Ida, das unerwartete Geschenk

03.01.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Agata Trzebuchowska in IdaArsenal / moviepilot
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Der erste Kommentar der Woche des neuen Jahres feiert einen der besten Filme des vergangenen - und hat nicht umsonst den Europäischen Filmpreis als Bester Film gewonnen: Ida!

Auch 2015 (Frohes neues Jahr übrigens!) suchen wir wieder jeden Samstag einen ganz besonderen Kommentar, der euch auf moviepilot oder gamespilot aufgefallen ist. Ob gerade erst verfasst oder schon länger ein Teil der Kommentare, ob zu einem Blockbuster oder einem übersehenen Meisterwerk, ob zu einer Legende oder einem neuen Talent, zu einer Serie, einer News oder einem Spiel - jeder Kommentar da draußen kann Kommentar der Woche werden! Sagt uns einfach kurz Bescheid, und vielleicht steht er schon nächsten Sonntag hier.

Der Kommentar der Woche
Diese Woche gehört unser kleines Podest ganz einem der großartigen kleinen Filme, die jedes Jahr vom großen Publikum größtenteils übersehen werden: Der polnisch-dänischen Koproduktion Ida, die nicht nur moviepilot-User DerDude_ begeistert hat.

Es geschieht, dass man von Zeit zu Zeit den Eindruck bekommt, die Vergangenheit würde sich wiederholen, oder in anderer Form wieder auftreten. Erst letztes Jahr hatte ich den Eindruck, als wäre die Magie der Filme von Federico Fellini in neuen Filmen zurückgekehrt. Der Film der mich dies glauben ließ war La Grande Bellezza - Die große Schönheit. Dieses Gefühl hatte ich heute Abend schon wieder. Nur heute hatte ich den Eindruck, Ingmar Bergman habe uns einen neuen Film geschenkt.



Polen in der Nachkriegszeit : Die junge Novizin Anna steht kurz vor ihrem Gelübde. Vom Leben erwartet sie nicht viel. Außerhalb ihres monotonen Klosterlebens pflegt sie nichts. Doch eines Tages trifft sie auf ihre Tante Wanda, die sie noch nie zuvor gesehen hat. Von ihr erfährt Anna die Wahrheit über ihre Herkunft und über ihren Namen. Das alles führt beide zu einer Reise in die Vergangenheit, zu den tragischen Wurzeln von beiden.



Es ist schon einmal kein schlechte Zeichen wenn Robert Bresson und Carl Theodor Dreyer zu den Inspirationsquellen des Regisseurs zählen. Und tatsächlich: Von seiner Thematik her wirkt Ida wie ein Werk beider Meisteregisseure, ohne dabei Altes neu aufzuwärmen.

Ida erzählt von dem Ursprung des Menschen, dass unser "Jetzt" immer einem "Damals" entspringt, und dass dieses "Damals" oft anders ist, als wir es uns vorstellten. Den Konflikt zwischen Katholizismus und Antisemitismus im Angesicht des Holocaust streift der Film dabei nur. Ida ist kein politischer, sondern ein menschlicher Film.



Von seiner Ästhetik her erinnert der Film mehr als einmal an die Filme von Béla Tarr. Das liegt an der großartigen Schwarz/Weiß-Atmosphäre, die dieses Road Movie versprüht. Die in Tristesse getauchten Bilder strahlen eine melancholische Schönheit aus. Jedoch ohne eine wirklich passende Musikuntermalung, ansonsten würde das zu sehr in Tarr-Nacheiferei münden. Das tut Ida aber nicht. Als (seltene) Musikuntermalung gibt es verführerische Jazzmusik, etwa bei einem nächtlichen Hotelbesuch.

Das Herzstück des Filmes ist definitiv das Verhältnis zwischen der angehenden Novizin Anna und ihrer Tante Wanda. Während Wanda ein eher lockeres Leben führt und abends gerne mal weg geht, ist Anna voll und ganz der Kirche versprochen und hat keinerlei Sehnsucht nach Wandas Lebensstil. Jedoch beginnt Annas Fassade zu Bröckeln. Erst ganz am Ende wird deutlich, welchen Eindruck Wanda auf Anna hinterlassen hat. Und es wird auch deutlich, dass Wandas zynische, lockere Art nur ein Ventil ist, um den Schmerz der ihr innewohnt, verstecken zu können.



Ein großes Lob muss ich den beiden Hauptdarstellerinnen zukommen lassen, welche beide die bisher vielleicht besten Leistungen 2014 hinlegen. Agata Kulesza ist als Wanda großartig in ihrer Rolle und lässt den Zuschauer die Vielfalt der Gefühle in ihrer Figur spüren. Die ganz große Sensation ist aber Agata Trzebuchowska als Anna. Ihr wundervoll melancholisches Spiel lässt einen eintauchen in die Gefühlswelt der angehenden Novizin, und das ohne viele Worte. Sie hat etwas von der schauspielerischen Urgewalt einer Liv Ullmann und der rehähnlichen Unschuld einer Carey Mulligan. So kindisch und albern es auch klingt, so muss ich gestehen, mich ein bisschen in sie verliebt zu haben.



Die große Frage die IDA stellt: Inwiefern beeinflusst unsere Vergangenheit unsere Gegenwart. Also das typische "Was wäre wenn?". Wer wäre ich heute, wenn damals das und das passiert wäre? Und vor allem: Wo gehören wir letztendlich hin? Welcher Platz ist der richtige für uns? Fragen, welche zuvor nur der Altmeister aus Schweden so großartig zu stellen wusste.



Irgendwie habe ich das Gefühl, der Zukunft des Kinos beizuwohnen. Es mag übertrieben klingen, aber wenn Paolo Sorrentino der neue Federico Fellini ist, dann ist Pawel Pawlikowski der neue Ingmar Bergman. Obwohl, dafür sind beide Regisseure zu eigenständig, um auf Vergleiche reduziert zu werden. Aber egal, ein Statement musste her.

Ida ist das wohl größte Highlight unter den kleinen Filmen des großartigen Kinojahres 2014.

Den Kommentar der Woche findet ihr übrigens hier.

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