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In der Traumafabrik: Sunset Boulevard

29.08.2015 - 09:00 Uhr
Sunset Boulevard
Paramount
Sunset Boulevard
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Aktion Lieblingsfilm 2015

Man kann sagen, dass Billy Wilder auch mit "Sunset Boulevard" wieder übertreibt, so, wie er auch schon mit der moralinsauren Alkoholikerfabel "The Lost Weekend" übertrieben hat. Wenn im Voiceover gesagt wird, was man als Zuschauer ohnehin sieht. Man kann sagen, dass auch Gloria Swanson übertreibt, dass sie Norma Desmond stärker zur Karikatur macht als unbedingt nötig. Und man kann sagen, dass es überhaupt dämlich ist, sein Auto in der Garage einer unheimlichen Villa abzustellen, von der man nicht mit Sicherheit weiß, dass sie verlassen ist, goddammit (der heutige Filmkenner hat natürlich mehr Angst vor Serienmördern als vor destruktiven Beziehungen). Man kann es aber auch lassen.


Es dauert nicht lange, bis man von "Sunset Boulevard" gefangen ist, es passiert in dem Moment, wenn man die Villa von Norma Desmond zum ersten Mal sieht. Sie ist geradezu obszön groß, edel eingerichtet, geschmackvoll, doch in einem Geschmack, der damals abstoßend gewirkt haben muss und heute, 65 Jahre später, museal. Sie hat hohe, reich verzierte Wände, die jedes Licht schlucken, und große Tanzsäle, in denen man Platzangst bekommt. Und obwohl die Villa von Desmond, ihrem Diener Max und bald auch von Joe Gillis bewohnt wird, wirkt sie unheimlich verlassen. Im Grunde erzählt ihr Anwesen schon alles über den verglühten Stern der Norma Desmond. Vor dem Außerhalb, vor der Gegenwart hat sie Angst - zurecht, vermutlich -, deswegen verschanzt Norma sich zwischen Ego-Schrein und privatem Stummfilmkino in Zimmern, in denen es noch immer 1925 ist. Hier ist sie noch immer Königin, hier kann sie nichts anderes sein.


Melodrama und Grandezza sind dabei bloß geschickte Köder bei einem Film, der in seiner Figurenzeichnung gerade durch Subtilität besticht. Mögen die Charaktere auch als Typen eingeführt werden, groteske mitunter, sie werden stets zu Menschen. Mag Wilder mit ihnen auch hart ins Gericht gehen, er ist nie ausweglos zynisch. Der steingesichtige Diener Max von Mayerling bekommt Risse in seiner Fassade, durch die die Tragik seiner Figur durchscheint. Norma Desmond, unerträglich, wenn sie sich ihrer Macht versichern muss, offenbart Zärtlichkeit und Sehnsucht, wenn sie sich bei ihrem Geliebten in Sicherheit wähnt - so brüchig und falsch diese Sicherheit auch sein mag. Joe Gillis, Drehbuchautor, so jung und schon so erfolglos, kaschiert mit Konfliktscheue und passiv-aggressiven Spitzen, die Norma nicht versteht, eine tiefsitzende Schwäche und Niedertracht - doch er weiß darum, er kämpft gegen sie, er erlangt am Ende gar einen Etappensieg, so wenig es ihm auch bringt. Und Betty Schaefer, eigentlich eine bloße Ablenkung, für die es ausgereicht hätte, süß und 22 zu sein, diese Betty Schaefer ist schon in ihrer ersten Szene, in der sie Gillis' Drehbuch verreißt, so viel mehr als das. Darauf, dass sie süß und 22 ist, ist Betty Schaefer, selbst ambitionierte Drehbuchautorin, nämlich überhaupt nicht angewiesen.


Damit steht Betty Schaefer für den Gegenentwurf zur Misere der anderen Figuren. Sie ist eine schlagfertige junge Frau, idealistisch genug, um es in Hollywood zu versuchen, naiv jedoch nicht mehr. Ja, sie muss heiraten und Romanzen haben, das Drehbuch und das Jahr 1950 wollten es so, und doch bleibt sie im Beziehungsgeflecht die einzige, die wirklich souverän ist. Die anderen begeben sich in Abhängigkeiten, geben ihre Persönlichkeit auf für etwas (angeblich) Wichtigeres, und verlieren am Ende mehr, als sie sich zu träumen wagten. Joe Gillis gibt sich selbst für finanzielle Sicherheit auf, vordergründig, und weil sein Selbst, dieser abgehalfterte Möchtegern ohne Erfolg oder Vision, es ihm nicht wert ist, behalten zu werden. Max von Mayerling gibt sich selbst für Norma auf, für ihren längst geplatzten Traum, an den er genau wie sie glauben muss, um leben zu können. Und Norma Desmond hat sich aufgegeben, um Schauspielerin, Diva, Star zu sein, um Kunst zu werden, etwas Größeres als ein Mensch, etwas Größeres als sie selbst.

Und am Ende war sie alt und einsam und gab sich der Lächerlichkeit preis mit Allüren und schlechten Drehbüchern. Das hatte sie nun davon, möchte der Film sagen.

Oder?


Es ist leicht, über Figuren wie Norma Desmond zu lachen, über ihre Weltfremdheit und Arroganz, und falsch. Wilder macht nicht den Fehler, Desmond vorzuführen oder zu verurteilen. Seine Inszenierung und Swansons Schauspiel machen die Figur zu einer tragischen, entlarvenden. Ja, Norma Desmond mag alt geworden sein, überflüssig in der Verwertungslogik des Filmgeschäfts - doch welches Recht haben wir, darüber zu lachen? Warum nur muss sich jemand mit einer banalen, unzumutbaren Wirklichkeit abfinden, der auf Leinwänden Überlebensgröße bewiesen hat? Wer nimmt sich das Recht, Norma zu vergessen, nachdem sie sich für ihren Traum selbst vergessen hat? Habt ihr sie nicht aufgebaut, habt ihr sie nicht alle einmal so begehrt, ihr Regisseure und Drehbuchautoren und Kinobesucher? Glaubt ihr etwa, euer designiertes Monster würde existieren, wenn es euch nicht gäbe? Könnt euch nicht noch immer spiegeln, dort, im Glanz dieser weit aufgerissenen Augen? Those wonderful people out there in the dark? Alright, Mr. DeMille, I'm ready for my close-up.

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Dieser Community-Blog ist im Rahmen der Aktion Lieblingsfilm 2015 entstanden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Medienpartnern und Sponsoren für diese Preise:


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