Der Brasilianer Fernando Meirelles wurde schlagartig mit City of God bekannt und sicherte dem lateinamerikanischen Kino wieder größere Aufmerksamkeit. Erzählt wird von einem mörderischen Cliquenkampf unter Kindern und Jugendlichen, die den Drogenhandel in der Favela kontrollieren. Vor sechs Jahren kam der Film in unsere Kinos und begeisterte wegen seiner außergewöhnlichen Bildsprache, seiner rasanten Montage und seines brisanten Stoffes. Angeblich hat der Film weltweit eine halbe Milliarde US-Dollar eingespielt, für Fernando Meirelles jedenfalls öffneten sich die Türen der Produzenten. Mit dem Politthriller Der ewige Gärtner konnte er zwar nicht an den Erfolg anknüpfen – etwas zu behäbig kommt der Film daher – aber wieder drehte er einen politisch engagierten Film, der mehrfach ausgezeichnet wurde. Mit Die Stadt der Blinden verfilmt er eine Geschichte des portugiesischen Literaturnobelpreisträger José Saramago und beweist einmal mehr, dass politisches Kino ganz groß sein kann.
In Die Stadt der Blinden wird eine Stadt von einer Epidemie heimgesucht, die Bewohner werden blind. Die ersten Betroffenen werden unter Quarantäne gestellt. Unter katastrophalen Bedingungen müssen sie vegetieren. Lebensmittel werden rationiert, leicht werden sie Beute Krimineller. Es gibt eine Zeugin dieses Alptraums. Die Frau eines Erblindeten (gespielt von Julianne Moore) folgt ihrem Mann in die Quarantäne und führt eine Gruppe Kranker in die Freiheit. Thema des Films ist die menschliche Würde, an die auch in Zeiten von Krisen und Katastrophen festgehalten werden muss.
Es ist schon ungewöhnlich, dass dieser Film, den keiner so wirklich auf seinem Zettel für Cannes hatte, das Festival eröffnet. Ein unbeschriebenes Gesetz besagt nämlich, dass der Eröffnungsfilm Frankreich als Gastnation in irgendeiner Weise würdigen soll. Unter diesem Blickwinkel passiert es schon mal, dass wie 2006 The Da Vinci Code das Festival eröffnet. In diesem Jahr gibt es also keine Instrumentalisierung und einen weltoffenen sowie thematisch aktuellen Auftakt. Das Festival steht mit seinen Filme im politisch-sozialen Brennpunkt: Filme über den Revolutionär Che oder über den Libanesischen Bürgerkrieg stehen dafür. Ob es sich dabei auch um großes Kino handelt, werden wir in den nächsten 10 Tagen erfahren.