Wer klettert so spät durch Nacht und Wind? Es ist die Catwoman, und fast noch ein Kind. Wobei die Katzendiebin am Anfang von Gotham noch nicht unter diesem Namen unterwegs ist, genaugenommen hat sie noch gar keinen Namen, und sprechen tut sie auch nicht. Gucken dafür umso mehr, und was sie auf ihrer nächtlichen Diebestour zu sehen bekommt, ist zwar jedem Batman-Freund altbekannt, lässt dem eigentlich abgebrühten Straßenkind aber erstmal den Atem stocken: In der obligatorischen finsteren Seitengasse werden nämlich Bruce Waynes Eltern bei einem Raubüberfall erschossen, und der kleine Bruce muss das Ganze ebenso mitansehen wie Selina Kyle. Im Gegensatz zur stummen Selina stößt Bruce aber sogleich einen klagenden Schmerzensschrei aus, doch das war's dann auch erstmal mit dem Fokus auf ihn, denn nicht umsonst trägt die Serie den Titel Gotham und nicht Batboy.
Helden und Schurken
Somit beweist schon in der nächsten
Szene die eigentliche Hauptfigur, der in dieser Inkarnation
schnurrbartlose James Gordon, im Blade Runner-Gedächtnis-Polizeirevier einen kühlen Kopf bei der
Entwaffnung eines Verbrechers, was ihm sogleich den Zorn seines
Kollegen Harvey Bullock einbringt. Nach guter alter Gothamer
Polizeitradition hätte der es nämlich lieber gesehen, wenn Gordon
den Tunichtgut flink erschossen hätte, statt ihn nur unschädlich zu
machen. Dieser Konflikt zwischen Bullock, dem Freund handfester
Mauschelmethoden, und dem kompromisslosen Gerechtigkeitsanhänger
Gordon ist dann auch einer der roten Fäden, die sich durch die
Pilotfolge von Gotham ziehen. Dabei stellt sich der eigensinnige
Gordon nicht nur gegen die korrupten Kollegen vom GCPD, sondern eckt
zugleich bei den Mustercops Montoya und Allen an, denn auch diese
halten nicht viel von dem Neuankömmling.
Doch nicht nur die Gesetzeshüter aus
der Comicvorlage tauchen einer nach dem anderen auf, auch zahlreiche
zukünftige Schurken geben sich im Laufe der Ermittlungen im Mordfall
Wayne die Ehre, was die Episode teils wirken lässt, als handele es
sich um einen Trailer, in dem auch ja niemand vergessen werden dürfe.
Wer weiß schon, ob in der zweiten Folge noch jemand zusieht. Während
sich Edward Nygma, der Antworten am liebsten in Form von Rätselfragen
gibt, dabei sogar in Diensten der Polizei befindet, ist der
unterdrückt-sadistische Oswald Cobblepot ein Angestellter von
Unterwelt-Unterchefin Fish Mooney, die extra für die Serie aus der
Taufe gehoben wurde. Mooney schlägt nicht nur gern und häufig zu,
sondern ist der Polizei durch Harvey Bullock auch freundschaftlich
verbunden, eine Hand wäscht die andere, nur Gordon ist davon gar
nicht angetan. Schließlich will er den Sündenpfuhl Gotham City
trockenlegen, notfalls im Alleingang.
Während ihn sein Privatleben ins
Appartement seiner Freundin Barbara führt, das mit einem
beeindruckenden Panoramafenster à la Hitchcocks Cocktail für eine Leiche aufwarten kann, lotsen ihn die beruflichen Ermittlungen bald
in die versiffte Wohnung eines Verdächtigen namens Pepper, dessen
pflanzenliebende Tochter auf den schönen Namen Ivy hört. Doch
obwohl ihr fluchtfreudiger Vater bald als Übeltäter im Falle Wayne
ausgegeben wird, ist natürlich nichts, wie es scheint, und am
vorläufigen Ende von Gordons Suche nach der Wahrheit steht
einerseits eine beeindruckende, Augen öffnende Begegnung mit
Mafiaboss Carmine Falcone („You can’t have organized crime
without law and order“), der andererseits ein obligatorischer
Loyalitätstest für Gordon folgt.
Pflicht und Kür
Solche altbekannten Szenen sind es dann
auch, die der Gotham-Pilotepisode des öfteren den Anschein einer
Pflichtaufgabe verleihen: Gordon soll sich entscheiden, auf welcher
Seite er steht; zwei Charaktere verbindet eine mysteriöse
Vergangenheit; am Ende steht ein Versprechen Gordons an Bruce Wayne.
Aus all dem kann sich durchaus eine packende und überraschende
Handlung entwickeln, genauso gut könnte all das aber auch der
Auftakt für eine Serie nach Schema F sein. Die Hoffnung, dass dies
nicht der Fall sein wird, knüpft sich dabei zu großen Teilen an die
Schauspieler wie Ben McKenzie als James Gordon, Donal Logue als
Harvey Bullock und John Doman als Carmine Falconi. Sie verwandeln
ihre Charaktere auch schon in diesem frühen Stadium in Figuren, die
neugierig darauf machen, wie sie sich wohl in anderen als
Standard-Situationen verhalten.
Und auch die Grundidee, den bekannten
Batman-Bösewichten dabei zuzusehen, wie sie sich in Erzschurken
verwandeln, verspricht viel. Momentan fallen die Tunichtgute jedoch
in eine von zwei Kategorien: Entweder sagen sie wie Selina Kyle und
Ivy Pepper wenig bis gar nichts, oder wirken wie Oswald Cobblepot und
Edward Nygma schon jetzt relativ irre. Zudem ist es auch schwer
vorstellbar, dass einem der zukünftigen Superverbrecher einmal
ernsthaft Ungemach droht, denn dann würde ihre Entwicklung ja recht
abrupt beendet. Eine Ausnahme könnte hier der Joker bilden, für den
es ja zahlreiche Kandidaten geben soll, die alle etwas anderes
Joker-Haftes an sich haben sollen. In der Pilotfolge nimmt diese
Position ein Stand-up-Komiker ein, der bei Fish Mooney vorspricht.
Würde sich hier ein Spitzenreiter für den Posten von Batmans
zukünftigem Erzfeind herauskristallisieren, und dieser dann
abserviert werden, wäre die Überraschung natürlich gelungen.
Da die Mischung aus altbekannten
Versatzstücken und potentiellen neuen Aspekten aber in der
Pilotepisode ohne Längen serviert wird, und auch gefällig gefilmt,
geschnitten und vertont ist, spricht nichts dagegen, dem Treiben in
Gotham noch ein paar Folgen lang beizuwohnen, um zu sehen, ob die
Geschichte vielleicht schon bald Pfade beschreiten wird, die nicht
ganz so ausgetreten wirken. Dass realistische menschliche Schicksale
packend mit dem Polizeialltag einer Superschurken-Metropole verwoben
werden können, hat ja nicht zuletzt die Comic-Reihe Gotham Central
gezeigt.
Was haltet ihr von der ersten Gotham-Folge: Wovon wollt ihr mehr, wovon weniger sehen?