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"Ich hasse dich" - Was du nicht sagst,...

04.11.2015 - 22:41 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Anakin: sagt gerne, dass er andere hasst.
Twentieth Century Fox of Germany GmbH
Anakin: sagt gerne, dass er andere hasst.
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... hätten wir anders tatsächlich nicht wissen können. Denn sehr erfolgreiche Filme unserer Tage leiden darunter, dass sie ohne lästige Dialogformen nicht ausreichend auskommen. Statt zu zeigen, lässt man sprechen. Die Gefahr besteht, dass das Kino zum fantasielosen Effektekarussel verkommt. Eine Kritik an der Art, wie Dialoge in Filmen funktionieren, kann nicht schaden.

1. Hitchcock - Im Anfang war das Bild

„Es ist bedauerlich, dass das Kino mit Aufkommen des Tonfilms in einer theaterhaften Form erstarrt ist. Die Folge ist das Verschwinden des filmischen Stils und auch ein Schwund an Phantasie. Wenn man einen Film schreibt, kommt es darauf an, den Dialog und die visuellen Elemente säuberlich zu trennen und, wann immer es möglich ist, dem Visuellen den Vorrang zu geben.“ (F. Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, Heyne: 2003, S. 54)

Mit dem Vorrang des Visuellen meint Hitchcock nicht etwa die CGI-Schlacht im letzten Hobbit, sondern eine metaphorische Bildsprache, die den Zuschauer in die Handlung emotional verwickelt und ihn zum Mitdenken anregt. Der Dialog ist für ihn eine ultima ratio, die erst im allerletzten Notfall ergriffen werden darf, wenn das Gezeigte nicht mehr in der Lage ist, eine Aussage im Zuschauer auszulösen. Das gesprochene Wort ist für Alfred Hitchcock also ein Eindringen in die Fantasie des Rezipienten, die ihrerseits in der Kombinatorik des Gesehenen begriffen war, jäh aber unterbrochen und aufgelöst wird. (Bsp.: er würde eine Figur nicht gestehen lassen, dass sie alkoholabhängig ist, sondern zeigen, wie sie heimlich ihre Flasche in die Tasche zurücksteckt). Zeit seines Lebens beklagte der Master of suspense das Verschwinden des Stummfilms, dessen Erzeugnisse für ihn die eigentliche Filmkunst repräsentierten. Aber auch in einer Zeit sprechender Figuren als selbstverständlichem Bestandteil des Films besitzt die Kritik an der unangebrachten Dialoglastigkeit als Phänomen große Relevanz, ja Notwendigkeit.


2. Jan Tenner - Alle basteln an der Matrix mit

A: „Da ein Hase, er versucht aus dem Nebel zu entkommen.“
B: „Er schafft es nicht. Er bricht zusammen. Er stirbt.“
A: „So wie alle Bewohner von Greyville sterben werden, wenn wir den Nebel nicht stoppen.“ (Jan Tenner - Tödlicher Nebel, Kiosk: 1997)

Wer im entsprechenden Alter ist und sie kannte, der liebt sie heute noch, gerade auch für ihre teilweise lächerlichen Dialoge: die Jan-Tenner-Hörspiele. Obwohl es in ihnen einen Erzähler als Scharnierstelle zwischen den Szenen gibt, übernehmen die Figuren selbst oft seine Aufgaben. B schildert A, was sich vor den Augen beider abspielt. Daher wirkt diese Redepartie auch eigenartig überflüssig. Der Adressat ihres Dialogs ist aber eben der Hörer, der im Gegensatz zu den Figuren kein Seherlebnis hat.
Die Figuren A und B vollziehen einen hochgradig performativen Sprechakt. Was ist das? Performativität des Sprechens (John L. Austin, How to do things with words, HUP 1962) zeichnet sich dadurch aus, dass sich Handeln erst durch Sprechen konstituiert. Beispielhaft sind Formalakte wie: "ich taufe dich", "hiermit eröffne ich...", "ich verfluche dich". Ohne diese Formeln gäbe es auch das Ereignis der Taufe, des Eröffnens oder des Verfluchens nicht; sie werden also durch Sprechen erst realisiert, wobei Sprechen und Handeln ineins fallen. So gesehen erschafft und tötet Figur B den Hasen selbst, weil er die Welt, in der er lebt, durch Sprechen teilweise miterschaffen hat. Das wirkt reichlich lächerlich, weil man auch im Hörspiel sicherlich subtiler arbeiten kann.
Was aber für dieses Medium von Natur aus legitimierbar ist, weil Dialoge und Erzählerstimme nur noch durch Musik und Geräusche flankiert werden können, kann im Film zum Verrat am eigenen Medium werden.

3. Die Skywalkers - Hass als Verwaltungsakt?

"I killed them all. They are dead, every single one of them and not just the men, but the women.. and the children, too. i hate them." (A.S., Episode II)
"Some day i will be the most powerful jedi ever." (A.S., Episode II)
"I hate you." (A.S., Episode III)
(Star Wars - Trilogie: Der Anfang, Episode I-III [3 DVDs], Twentieth Century Fox: 2013.)

In allen denkbaren Filmen gibt es Dialoge, die der Zuschauer mit Spannung erwartet und auf die er auch beim hundertsten Mal so harrt, wie beim ersten Mal; sei es ein Liebesgeständnis, eine Hasstirade oder ein pathetisches Einschwören der Soldaten auf die bevorstehende Schlacht. Gut sind all diese Redepartien aber nur dann, wenn sie mit filmischen Mitteln vorbereitet worden sind: erst die traumatischen Erlebnisse und die Enttäuschungen, die der Zuschauer mit der Figur William Wallace (Braveheart, 1995) annähernd leiblich aufsaugt, können ihm den Schrei nach "Freiheit" am Ende des Films in aller Konsequenz und Glaubwürdigkeit durch Mark und Bein jagen. Worte sind nicht in der Lage, aber auch gar nicht nötig, die Bedeutung und die Tragödie des Geschehenen abzubilden. Der Ausschrei "Freiheit" vermag an diesem Kulminationspunkt einen ganzen Blumenstrauß an Emotionen und Assoziationsblitze auszulösen, weil er am Ende einer facettenreichen cineastischen Achterbahnfahrt steht, die von erster Güte ist. So wächst der Schrei über den historischen Moment und die moralische Größe des indivuellen Opfers ins Allgemeingültigste hinaus. Man kann zu Mel Gibson und seinen Filmen stehen, wie man will, aber Filmkunst hat diesen Moment erzeugt und magisch (nicht madig) gemacht.
Bei den neueren Star-Wars-Episoden wird mithilfe der uns bekannten Performativität nachgeholt, was man in Bildern nicht zeigen durfte, weil man die Altersbeschränkung berücksichtigte oder nicht zeigen wollte, weil man einen inkonsequenten Plot-Schwerpunkt gesetzt hatte. So lässt man Anakin am Ende wuterfüllt zu Obi-Wan sagen: "I hate you". Dieser verbal beteuerte Hass ist nie furchterregend oder schmerzhaft, weil er sich nicht bis zu diesem Punkt gesteigert hat, was die Äußerung selbst sogar überflüssig gemacht hätte. Die Worte wirken wie die nachträgliche Notwendigkeit, dem Publikum den schuldigen Hass nachzureichen, der einer leidlich in Darth Vader überführbaren Figur fatalerweise die Hitchcock'sche ultima ratio als Hauptakt autorisiert. Die Figur ist per Script zu schwach, um durch geringste Gesten ihren Emotionen spürbar Ausdruck und Wirkung zu geben. Dabei ist gerade das die Stärke des Mediums Film, sofern es als autonome Kunstform ernstgenommen wird.

Statt nun einer blutleeren, geradezu gruselig unüberzeugenden Liebesgeschichte den Vorzug zu geben, hätte man von der Beziehung der mutmaßlichen Freunde Anakin und Ben Kenobi erzählen müssen. Nicht aber, indem der eine (performativ!) beteuert, wie sehr er der Freund vom andern ist ("Ich bin dein Freund"), sondern indem der eine dem anderen seine Freundschaft sichtbar unter Beweis stellt. Erst diese mitspürbare Vorgeschichte hätte den Hassausbruch als emotionalen Tiefschlag für alle kulminieren lassen.
Dieser Anakin scheint nun als Filmfigur selbst akut zu realisieren (!), welche Erwartungen die Zuschauer an ihn gestellt hatten und er kaut ihnen in unerträglich performativer Intensität vor, was sie vermeintlich von ihm hören wollen: "Ich werde Darth Vader sein und deshalb muss ich richtig viel hassen." In seiner hölzernen Performanz unterscheidet sich Anakin im wesentlichen übrigens auch von seinem Sohn Luke, dessen Akte sich immer an emotional motivierte und überzeugende Trigger anschließen. Wut und Trauer sind Ergebnisse einer Provokation, nicht Ergebnis einer zu erfüllenden Pflichtrolle, die verbal performt werden muss: "ich bin wütend auf dich", wenn Darth Vader die Verführung von Leia zur dunklen Seite andeutet. Ein Spiegel der unterschiedlich dargestellten Emotionenhaushalte sind die Laserschwertkämpfe: im einen Fall steril und emotionslos, einer tänzerisch perfekt auszuführenden Performance (!) gleich (Emotionen werden auf danach verschoben), im anderen Fall ein unbeholfenes Gehacke...
In seiner Sachlichkeit hat Anakin keinerlei emotionales Bindungspotential und seine Dialogpartien sind ernüchterndes Symptom für die Fantasielosigkeit der Filmemacher, die sich in der Fantasielosigkeit des Publikums noch spiegelt. Von der psychologischen Verzweiflung eines im zermarternden Dilemma Befangenen bild- und symbolhaft zu erzählen, sind sie schuldig geblieben und haben damit nicht nur Star Wars verraten, sondern ihr Medium selbst. Performative Dialoge sind dabei zum Instrument einer ökonomisierten Schnellbleiche geworden, die lieber über dem bombastischen Szenario in schlecht alterndem CGI-Getöse schwelgen, statt den Figuren erinnerungswürdiges Format zu verleihen.


4. Mad Max - die Erlösung

Star Wars ist nur ein Repräsentant für die unsägliche Flucht in perfomative Sprechakte zeigenössischer Reboots und Prequels, die dem Publikum den Originalfilmbezug unmissverständlich ins Gesicht werfen müssen, statt den bekannten Figuren ein autonomes Selbstverständnis zu geben. Transformers, Terminator 5, Jurassic World oder die sogenannte Hobbit-Trilogie triefen davor. Leider wird dabei in Kauf genommen, dass man einen Wesenskern der Filmkunst veräußert, ja geradezu verrät: die Bildsprache.
Ein positives Beispiel sticht 2015 aber heraus: Mad Max: Fury Road. Dem Film wird gelegentlich vorgeworfen, dass er dialog- und folglich handlungsarm sei. Aber die Dialogarmut bewirkt Gegenteiliges. Denn lästige Funktionsdialoge, die dem Zuschauer noch das letzte Detail eines Szenarios vorkauen, werden gerade vermieden. In einem Gespräch zwischen Max und Furiosa fragt Max, "was mit denen da ist". Und Furiosa antwortet: "Die suchen nach Hoffnung." Statt also breit zu erklären, wer was, wie, wo oder wann gemacht hat, werden Dialoge auf abstrakte Begriffe hingeführt, um sie dann zu beenden. Wörter sind hier quasi anti-performativ, weil sie trotzig den Bildern die Erzählung überlassen. Der Zuschauer wird ernstgenommen und kann im Gleichschritt mit den Bildern aktiv die postapokalyptische Welt mitkonstruieren. Damit durchbricht Mad Max die Entmündigung des Publikums durch performative und antizipierende Dialogelemente, indem er die Offenheit visueller Mittel zelebriert. Ich hoffe, dass besonders dieser Film einen langfristigen Gegentrend setzen konnte, der das Blockbuster-Hollywood-Kino in dieser Frage ausbalanciert, um die performativen Anteile an Dialogen zu reduzieren. Auch Star Wars - Episode VII scheint mir da vielversprechend zu sein, weil die Trailer bereits Akzente in dieser Richtung gesetzt haben.
Diskussionsstoff wünscht: MichaelJ.


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