Bevor Ihr mich steinigt ob der Überschrift oder Beifall klatscht: Dieser Vergleich ist nicht von mir. Beim morgendlichen Presse-Check blieb ich bei der Überschrift Kathryn Bigelow – Pionierin wie Leni Riefenstahl stecken, die der Aufhänger in der Welt war. Wie kommt Hanns-Georg Rodek, ein Kritiker, den ich persönlich sehr schätze, zu diesem gewagten Vergleich?
Er holt weit aus in der Filmgeschichte, um seine These zu untermauern, erwähnt die französische Spielfilm-Pionierin Alice Guy. Auch Nancy Meyers, Jane Campion und Sofia Coppola tauchen auf, die sich als Frauen auf dem Regie-Stuhl mit Frauenthemen beschäftigen. Bei Kathryn Bigelow ist das anders: “Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich da jemand Männerkleidung anzieht, um den sexistischen Erwartungen des Boy-Clubs zu entsprechen, der Hollywood immer noch beherrscht … Fast alle Bigelow-Filme sind versuchte Antworten auf die Frage, was Maskulinität in der heutigen Zeit bedeuten kann – aber keine feministischen Antworten.”
Um ihre Filme drehen zu können, bedient sich die Regisseurin laut Hanns-Georg Rodek virtuos aller Mittel des Kinos, ist eine perfekte Handwerkerin. Außerdem seien ihre Filme “apolitisch und amoralisch (anders als James Cameron s zutiefst grün und liberal gefärbter Avatar – Aufbruch nach Pandora) und berauschen sich an einer Ästhetik von Körpern in Bewegung. Man müsste einmal die Verwandtschaft zu Leni Riefenstahl näher untersuchen, mit der Bigelow auch ein Desinteresse an menschlichen Beziehungen und Psychologie teilt.” In den Kommentaren zum Artikel wird entweder Beifall geklatscht (“Beide haben sich zu übler Propaganda hinreissen lassen, der Vergleich ist also vollkommen ok. Danke welt.de!”) oder der Ansatz kritisiert (Ein Vergleich mit Leni Riefenstahl ist fehlplaziert. Dies hat diese Frau nicht verdient. Riefenstahl machte sich zum Opfer der Propaganda, Kathryn Bigelow tat dies nicht.).
Ist Kathryn Bigelow also die neue Leni Riefenstahl?
Wenn – wie Hanns-Georg Rodek es tut – Leni Riefenstahl auf ihre Leistung als Technikerin reduziert wird, mag der Vergleich vielleicht, aber auch nur vielleicht funktionieren. Die “Regisseurin des Führers” ist aber eben nicht darauf reduzierbar. Sie hat sich einem System angedient, Nähe zu Diktatoren gesucht und gefunden. Kathryn Bigelow tut nichts dergleichen und so erscheint Tödliches Kommando – The Hurt Locker nur an der Oberfläche apolitisch und amoralisch. Die Filme einer Leni Riefenstahl sind es nicht. Sie beziehen eindeutig Position, zum Führerprinzip (Triumph des Willens), zum Krieg (Tag der Freiheit – Unsere Wehrmacht) und zum Körper, den sie unter anderem auch rassistisch definiert (Olympia 1. Teil – Fest der Völker, Fotoarbeiten in Afrika). Die Regisseurin bleibt eine Propagandistin des faschistischen Menschenbildes, auch wenn sie technisch auf der Höhe der Zeit war und diverse Pionierleistungen erbrachte.
P.S.
Noch eine kleine Anekdote am Rande zu den Dreharbeiten zu Olympia: Per Dekret von Propagandaminister Josef Goebbels konnte sich Leni Riefenstahl über 100 Kameramänner aussuchen, die für sie an dem gigantischen Filmprojekt arbeiteten. Einer sagte ab. Daraufhin schrieb die Filmemacherin eine Beschwerde an Goebbels und diskredierte ihn als Kameramann, der nicht unter einer Frau arbeiten wolle. Ganz schnell war der Kameramann mit an Bord.