Into the Wild. Ein Student mit beachtlichem Abschluss hat genug und steigt aus. In die Wildnis. Ganz allein.
“Anstatt Liebe, Berühmtheit oder Geld oder Vertrauen oder Fairness… gebt mir Wahrheit.”
Nein, Into the Wild funkelt nicht nur mit beeindruckenden Bildern voll unberührter Natur, sondern mit einem unglaublich fesselnden Abenteuer eines Aussteigers und sensibler Gesellschaftskritik, in der ich besonders mich selbst wieder finden kann. Das gesellschaftliche Bedrücken, die verzwickten Familienverhältnisse, Lügen und das fehlende Freiheitsempfinden durch eine Aufstauung aller Probleme im eigenen Bewusstsein nagen an der persönlichen Lebensfreude, überfordern und schaffen kurz gesagt einen Konflikt mit dem eigenen Leben. Man sucht nach Freiheit, will abhauen, fliehen und sein Leben neu anfangen, auf den Nullpunkt zurücksetzen und endlich leben. Und Chris, der macht das, indem er alles – und wirklich alles – hinter sich lässt.
“Und jetzt hatte er sich emanzipiert, von dieser Welt der Zerstreuung, der falschen Sicherheit, der Eltern und des materiellen Überflusses. Von all den Dingen, die Chris von der wahren Natur seines Lebens trennten.”
Man kann Chris für einen weisen Helden halten, der die Welt als das beurteilt, was sie heute größtenteils nur noch ist: Eine abhängige Gesellschaft erfüllt von Habgier nach materiellen Dingen, dem Drang, der Größte, Stärkste und Beste sein zu müssen oder zu wollen, und gezwungenermaßen diesem Druck standzuhalten, um nicht aus der Reihe zu fallen. Die Frage ist nun, inwieweit man sich dieser Gesellschaft anpassen sollte oder vielmehr muss. Doch Chris will sich dieser Gesellschaft nicht unterordnen und entflieht ihr. Und so empfindsam dies auch klingt, so wird es auch in Sean Penns Regiearbeit umgesetzt.
„Doch er fand Gesellschaft in den Figuren der Bücher, die er liebte. In Schriftstellern wie Tolstoi, Jack London und Thoreau. Zu jedem Anlass konnte er etwas passendes zitieren. Und er tat es oft.“
Für die Anderen mag Chris vielleicht ein Seelenkrüppel sein, weil er in seine eigene Welt flüchtet und sich wie ein naiver kleiner Junge in die Wildnis verdrückt, blauäugig sein Geld verbrennt und alles hinwirft. Für mich ist er ein Held. Und nicht, weil er rebelliert, aus Prinzip das macht, was alle anderen für dumm halten, oder um dafür zu sorgen, dass seine Eltern sich entsetzliche Sorgen machen, um sich nach seiner schweren Kindheit an ihnen zu rächen. Sondern weil er das macht, was er für richtig hält. Das, was ihn glücklich macht. Dass das, was er machen muss, um das Leben zu erreichen, das er sich immer erträumt hatte. Und ganz egal, ob es nun durchdacht ist oder nicht. Er hört nicht auf die Vernunft, sondern auf sein Herzen und seine Lebenswünsche. Und um diese zu erfüllen, muss man manchmal eben einfach was „Unvernünftiges“ machen und etwas wagen.
“Wenn wir zugeben, dass das menschliche Leben vom Verstand gelenkt werden kann, zerstören wir die Möglichkeit zu leben.”
Es war ein wunderbares Gefühl, Chris – oder besser gesagt Alexander Supertramp – in seinem Lebensgefühl in der Natur aufblühen zu sehen und ihn derartig erfüllt zu erleben. Seine Gefühle und Begeisterung strahlte auf mich über, was das Einfühlen in seine Weltanschauung und sein Empfinden bedeutsam erlaubte. Der Film offenbart so viele kleine Weisheiten und dringt sich bildgewaltig ins Herz.
Und genauso treten nicht zuletzt auch die äußerst dramatischen Hintergründe in den Vordergrund. Der bewegende Familienkonflikt wird überzeugend tiefgehend rübergebracht, in erster Linie durch die emotionale Erzählung von Chris’ Schwester.
Besonders zur zweiten Hälfte des Films widmet sich Regisseur Sean Penn nach der Schilderung der schweren Familiensituation deutlich vermehrt den „derzeitigen“ Problemen des sympathischen Protagonisten in der Wildnis. Er kämpft sich durch, er findet Freunde und kämpft sich doch wieder allein durch. Immer durch die Wildnis. Immer ohne jegliche Hilfe. Aber immer vollkommen frei.
“Ich halte Karrieren für eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Da lege ich keinen Wert drauf.”
Man merkt Emile Hirsch an, mit welch einer Leidenschaft er in diesem Meisterwerk den Abenteurer Christopher McCandless würdigend darstellt. Es gelingt ihm, dem Zuschauer das Gefühl zu verleihen, sich vollkommen mit ihm identifiziert zu haben, was unglaublich vertraut wirkt und einen absolut persönlichen Eindruck verschafft.
Bemerkenswert ist die ebenso großartige Filmmusik. Nicht nur der passende Score von Michael Brook, sondern auch die Tracks von Eddie Vedder bieten eine unübertreffliche Untermalung der Handlung. Allen brillanten Songs vorweg gilt für mich ‘Society’ als Favorit.
Der Film endet (Achtung, es folgt ein Spoiler!) stark melancholisch mit den letzten, qualvollen Minuten vor dem Tod Christophers und blendet eine bewegende Szene eines Wiedersehens mit seinen Eltern ein. Einerseits könnte ich vor Bewegtheit weinen, andererseits bin ich so fasziniert und erfüllt über seine Lebensgeschichte, dass mir ebenso wie Chris – auf seinen Tod wartend und hoffnungsvoll in den Himmel schauend – nichts als ein betroffenes Lächeln auf den Lippen stand. Hinterlassen wird ein Originalbild des „wahren“ Alexander Supertramps und das beklommene und gleicherweise begeisterte Gefühl eines Charakters, den man nicht so schnell vergessen wird.
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