Harlan: Regisseur Felix Moeller über seinen Film

22.04.2009 - 08:45 Uhr
Veit Harlan
Salzgeber
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Der Filmhistoriker erklärt, warum er sich immer wieder mit dem Thema Veit Harlan beschäftigt.

Seit ich über den Filmminister Joseph Goebbels ein Buch geschrieben habe, hat mich das Thema Veit Harlan immer beschäftigt. In der filmhistorischen Literatur und auch in der sonstigen Wahrnehmung des Films in der Nazi-Zeit dominiert Leni Riefenstahl mit ihrer bahnbrechenden Ästhetik; zahlreiche Debatten und Biografien gibt es über sie. Was die Zuschauer damals aber viel mehr und auf lange Zeit geprägt hat, waren die Harlan-Filme, diese düster-verführerischen Farbmelodramen, die mit ihrem ewigen Thema von Schuld und Sühne, ihrer Todesverklärung tief in die deutsche Seele hineinwirkten. Über 100 Millionen Zuschauer haben in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern diese Filme gesehen. Die riesigen Farbplakate auf den Pariser Champs-Elysées sind nur ein Zeugnis davon.

Dokumentiert man das Wirken eines Filmregisseurs im “Dritten Reich”, stößt man auch auf die sogenannte “Mephisto-Problematik”, also der Künstler und sein Verhalten in der Diktatur und gegenüber den Mächtigen. Harlan hatte ja ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Propagandaminister Joseph Goebbels. Dieser Aspekt stand für mich aber nicht im Vordergrund, er wurde schon anhand so vieler Namen durchdekliniert: Heinrich George, Gustaf Gründgens, Leni Riefenstahl, Wilhelm Furtwängler – zu wesentlichen anderen und neuen Erkenntnissen ist man dabei nicht gekommen. Verführung, Opportunismus, Feigheit, auch ein wenig Überzeugung – das ist eine Mischung, die sicher auch im Fall Veit Harlan zutrifft.

Harlan war ein schillernder Mensch: durchsetzungsstark, sogar gegenüber Goebbels, unbelehrbar, konsequent in seinem Weltbild, ein “Herrenmensch” mit umfassender humanistischer Bildung und feiner angenehmer Stimme, mit außergewöhnlichem Gespür für das Ansprechen von Gefühlen im Kino. Selbst in den Standardwerken zur NS-Zeit, in denen ansonsten überhaupt keine Künstler auftauchen, findet sich im Index stets der Name Harlan, neben Hitler, Himmler und den anderen Naziverbrechern – eben wegen dieses einen Films. Den Hetzfilm Jud Süß gemacht zu haben, wie auch immer die Umstände waren, ist ein einmaliger und, wie es scheint, unauslöschlicher Makel.

Obwohl ich mich als Filmhistoriker damit etwas ab vom Wege befand, hat mich interessiert, wie lang dieser Schatten von Jud Süß heute noch ist. Schließlich ist der Film als einer der ganz wenigen aus dieser Zeit noch immer – je nach Definition – nicht aufführbar oder verboten. Wie wirkt er heute? Und: Wie geht man mit einem solchen Erbe in der eigenen Familie um? Wie wurde und wird man damit konfrontiert ? Je mehr ich mit der Familie ins Gespräch kam, desto facettenreicher wurde das Bild. Natürlich ist der Blick der Angehörigen ein privater, subjektiver und ausschnittartiger. Aber keiner hat sich verweigert oder wollte nicht darüber sprechen, ob dieses Erbe (auch der Schuld) anzunehmen oder auszuschlagen sei. In der zweiten und dritten Generation finden sich alle Varianten: kritische bis gnadenlose Abrechnung mit dem zeitweise so verfemten Vater respektive Großvater, Verteidigung, Lavieren, Betroffenheit und Indifferenz. Der “liebe Papi” mit den vielen jüdischen Freunden steht gegen den “Schneidetischtäter”, der das “Mordinstrument” Jud Süß hergestellt hat.

Besonders interessiert hat mich auch das Bild, das die dritte Generation von ihrem Großvater hat: Wenn da, wo die eigene Familie so unmittelbar betroffen ist, nichts übrig geblieben sein sollte vom Interesse für diese Zeit, vom Bewusstsein für das, was passiert ist, wie könnte man das dann überhaupt noch erwarten von einer jüngeren Generation? Wie sollte man dann verhindern können, dass die Erinnerung daran verschwindet? So ist eine Mischung aus Biografie, Film- und Zeitgeschichte und Familienportrait entstanden. Ein Blick auf den Vater und Großvater Veit Harlan, auf seine Verstrickung und Schuld, und auf die Nachwirkungen dieser “verfluchten Geschichte” auf das eigene Leben bis heute.

Quelle: Statement von Regisseur Felix Moeller zu Harlan – Im Schatten von Jud Süss mit Material von Salzgeber

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