Regisseur Laurent Cantet möchte dem Bildungssystem mit seinem Film Die Klasse einen Spiegel vorhalten. Dabei gelingt ihm ein Film, der ohne Schuldzuweisungen auskommt und genau hinschaut. Hier erklärt er, warum der Austausch zwischen Lehrer und Schüler so wichtig ist.
Intelligenz auf dem Prüfstand
Ich wollte der Arbeit im Bereich der Schule Gerechtigkeit widerfahren lassen. In einer Schulstunde geht es auch immer um Intelligenz, darin inbegriffen Missverständnisse und Auseinandersetzungen. Es ist diese Intelligenz, auf die wir in jeder Szene zielten. Beim Austausch zwischen Lehrern und Schülern, unter den Schülern und unter den Lehrern wurden Ideen in Frage gestellt, verstanden oder geändert. Diese Wette um Intelligenz entsprach der besonderen und nicht sehr orthodoxen Art von François´ Berufsausübung.
Mich interessierten vor allem die plötzlich auftauchenden neuen Diskussionsansätze, darauf baut der Film auf. Nur wenige Lehrer riskieren so viel bei ihren Schülern: das Risiko, ins Schleudern zu kommen, das Risiko des Scheiterns. Es ist auf jeden Fall leichter zu behaupten, man habe dieses oder jenes Wissen vermittelt oder eine tolle Unterrichtsstunde geleistet als mit einer induktiven Methode zu arbeiten. Dazu gehört schon eine Portion Kaltblütigkeit, die viele Leute François vielleicht vorwerfen und ihn aber auch darum beneiden. Da ist ein Stück Sokrates in diesem Mann!
Das passt dermaßen gut, dass ich mich kurz gefragt habe, ob das nicht etwas zu didaktisch ist. Wenn jemand in diesem Film eine pädagogische Position sieht, habe ich nichts dagegen. Wenn der Lehrer mit den Schülern spricht als wären sie erwachsen, kann das schon hart sein, aber es ist oft beleidigender, wenn er sie mit Samthandschuhen anfasst. Das ist eine Art der Annerkennung ihrer aktiven Rolle im Klassenraum. Ebenso wie der Gebrauch von Ironie und die Weise, bei den Jugendlichen die Fähigkeit zu wecken, die Ironie zu durchschauen. Auch wenn die Annäherung mal in Konfrontation mündet, ist das Verhalten von François von Respekt gegenüber den Schülern geprägt, seine Gesprächspartner sind ihm die Mühe wert. Seine Pädagogik besteht darin, in den Schülern zu “graben”, manchmal da, wo es weh tut. Dazu gehört dann auch, sie auf mangelndes Urteilsvermögen hinzuweisen und sie zu akzeptieren. Wenn man von Demokratie in der Schule überhaupt sprechen kann, da ist sie.
Copyright: Mit Material von Concorde / Das Interview führte Philippe Mangeot