kontext gesetzt, nämlich auf den kahlen Waldboden, umgeben von einer Gruppe Peinigern, die sich an diesem Schauspiel aufgeilen und noch zusätzlich ruiniert durch das Weinen und Jammern der Mädchen.
Ich habe das nicht beschrieben um wiederlich zu sein, sondern um zu zeigen, dass sich ein Gefühl der Angst, des Ekels, des Unwohlseins im Film aktivieren lässt, indem ein Bild aus seiner Konnotation gerissen und in einen Umstand versetzt wird, in dem unser "Über-Ich" warnend aufschreit: wehe dir gefällt das jetzt! während das "Unter-ich" vielleicht schon längst ganz andere Knöpfe zu betätigen versucht. Das dazwischen liegende "Ich" ist folglich in Bedrängnis und so sehr wir dieser im alltäglichen Leben auszuweichen versuchen, im Horrorfilm bereitet es uns ein gewisses Vergnügen genau das geschehen zu lassen - vermutlich weil die Erleichterung am Ende und die Ausschüttung von Adrenalin während dem Schauen auch eine Form von Lustmoment darstellt. Mal abgesehen davon, dass man nach Adrenalin sowieso ziemlich süchtig werden kann, selbst dem körpereigenen. Torture-porn, wie auch immer man das finden mag, kann also doch so manches: Sehr wirkungsvoll wird uns hier zum einen der in uns allen schlummernde Hang zur Perversion vorgeführt, ebenso aber auch dass wir automatisch ein schlechtes Gewissen bekommen, was gut als Appell an unsere eigene (verlogene?) Prüderie gedacht sein kann, aber dass ist ein anderes Thema.
"Last House on the left" ist auf vieler Ebene kein sehr gelungener Film, rein produktionstechnisch hat er sogar erhebliche Mängel. Und doch zeigt er für mich so gut wie nur wenig andere wie Freud in unserer bildlichen Kommunikation und Perzeption wirkt...ob jetzt Literat oder Psychologe spielt da wirklich keine Rolle.