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Mein Exorzismus

19.10.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Brian - Die Höllenfahrt eines Besessenen
Dick Clark Cinema Productions Inc./moviepilot
Brian - Die Höllenfahrt eines Besessenen
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Für die Aktion "Lieblingsmonster" begebe ich mich an die dunkelste Ecke meiner cineastischen Kindheitsängste. Dazu konfrontiere ich mich zum ersten Mal seit der traumatischen Erstsichtung im Jahre 1990 mit dem Monster, das mir bislang am meisten Angst gemacht hat.

Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.

Da ist ein kleiner Mann, der sitzt da hinten auf dem Zaunpfahl und verfolgt mich schon seit Wochen. Und er kommt jeden Tag ein Stück näher.

Ich bin zehn Jahre alt und ich kann diesen Satz nicht vergessen. Ich habe Angst. Immer noch. Ich habe seit vier Tagen so große Angst, dass nicht mehr schlafen kann. Buchstäblich.

Das Monster

Es ist so ähnlich wie damals mit Sechs, nachdem ich von Mami zum ersten Mal ganz genau wissen wollte, was denn eigentlich passiert, wenn man stirbt. Doch diesmal ist es schlimmer. Die Welt ist für mich seit vier Tag zu einem farblosen, bedrohlichen, zu einem schlechteren Ort geworden. Und Mami kann mir nicht helfen. Denn sie sieht nicht, was ich sehen kann. Ich liege Nachts wach, versuche an etwas anderes zu denken. Ich weiß: Filme sind Fantasie und Monster gibt es eigentlich nicht. Aber warum kommen meine Gedanken dann immer wieder auf ihn zurück? Oder auf es? Es lauert nicht unter dem Bett, es versteckt sich nicht im Schrank, aber es ist da und wird mich holen. Bald. Zwei weitere schlaflose Nächte sollen noch folgen.

Reflektiert gruseln

Zeitsprung 2016: Viel hat sich eigentlich nicht geändert. Ich weiß immer noch, dass es eigentlich keine Monster gibt. Aus einem eher schreckhaften Kind (ich stand nichtmal Drei-Fragezeichen-Kassetten durch) ist ein Mann geworden, der sich gerne erschrecken lässt. Wohl gerade deshalb habe eine Schwäche für Horrorfilme entwickelt. Natürlich leide ich inzwischen anders. Reflektierter, distanzierter, analytischer... arroganter. Mittlerweile weiß ich, dass Monster nur unsere tiefsitzende Ängste antriggern sollen und von religiösen Anführern erfunden wurden, um ihre Schäfchen im Stall zu halten. Ein Warnzeichen, nicht umsonst stammt der Begriff vom lateinischen Wort "monere", also "mahnen". Meine persönliche Nemesis passt geradezu prototypisch zu diesem Erklärungsansatz. Die Aktion "Lieblingsmonster" betrachte ich deshalb ganz abgebrüht als eine Art Experiment, als Möglichkeit, der Ursache meiner Ängsten auf den Grund gehen. Manche kann ich mir bis heute nicht erklären. Ich ekele mich beispielsweise vor roten Sachen und lackierten Fingernägeln und habe einfach keinen Schimmer weshalb eigentlich.

Dem Dämon auf den pelzigen Fersen

Obwohl mir Pennywise aus Stephen Kings Es und die Zwillinge aus The Shining auch heute noch Schauer über den Rücken jagen, führt mich die Suche nach meiner cineastischen Urangst immer wieder zu jenen sechs schlaflosen Tagen im Jahre 1990... ich glaube es war Herbst, es fühlte sich jedenfalls so an.

Da ist ein kleiner Mann, der sitzt da hinten auf dem Zaunpfahl und verfolgt mich schon seit Wochen. Und er kommt jeden Tag ein Stück näher.

Diesen beiden Sätze aus einem Horrorfilm haben sich in mein 10-jähriges Gehirn gefressen. Bis heute. Ansonsten ist die Erinnerung an den Streifen fast vollständig verblasst. Handlung? Keine Ahnung, es ging um den Exorzismus eines kleinen Jungen. Wenn ich raten müsste, war der bestimmt in meinem Alter. Ich weiß noch, dass man in dem Film viele grüne Wiesen sehen konnte und weiße Zäune. Ich weiß, dass der Film auf Sat1 im Nachmittagsprogramm lief. Warum bloß nachmittags? Allzu gewalttätig kann der nicht gewesen sein, vielleicht ein Fernsehfilm? Und er muss wohl zwangsläufig zwischen 1973, als Der Exorzist das Subgenre quasi im Alleingang erfand und 1990 entstanden sein.

Besessen

Wirklich viel ist das nicht, aber mit diesen Spuren beginne ich meine Recherche. Dabei entwickele ich bald selbst ein Art Besessenheit, die mich auf einige abseitige Webseiten  und nach drei Stunden schließlich ins Herz meiner cineastischen Urängste führt. Es handelt sich um die offenbar höchst mittelmäßige US-TV-Produktion Brian - Die Höllenfahrt eines Besessenen aus dem Jahre 1983. Es passt alles: Der Junge, das Setting, die Produktion, das Erscheinungsjahr. Ich schwanke zwischen Euphorie und Ernüchterung, als ich das cheesige Cover betrachte.

Sofort explodieren meine Zweifel: Was genau verspreche ich mir eigentlich? Katharsis? Was hat mich damals so dermaßen verängstigt, dass ich sechs Nächte am Stück wach geblieben bin? Zerstöre ich mit dieser Aktion eine fürchterliche, aber auch furchtbar prägende Kindheitserinnerung? Aus dem Nichts erscheinen zahlreichen Parallelen zu Stephen Kings "Es": Genau wie Protagonisten ist das Böse mittlerweile zu einer diffusen Erinnerung verblasst. Und kann es Zufall sein, dass ich mich wie im Roman dem ultimativen Bösen nach exakt 26 Jahren erneut stelle? Ich finde den Streifen schließlich auf Youtube. Das Experiment kann beginnen. Konfrontationstherapie - geht in Horrorfilmen eigentlich immer gnadenlos schief.

Selektive Wahrnehmung

Der Abspann rollt und ich sortiere meine Gedanken. Der Film war qualitativ sogar okay. Die größte Überraschung war neben bekannten TV-Gesichtern wie Andy Griffith natürlich Superstar Kevin Bacon im schauspielerischen Niemandsland zwischen Freitag der 13. und seinem Durchbruch Footloose. Viel interessanter finde ich die selektive Wahrnehmung meines 10-Jährigen Ichs anno 1990: Um den 10-jährigen Jungen geht es eigentlich nur am Rande. Der Film spielt im ländlichen Neuengland und zeigt wirklich sehr viele Wiesen und weiße Lattenzäune. Dank des überwiegend diesigen Wetters geraten einige Aufnahmen farblich ziemlich ausgedünnt, besonders mein persönlicher Schlüsselmoment. Interessanterweise folgt der schon nach etwa zehn Minuten und ist tatsächlich genauso, wie ich ihn in Erinnerung habe.

Exorzismus?

Hat mir die Konfrontation dabei geholfen, mein Kindheitstrauma zu exorzieren? Die überraschend befriedigende Antwort darauf lautet: "Nein, aber." Der Film hat geschhafft, mir wieder eine Gänsenhaut zu verpassen, der Teufel und Besessenheit bleibt mein "Lieblingsmonster" und Exorzismus-Filme auch zukünftig meine Achillesferse. Aber der Film hat mir gezeigt, dass es okay ist, Dämonen zu haben und mit Ängsten zu leben. Warum hatte H.P. Lovecraft vor Meeresgetier  und dunkelhäutige Menschen  Angst? Warum fürchtet sich Stephen King vor Clowns? Ich glaube nicht, dass selbst die beiden Meister des Grauens darauf eine restlos befriedigende Antwort geben könnten. Unsere Ängste sind einer der wenige irrationalen Rückzugsorte, die uns auch ins Erwachsenenalter begleiten und ich möchte auf meine nicht verzichten. Gerade weil ich sie nicht kontrollieren kann. Ich sage mir den Satz noch einmal vor.

Da ist ein kleiner Mann, der sitzt da hinten auf dem Zaunpfahl und verfolgt mich schon seit Wochen. Und er kommt jeden Tag ein Stück näher.

Ich schaudere. Aber es fühlt sich zum ersten Mal richtig an. Es ist gut, dass der kleine Mann da ist. Aus dem Verfolger ist ein Begleiter geworden. Für immer.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:

Aktion Lieblingsmonster


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