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Ich und meine Eindrücke zur Kommentier- und Argumentierkultur der Gegenwart

20.02.2015 - 13:07 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Szene aus Unbreakable
Buena Vista International
Szene aus Unbreakable
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Von Kommentaren, Extremen, dem Hass und der allgemeinen Betrachtungsweise einer Einzelnen

Wir leben in einer Gesellschaft der Lover und Hater, in einer Gesellschaft, in der die freie Meinungsäußerung im Internet offen und mal mehr, mal weniger differenziert, reflektiert oder bedacht zelebriert wird, in der die Aufreger, die Abreger, die Trolle und die stillen Beobachter, die Intellektuellen und die Helden der Arbeit, die Bekannten und die Fremden zusammentreffen und diskutieren dürfen.
Ginge es um ein Zusammenspiel jeglicher Schichten, Individuen und Meinungsvertreter zu einem gemeinsamen Thema, käme jedes Messageboard, jede Community einem Utopia an neuen Erkenntnissen gleich, denn wie viele Dinge würden wir aus den Aussagen der anderen lernen, wie interessant wäre es, die Sicht der anderen mit der eigenen zu vergleichen, sich durch schlüssige Argumentation umstimmen zu lassen oder andere umzustimmen, zuzustimmen, Gegenparts zu bilden und Gleichgesinnte zu finden. Nur leider ist die Realität oft genug eher das Chaos.

Natürlich gibt es sie noch, die „gute Diskussion“, per Definition der Dialog einer Anzahl von Personen, welche ein bestimmtes Thema untersucht und in der diese Personen unter Einbindung von Argumenten arbeiten. Natürlich gibt es sie noch, die Menschen, die nicht glauben, ein Argument wäre dasselbe wie eine Meinungsäußerung und ein „Find ich scheiße, soll weg gehen.“ wäre das beste Argument aller Zeiten, da man sich so nicht weiter mit dem Problemthema an sich befassen muss. Natürlich gibt es noch Menschen, die wissen, dass Toleranz nur eine weitere Form der Ignoranz ist und sie im Falle der Diskussionskultur eben nicht Toleranz, sondern zu einem gewissen Grad Akzeptanz walten lassen sollten, denn um die Gegenmeinung zu verstehen, reicht es nicht, zu tolerieren, dass es Gegenargumente gibt, denn man muss diese eben akzeptieren also anerkennen, vor allem wenn man sie hinterfragen will.
Natürlich gibt es noch Menschen, die die Grauzonen zwischen Schwarz und Weiß, zwischen den „Ich liebe es!“-Ausrufen und den „Größter Scheiß der Welt!“-Aufschreien erkennen. Doch es wird einem auch nicht unbedingt leicht gemacht, so kompakt wie die Möglichkeiten der Reflexion in der öffentlichen freien Meinungsäußerung immer mehr gesetzt werden.

Werden wir gezwungenermaßen zu besseren Primaten, die ihre dahingerotzte Meinung zu einem Thema in eine winzige Antwortzeile setzen, um diese als eine Art Argument zu verkaufen, ohne vorher groß über die Hintergründe ihres Unmutes über das Thema nachzudenken, weil es ja so einfach ist, sich im Internet dieses Unmutes zu entledigen? Werden wir zu Wesen, für die die Meinung des anderen nicht mehr zählt, weil des im Endeffekt darum geht, seine eigene durchzusetzen, da diese viel zu vorgefertigt und zementiert ist, um sich irgendwie widerlegen zu lassen?
Gibt es nur noch „Liebe“ und „Hass“, „Gut und „Schlecht" und nichts mehr dazwischen?

Ich glaube nicht, dass sich jemand dem entziehen kann, irgendwann ein typischer Meinungsproll gewesen zu sein. Bezogen auf das Thema Film, bezogen auf das Thema Musik, die heutige Popkultur in vielerlei Hinsicht drängt die Menschen dazu, ihre Meinung kundtun zu wollen und das Internet gibt jedem die Möglichkeit, dies fast konsequenzenfrei zu tun.
Ob die Nachricht über einen "Ghostusterinnen"-Film mit Melissa McCarthy oder der Erfolg von „Fifty Shades of Grey“, ob die Auffassung Michael Bays, dass mehrere aneinandergereihte Explosionen schon einen guten Blockbuster abgeben oder ein Konzertfilm von Justin Bieber, der unbedingt im Kino laufen muss, all diese Sachen haben sicherlich sehr viele Leute schon sehr oft beschäftigt. So etwas gab es in der Vergangenheit und so wird es auch in der Zukunft sein, sollte nicht irgendjemand aufgrund seines inneren Grolls das Gefühl haben, dem Ganzen ein Ende setzen zu müssen und eine Bombe auf… einfach alles zu werfen.
Wir leben nicht im Glücksbärchiland, niemand sollte mit seiner Meinung aufgrund der Meinungen anderer unnötig hinterm Berg halten, jedoch werden oft genug diejenigen, die den Verfall von Anspruch, den Verfall von Moral und die mediale Verdummung anpreisen, eben zu denjenigen, die den Verfall all dieser Dinge mit ihren Aussagen und ihrer Ignoranz zelebrieren, indem sie vergessen, dass das Internet eben kein rechtsfreier Raum ist. Man löst selten (meist banale) Probleme mit Shitstorms, nur weil einem etwas nicht passt. Filmbezogenes Beispiel: Nur, weil man selbst Schwierigkeiten mit einem Film hat, kann man nicht erwarten, dass dieser Film durch Aufregen aus dem eigenen Sichtfeld verschwindet, nur weil ein bestimmter Prozentsatz genauso denkt (Es sei denn, es sind 100 Prozent…). Wir sind nicht Nordkorea. Es gibt genug Beispiele, die die Frage aufwerfen, ob manche Menschen ab und an jedoch manchmal diesbezüglich nicht ganz gern Nordkorea wären.

Was ich jedoch schon ansprach, ist das das Problem, dieses Meinungsproletentum und diese übertriebene Verwendung von Extremen, vielleicht gar nicht so sehr an den Nutzern selbst liegt. Vielleicht wird es uns einfach nur sehr einfach gemacht, unreflektiert und undifferenziert zu handeln. Wenn wir Facebook sehen, sehen wir dort jeden Tag Unmengen von unqualifizierten Antwortejakulaten unter diversen Beiträgen. Man fragt sich gar nicht mehr, ob die User, die so etwas produzieren, nicht einfach ihren Kopf über die Tastatur gerollt haben. Es ist zu einer Normalität geworden, zu sehen, zu reagieren, zu versenden. Es ist einfach. Und Zeit, sich wirklich mit etwas auseinanderzusetzen, hat sowieso kaum noch jemand, oder zumindest vermittelt dies die heutige Welt in vielerlei Hinsicht.
Nun ist Facebook nicht gerade eine Plattform, welche in erster Linie eine Diskussionsplattform darstellt. Doch da Foren einer aussterbenden Spezies angehören, was tritt an deren Stelle? Eben diese Meinungsäußerungskommentarfelder, welche längere Beiträge schon einmal ausschließen und jedem die Möglichkeit geben, auch einmal ohne Nachzudenken seine Gedanken zu verbreiten. Dabei kommen oft genug voreilige und qualitativ minderwertige Beiträge heraus, die teils vielleicht nicht die Meinung des Verfassers ausdrücken, da dieser nach längerem Nachdenken oder anderen Wegen der Umentscheidung etwas ganz anderes hätte schreiben wollen. Oder aber diese Funktion wird benutzt, um von vorne herein seiner Ablehnung Gehör zu verschaffen: "Wenn ich Adam Sandler scheiße finde, soll es die ganze Welt erfahren, verdammt noch mal! Ich verstehe sowieso nicht, wie den jemand mögen kann!"

In Zeiten, in denen die Forencommunitys boomten und man sich sein Forum zu seinem Thema aussuchen konnte, gab es natürlich nicht immer durchweg gut qualitative Beiträge, aber(!) es gab sie in größerer Zahl, in der sie heute, in welcher Form auch immer, existieren.
Man muss dazu auch den Unterschied zwischen einem Kommentar sehen, welcher ebenjene Meinungsäußerung vertritt, und einer wirklich Diskussion, die sich aus einem Kommentar, einem Post, einem Artikel oder was auch immer ergibt. Nicht alle Meinungsäußerungen sind für die Tonne.
Es fällt nur auf, dass sich die Extreme häufen, in denen geschrieben wird, sowohl zum positiven als auch zum negativen. Ich bin davon nicht ausgenommen, denn ich denke, jeder verfällt irgendwann in so eine Situation, da es einfach ist, so zwischen Tür und Angel, mal schnell noch seine Meinung rauszuhauen.

Ja, aber worauf will ich eigentlich hinaus? Die Argumentier- und Diskussionskultur im Netz ist im Laufe der Zeit zu einer Art Kommentierkultur geworden, weswegen das Niveau vom Nachdenken, was man ausdrücken will, und dieses dann zu vermitteln, in ein Schreiben und Posten in ein bis vier Sätzen übergegangen ist. Es wird zu oft in Extremen gedacht, bzw. sich in Extremen ausgedrückt und die Anzahl der beleidigenden, unbedachten Posts sind erhöht. Das spricht nicht für ein Miteinander, für eine Community, sondern für eine Pofilierung des Einzelnen, wie in so vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft.

Mich würde ja mal interessieren, wie die allgemeine Meinung auch aufgrund so einiger Ereignisse, wie zum Beispiel dieser Till Schweiger-Sache, der Aufregung um die Leibesfülle bestimmter Schauspielerinnen, Shitstorms gegen Shades-Of-Grey-Jünger oder was auch immer, aussieht, da wirkliche Diskussionsplattformen nicht mehr so reich gesäht sind, sofern ich das nicht falsch sehe.
Außerdem: Wie ich oben schon schrieb: So ein Kommentar ist recht schnell verfasst. ;)


(Ich möchte übrigens nur ganz am Rand bemerken, dass diese Kritik nicht gegen Moviepilot bzw. irgendwelche Aktivitäten hier läuft, gegen die Kommentare, die hier gepostet werden oder den Ton, der hier herrscht, weil ich diese Community als doch sehr entspannt, nett und reflektierend empfinde. Es gibt natürlich immer Ausnahmen.^^
Nein, das hier ist eigentlich ganz allgemein als Beobachtung zu verstehen.)


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