Legion: Staffel 2 - Handlung wird in Serien sowieso überbewertet

25.04.2018 - 20:15 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Legion: Syd
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Die Handlung legt eine Vollbremsung hin in der bisher ambitioniertesten Folge der 2. Staffel von Legion, in der wir in die Vergangenheit von Rachel Kellers Syd abtauchen.

Wer braucht schon Handlung, wenn er einen Eternal Sunshine-mäßigen Trip in die Seele einer vernachlässigten Hauptfigur unternehmen kann? Legion geht in der 4. Folge der 2. Staffel ein selbst für ihre Verhältnisse ungewohntes Experiment an. Als erste Bottle Episode der Serie wird Kapitel 12 bezeichnet, Vergleiche zu The Fly von Breaking Bad werden auch schon gezogen, während andere sie als Füllmaterial abtun. Irgendwie muss die 2. Staffel ja auf die 10 statt 8 Episoden kommen. Tatsächlich legt das Drehbuch für den Plot um die Krankheit und die Suche nach dem Körper des Shadow Kings eine Vollbremsung ein und mit den schmerzhaften Erinnerungen von Rachel Kellers Syd, die David einer Lehrstunde über die Kraft unterzieht, die wir aus dem erlittenen Schmerz ziehen können. Da hat wohl jemand zu viel Nietzsche gefrühstückt.

Es ist eine der erzählerisch ambitioniertesten Episoden von Legion, auch weil der Plot auf die Ersatzbank verschoben wird und große Teile der Folge von der audiovisuellen Erfahrung getragen werden. Wieder und wieder sehen wir, wie Syd aus dem eisigen Geburtskanal in eine berührungslose Kindheit krabbelt. Bewundernswert ist das Experiment, vollständig gelungen allerdings nicht.

Syd hat eine eigene Episode in Legion schon lange verdient

Ein Vorwurf, den ich ganz sicher nicht gelten lasse: Kapitel 12 von Legion sei nichts weiter als Dichtungsmaterial für eine gestreckte Season. Dafür, dass die Liebe zwischen David (Dan Stevens) und Syd (Rachel Keller) eine derart wichtige Rolle in der Serie einnimmt, wurde ihre Beziehung vielfach oberflächlich thematisiert oder eben aus der neurotisch verklärenden Perspektive von David. In Staffel 2 ist ein Richtungswechsel dringend nötig, das diktiert auch der Plot. Syd aus der Zukunft ist es, die David dazu bringt, seine Mutanten-Kompagnons zu hintergehen und heimlich mit dem Schurken Shadow King zusammenzuarbeiten. Ebenjene einarmige Syd hat zuletzt auch noch Andeutungen gemacht, David sei selbst der Bösewicht, der in der Zukunft sein Unwesen treibt.

Mehr: Legion - Wer ist der Typ mit dem Korb auf dem Kopf & andere brennende Fragen

In Staffel 1 war Syds Präsenz maßgeblich an Davids geistiger Befreiung beteiligt, Staffel 2 schweißt die beiden enger zusammen, da sie nun von Davids geheimen Plan weiß - auf beiden Zeitebenen. Zwei verschwörerische Bienen im riesigen Division-3-Korb. Egal, ob die ganze Sache eine Täuschung des Shadow Kings ist oder nicht, verdient Syd die volle Aufmerksamkeit der Serie, wenn sie und David ihre Mutanten-Freunde und früheren Jäger von der Division 3 hintergehen. Legion blickt auf die Welt durch die verschrobenen Augen des David Haller, aber kann durch ihn eben auch in die Seelen seiner Begleiter schauen.

Der Seelenritt führt bei Syd in eine Prüfung vom Schlage eines Und täglich grüßt das Murmeltier. Immer wieder sieht David ähnliche Stationen aus Syds Kindheit, immer wieder zieht er die falsche Lehre aus dem Gezeigten. Stets wird die Perspektive etwas verschoben, die Beteiligten minimal anders angeordnet, neue Musik angespielt oder der Ausschnitt erweitert. Gerade weil vielfach dialogfrei, erreichen die Sequenzen eine extreme Gefühlsdichte. Wenn wir zum ersten Mal zusehen, wie Baby-Syd bei jeder Berührung zu schreien anfängt, wie ihre Mutter (Lily Rabe aus American Horror Story) sie über Umwege liebevoll zu umarmen sucht, sie später Teenie-Syd (herausragend: Pearl Amanda Dickson) in einem intimen Verständnis leise zulächelt und der Zuschauer doch ahnt, dass das zerbrechen wird: Da schneidet Legion ins Fleisch, was bei einer oberflächlich gesehen "verkopften" Serie keine Selbstverständlichkeit ist.

Kapitel 12 von Legion könnte eine essenzielle Lehre für David beinhalten

Der intensive Einblick in die Kindheit von Syd entbindet sie dem lauernden Klischee des verrückten oder verletzten Love Interests, das durch die Liebe eines Mannes gerettet werden muss. Durch den Blick zurück sehen wir keine einsame Frau, die sich nach einem Retter sehnt, sondern eine Überlebende. Die Liebe, so erklärt sie, ist schön, gut und es wert, gerettet zu werden. Aber fürs Überleben lernt sie durch Schmerz und Wut. Der Schmerz, den sie durch ihre Mutation erleidet, die Körperkontakt versagt, und der blitzableiterartig bei anderen wieder ankommt: Dem Jungen, der sie körperlich bedrängt, den hänselnden Mädchen, die sie in seinem Körper zusammenschlägt, und schließlich dem Partner ihrer Mutter, der unrechtmäßig der Vergewaltigung bezichtigt wird - wegen ihres rücksichtslosen Körpertauschs als neugierig-geiler Teenie. Schmerz und nicht Liebe, so der Umkehrschluss, zwingt sie dazu, mit den Konsequenzen ihrer Taten umzugehen.
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Für David könnte die Lehre essenziell sein. Er hat sich kopfüber in eine Verschwörung gestützt, um die Liebe, also Syd aus der Zukunft, zu retten. Zuletzt arrangierte er sich langsam mit der Tatsache, dass seine Allianz mit dem Shadow King Leben kostet. Nehmt die Jon Hamm-Monologe aus den letzten Folgen und dehnt sie auf 40 Minuten aus! Heraus kommt eine lehrreiche Folge wie Kapitel 12. Plotrelevant ist sie durchaus, nur verschwendet sie ihre Energie nicht dadurch, dessen Rädchen mühselig voranzuschieben, wo die Ruhe denselben Effekt erzielt. Erst am Schluss, als Lenny (Aubrey Plaza) mit einem offenbar neuen alten Körper in Division 3 geschleift wird, rattert wieder die Handlung. Zwinkernd wird das kommentiert von der minimal zu spät kommenden Titelsequenz kurz vorm Abspann.

Aus einem Experiment wie Kapitel 12 lernt man auch, wenn es scheitert

Die Murmeltier-Idee ist das ideale Labor für die verspielten Wissenschaftler im Legion-Autorenraum, um ein weiteres Experiment anzuleiten. Immer unterschwellig mitschwingend: Wie viel Kontext braucht ein Zuschauer, um sich in einer Legion-Folge zurechtzufinden? In diesem Fall steigen wir sogleich ein in die Lebensschleife von Sydney "Syd" Barrett, die zwar nicht bei Pink Floyd singt, aber abwechselnd durch Bon Iver, The National und Tame Impala begleitet wird. 15 Minuten dauert es, bis die erste Erinnerung an den Kontext erfolgt. Kapitel 12 schließt nämlich direkt an die letzte Folge an, in der David in die Geister der zähnemalmenden Kranken in Division 3 getaucht ist, um sie zu heilen. 21 Minuten dauert es, bis wir für kurze Zeit aus Syds Geist herausflutschen, um zu sehen, was die anderen treiben: Der ansteckende Mönch ist tot, alle außer Syd und David sind wieder wach. Dabei verpassen die beiden leider/glücklicherweise die katastrophale Toilettensituation, da hunderte Menschen, von der Malm-Marter befreit, sich zur selben Zeit entleeren müssen.

Letztendlich ist die Konsequenz der potenziellen Zuschauer-Entfremdung bewundernswerter als die Umsetzung. Regisseurin Ellen Kuras findet sprechende Bilder für Syds Erlebnisse, die fließend ineinander übergehen. Nicht von ungefähr, arbeitete sie doch als Kamerafrau am Strg-X-Drama Vergiss mein nicht! mit. Langeweile stellt sich nicht ein, doch fehlt es den Wiederholungen und Variationen stellenweise an individueller Ausdruckskraft. Davids Rateversuche wirken teils losgekoppelt von dem, was wir mit ihm beobachten. Die Bilder beeindrucken, sie berühren, aber für sich alleinstehend klappen sie vor dem erzählerisch gesteckten Ziel zusammen. Es braucht David, um auf die Lösungsversuche zu kommen und am Ende sogar einen alles erklärenden Monolog für den Bingo-Moment. Trotzdem schaue ich lieber ein gescheitertes Experiment von Legion als jede x-beliebige "Füller-Episode" aus dem Marvel-Netflix-Kanon.

Zitat der Folge: “Burn with me." (Syd)

  • Egon Schiele, dessen (Selbst-)Porträts wir in der Galerie sehen, war ein wichtiger Einfluss für das originale Figuren-Design der Legion-Comics von Bill Sienkiewicz (Vulture ). Oben könnt ihr das Poster sehen, das er für die Serie kreiert hat.
  • Schiele wurde übrigens 1912 festgenommen, weil ihm die Verführung einer Minderjährigen vorgeworfen wurde.
  • Jeff Russo und Noah Hawley haben für die Folge White Room von Cream sowie Burning Down the House von den Talking Heads gecovert.

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Die 2. Staffel von Legion läuft immer Mittwoch um 21:00 Uhr auf FOX in Deutschland und ist danach bei Sky Ticket  zu sehen.

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