Hautnah - Mike Nichols wird 80!

06.11.2011 - 07:10 Uhr
Mike Nichols am Set von Der Krieg des Charlie Wilson
Universal
Mike Nichols am Set von Der Krieg des Charlie Wilson
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Zum 80. Geburtstag von Mike Nichols möchte ich drei seiner Filme vorstellen. Mit Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Die Reifeprüfung und Hautnah hat uns Mike Nichols drei herrliche und genial verschiedene Exemplare des durchdachten Beziehungsfilms geschenkt.

Mike Nichols wird heute 80 Jahre. 1966 kam sein erster Film in die Kinos. Wer hat Angst vor Virginia Woolf? räumte 5 Oscars ein und im Folgejahrgang bekam Mike Nichols dann auch den Regie-Oscar für Die Reifeprüfung. Er legte nach mit dem zynischen Kriegsfilm Catch-22 – Der böse Trick, der schwarzhumorig den Irrsinn des Kriegsalltages beschreibt, dabei aber eine edle Bildsprache findet. Durch die Jahrzehnte drehte Nichols weiterhin fleißig Filme, wovon die meisten aber eher untergingen. Ich möchte heute drei seiner Filme vorstellen, die mir besonders gut gefallen und meiner Meinung nach einen schönen Rahmen für das Werk von Mike Nichols bilden. Mit Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Hautnah und Die Reifeprüfung hat Nichols eindrucksvoll das Feld des beziehungsfähigen, bzw. -unfähigen Menschen abgetastet.

Getting angry, baby?
Wer hat Angst vor Virginia Woolf? markierte den Filmeinstieg von Mike Nichols. Der Film spielt größtenteils in der Wohnung des alternden Ivy-League-Paares George (Richard Burton) und Martha (Elizabeth Taylor). Sie bekommen Besuch von einem jüngeren Pärchen und der Konversationsabend enthüllt die dunkelsten Strukturen der Ehe. Einheit von Zeit, Ort und Handlung – wir merken dem Film die Nähe zum Theater noch an. Doch gerade durch das begrenzte Setting, die klare Situation, sind filmische Mittel und viel Rhythmusgefühl von Nöten, um das Dialog-Drama am Laufen zu halten. Und Mike Nichols besteht diese Filmfeuerprobe.

Kamere, Tiefenschärfe, Parallelmontagen, expressive Nahaufnahmen – der Theatermann tobt sich so richtig an den Filmmöglichkeiten aus. Das Bühnendrama von Edward Albee wird zu einem filmischen Kammerstück. Doch die Wut, die Aggression und beängstigende Energie einer Bühne mit echten Menschen wird nicht etwa kaputt geschnitten. Nein, Mike Nichols lässt Richard Burton und Elizabeth Taylor genug Raum und Plansequenzen, um zu unsterblichen Leinwand-Teufeln zu werden. Die Nacht einer Ehe und wie viele Opfer sie zurücklässt. Wer hat Angst vor Virginia Woolf ist einer der schonungslosesten Filme über Beziehungen, über Menschen in Beziehungen und ihrer Bereitschaft zu zerstören.

Mrs. Robinson, you are trying to seduce me!
Die Reifeprüfung muss nicht jeder lieben, aber niemand kann ihre Bedeutung leugnen. Es gibt wenige Filme, die so absolut mit ihrer Zeit und ihrem Soundtrack verstrickt sind und trotzdem so universell begeistern. Bevor wir jetzt anfangen, den Kultstatus dieses Films zu feiern oder zu bezweifeln, sollten wir uns kurz vorstellen, wie es gewesen sein müsste, den Film zu sehen, bevor er zum Kult wurde, bevor die Sechziger zu einem Märchen wurden. Es ist einfach ein kluger Film mit einer weisen Botschaft und einem Killer-Soundtrack. Wenn Dustin Hoffman zu Sound of Silence durch einen Sommer voller Sex und Leere wandert, dann muss das nicht jeder lieben. Nein, Die Reifeprüfung erfindet das Rad nicht neu. Aber der Film schreibt Popgeschichte. Das können wir nicht bestreiten.

Filme wie 500 Days of Summer und Garden State wären wahrscheinlich gar nicht entstanden ohne so ein Referenz-Monstrum wie der Reifeprüfung im Rücken. Mike Nichols schafft es nach seiner Schutt und Asche zurücklassenden Beziehungs-Nemesis Wer hat Angst vor Virginia Woolf, einen melancholisch-optimistischen Film zu drehen und schreibt sich damit in die Geschichtsbücher der entstehenden Popkultur. Er fängt die Leere, die Bedeutung, die Langeweile und das Adrenalin eines jugendlichen Sommers ein und lässt alles in einem befreienden und trotzdem läuterndem Ikonoklasmus eskalieren. Der Film ist ein Bildersturm auf alles Falsche und gleichzeitig stellt er seine eigene Macht in Frage. Ein durch und durch fairer Film, der uns nachdenklich in die Wirklichkeit entlässt. Der wahre Film kommt nach dem Film.

Now fuck off and die!
Mit Hautnah meldete sich Mike Nichols im einunzwanzigsten Jahrhundert zurück. Julia Roberts hat er gleich mitgebracht. Nie durfte (oder konnte) Julia Roberts vorher so hemmungslose Dialoge durchkämpfen, so wutentbrannt über Ficken und Fotzen herumschreien. Mike Nichols kommt in Hautnah zur Zerstörungsbereitschaft und Hässlichkeit des Beziehungsmenschen zurück, und in Sachen Gift, Galle und Sinnlosigkeit erinnert der Film sogar zeitweise an Wer hat Angst vor Virginia Woolf.

Natürlich reichen Jude Law, Natalie Portman, Clive Owen und Julia Roberts nicht an die psychotische Totalität von Richard Burton und Elizabeth Taylor heran. Aber es sind wirklich ein paar sehr intensive Szenen in diesem Film zu sehen. In Hautnah merkt man den Dialogen, der Szenendramaturgie und der Charakterentwicklung wieder den Theaterfachmann an. Doch der Soundtrack hat wieder eine ähnlich filmisch popkulturelle Wucht wie schon in Die Reifeprüfung. Ich zumindest habe mir schon zwei Tage nach dem Kinobesuch das Album von Damian Rice geholt.

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