Am 29. April läuft Die Frau, die im Wald verschwand im Ersten. Im Interview spricht Regisseur und Autor Oliver Storz über seinen neuen Film.
Wie kamen Sie auf die Idee für die Geschichte?
Die Keimidee zu diesem Film ist eine nebelhafte Erinnerung an ein Ereignis aus den 50ern aus meiner Heimatgegend. Damals verschwand eine Frau aus der bürgerlichen Gesellschaft auf rätselhafteWeise.
Wenn man an die filmische Darstellung des Wirtschaftswunders denkt, kommt einen zuerst Heinz Erhardt in den Sinn. War es nicht längst überfällig, sich auch mal den unschönen Seiten dieser Zeit anzunehmen?
Es gab auch schon damals Filme, die an die unschönen Seiten rührten. Für mich ging die Reihe zeitgeschichtlich szenischer Beiträge schon 1994 mit „Drei Tage im April“ los, eine Momentaufnahme aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Der Film hatte einiges Aufsehen erregt und eine ganze Anzahl von Preisen abgeräumt. Der Sender wollte dann gleich ein Nachfolgeprojekt, das während des Waffenstillstands spielte. Es heißt „Gegen Ende der Nacht“ und war ähnlich erfolgreich, so dass mit Doris J. Heinze, Fernsehfilmchefin vom NDR, und Produzentin Regina Ziegler die Idee entstand, chronologisch weiter zu machen mit einer Reihe von Filmen, Momentaufnahmen einer deutschen Sozial- und Sittengeschichte sozusagen. So entstand „Drei Schwestern made in Germany“, ein Film, der in der Frier- und Hungerzeit vor der Währungsreform spielt. Und jetzt sind es die 50er Jahre. Heute betrachtet man die 50er Jahre ja als Zeit der Muffigkeit, Verklemmtheit und der Prüderie. Ich habe die Zeit als junger Mann erlebt und weiß, dass dies nur eine Seite ist. Hinter den Kulissen ging es ganz anders zu. Dieser Film ist ein Blick hinter die Kulissen einer bürgerlichen Wohlanständigkeit in das Dunkel des Verbotenen, und da gibt es alles von der Romantik heimlicher Liebe bis zur Obsession des Perversen.
Neben dem unterdrückten erotischen Moment geht es in erster Linie ja um Verdrängung.
Das eine geht mit dem anderen zusammen. Das war sehr typisch für die Zeit. Als Heranwachsender habe ich bemerkt, dass sich die Erwachsenen über ihre Vergangenheit eine bestimmte Version zurechtgelegt haben, die sie nach einer Weile selber glaubten.Das ist eine menschliche Eigenschaft, jeder von uns möchte ja besser dastehen, als er es wirklich tut. Auch Gerd Vorweg, der Oberbürgermeister, kann nur noch mit der Version leben, die er sich zurechtgelegt hat. Und dann kommt dieser Fremde und zerstört seine geschönte Biografie.
Wie gelingt es, ein so komplexes Thema in einem Kammerspiel darzustellen?
Es geht ja nur um einen winzigen Teilausschnitt der Welt von damals. Wenn Sie es als großes Sittengemälde machen, wird es zwar imposant und reichhaltiger, aber es verliert an Genauigkeit. Mir ging es um die Detailschärfe, und das kann man nur mit einem kleinen Ensemble von erstklassigen Schauspielern machen. Mir geht es darum, das Unheimliche im Heimeligen zu entdecken oder anders ausgedrückt: den großen Brand im Spiegel eines Dorfweihers zu sehen.
Wie hält man die Inszenierung auf kleinem Raum spannend?
Für mich stellt sich das anders herum dar: Gerade weil es ein kleiner Raum ist, ist es spannend. Und ich habe mir die Architektur zu Nutze gemacht. Es gab damals neben den Nierentischen auch die Wiederentdeckung des Bauhaus- Stils. So haben Intellektuelle in den 50er Jahren häufig gewohnt. Dieses Ambiente soll den Wunsch nach Fortschrittlichkeit, den der Bürgermeister verkörpert, ausdrücken. Der Raum, in dem die Auseinandersetzung stattfindet, ist auf drei Seiten verglast, und wenn man einen guten Kameramann hat, kann man das optisch sehr zwingend machen: die Abgeschlossenheit eines Aquariums, das Miteinander-eingesperrt-Sein, was auch das Nicht-mehr-voneinander-Loskommen symbolisiert. Die Enge macht es viel eindrucksvoller, als wenn man die Geschichte auseinanderzieht. Das zu erreichen, war mein Ehrgeiz.
Katharina liest Sartres Roman „Der Ekel“ – auf was bezieht sich das?
Das Buch ist ein Requisit, das Zeitkolorit illustrieren soll, denn Mitte, Ende der 50er entdeckte das gehobene Bürgertum in Deutschland Sartre und den Existentialismus. Aber der Titel hat auch mit Katharina zu tun, die angewidert ist von der Selbstgerechtigkeit ihrer bürgerlichen Umwelt.
Mit allen drei Schauspielern haben Sie schon mehrmals zusammengearbeitet. Hatten Sie sie beim Entstehungsprozess schon vor Augen?
Ja, absolut. Bei mir ist das immer so. Wenn ich die ersten Einfälle habe und noch gar nicht so genau weiß, wohin die Reise geht, sehe ich schon die Gesichter der Schauspieler vor mir – Karoline, Matthias, Stefan und auch Jürgen Hentsch, überspitzt ausgedrückt: die Schauspieler, an die ich denke, schreiben die Geschichte, nicht ich. Mit ihnen bin ich auch befreundet, und so sind mir ihre Gesichter sehr nahe, so dass es für mich natürlich ist, die Figuren auf sie zuzuschneiden. Als Regisseur muss ich da nur ein wenig die Richtung vorgeben, die ich haben möchte.
Gibt es Pläne die Trilogie zu verlängern?
Sie fragen einen Mann in meinem Alter nach Plänen? Natürlich gibt es die, wenn es nach mir und einigen Leuten geht, die meine Arbeit mögen. Pläne wird es geben, solange ich noch klar in der Birne bin, aber wie lange das sein wird – diese Frage müssen Sie einem Anderen stellen.
Mit Material von ARD. Die Frau, die im Wald verschwand läuft am Mittwoch, 29. April 2009, 20.15 Uhr im Ersten.