Mrs. Action Kathryn Bigelow wird heute 60 Jahre

27.11.2011 - 09:00 Uhr
Wo geht´s lang Frau Bigelow?
Voltage Pictures
Wo geht´s lang Frau Bigelow?
Kathryn Bigelow hat spätestens mit Tödliches Kommando – The Hurt Locker ihre Stellung als Ausnahme-Regisseurin bewiesen. Mit ihrem Kriegsfilm hat sie wie in allen ihren Filmen Genre-Gespür, Action-Fähigkeit und hohe Ansprüche bewiesen. Gratulation!

In ihren Augen
Kathryn Bigelow ist eine Grenzgängerin. In ihren Studienjahren war sie eine Zeit lang Mitglied im avantgardistischen Konzeptkunst-Kollektiv Art & Language. Dort konnte sie den Umgang mit und die Ordnung von Material lernen. Die Tochter eines Farbenfabrikanten und einer Bibliothekarin mischt oft gefährliches Chaos mit professioneller Virtuosität, Buntheit und Strenge. Diese Strukturen kleidet sie in klare, filmische Genre-Welten, die so unterhaltend, so actiongeladen und kurzweilig wirken, dass wir oft gar nicht merken, das wir komplexe Gedankengebäude und ehrliche Gedichte vor uns haben.

In Loveless – die Lieblosen schickt Kathryn Bigelow Willem Dafoe als eine Wiedergeburt von Marlon Brando aus Der Wilde auf die Straße. Als halbstarker Rocker-Biker macht er den Highway unsicher. Im lupenrein unabhängigen Vampir-Horror Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis tobt sich die Action-Frau am filmisch dankbaren Thema der Blutsauger aus. Erst über Jahre hinweg wurde der Filmwelt klar, dass der B-Movie-hafte Near Dark spielend die Genre-Grenzen neu auslotet. Heute befindet sich der Vampir-Film im Museum of Modern Arts.

Der knallharte Frauen-Copthriller Blue Steel mit Jamie Lee Curtis, das dystopische Science Fiction Action-Drama Strange Days mit Ralph Fiennes – jeder Bigelow-Film baut sich seine eigene, klare Welt auf. Die Regisseurin verschwindet völlig hinter ihren Genre-Werken und ihren Schauspielern, schreibt sich gleichzeitig unprätentiös, trotzdem unverkennbar und leidenschftlich gut in die Strukturen ihrer Filme. So kann gutes Hollywood aussehen: Keine tumbe Action, kein verkopftes Arthouse, sondern kontemplativer Mainstream mit nachdenklichem Kern und ordentlich PS.

Männer bei der Arbeit
Jamie Lee Curtis steht mit ihrer Blue Steel-Performance als Cop-Frau in Bigelows Oeuvre ziemlich alleine da. Viele Filme von Kathryn Bigelow spielen in ausgesprochen männlichem Umfeld. In Gefährliche Brandung liefern sich Patrick Swayze und Keanu Reeves als echte Kerle ein nuanciertes Duell, das irgendwo zwischen brüderlichem Schwanzvergleich, philosophischer Debatte und Todeskampf anzusiedeln ist. Willem Dafoe mit Harley Davidson und Lederjacke sieht zwar nach Fetisch aus, strahlt aber v.a. die gefährliche Testosteron-Mischung eines halbstarken Obermackers aus. Zusammen mit dem großartigen Jeremy Renner übertraf sich Kathryn Bigelow in ihrem Männlichkeits-Entwurf dann noch einmal mit Sergeant First Class William James aus Tödliches Kommando – The Hurt Locker.

Die Männer-Fixierung der Kathryn Bigelow ist natürlich keine verdrängte Libido. Im Gegenteil: Kühl und professionell nutzt Kathryn Bigelow den kulturellen Ikonenstatus der Männlichkeit und setzt ihn gezielt in effektive Filmsprache um. Gerade in ihrem bewussten Umgang mit Männlichkeitsritualen – die Mutproben in Gefährliche Brandung, das gemeinsame Saufen in Tödliches Kommando – zeigt sich Kathryn Bigelows Bewusstsein für Kunst und Wirklichkeit und die Unterschiede.

Sie nimmt ein Stück anthropologische Realität, wirft ein bisschen Farbe drauf und ordnet es ihrem Genre-Werk unter. So haben wir am Ende nicht nur einen wirklich coolen Jeremy Renner, sondern auch ein wirksames Ganzes, das sich aus ikonischen Mechanismen zusammensetzt und diese dekonstruiert ohne sie zu depotenzieren. Am Ende ist der Film sehr viel mehr als die Summe seiner Teile und das ist dann ein Kunstwerk im Kino, mit ganz viel Explosionen.

Poesie für die Eingeweide – Die cineastische Öffnung eines ernsten Themas
Poesie für die Eingeweide, so fasste die New York Times ihren Eindruck von Tödliches Kommando – The Hurt Locker zusammen. Kathryn Bigelow erhielt für ihre filmische Interpretation des modernen Krieges sechs Oscars, darunter bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch. Aus cineastischer Sicht ist es der Academy v.a. hoch anzurechnen, dass die politisch sehr wertfreie und parteilose Kriegs-Action der (pseudo-)politischen Indianer-Science-Fiction Avatar – Aufbruch nach Pandora den Rang ablief. Kathryn Bigelow beweist wieder einmal selbstversunkene Kunstambitionen. Ohne als politische Amerikanerin an ein brisantes Thema zu gehen, verlässt sie sich völlig auf die filmische Annäherung an eine Lebenswirklichkeit, die des Krieges, und arbeitet rein menschlich.

Somit läuft sie ihrem Ex-Mann, dem esoterischen Box Office-Guru James Cameron, den Rang ab und beweist, dass am Ende des Tages manchmal die Richtigen gewinnen. Ihr Film ist so raffiniert, so unangenehm unterhaltsam, dass ich schon manche Menschen habe sagen hören: Oscar? Was ist denn da los? Ist doch einfach nur ein guter Actionfilm! Diese Menschen haben sich dann wohl von der schieren Action-Fähigkeit der Kathrin Bigelow hinreißen lassen, sie haben sich selbst von der Droge Krieg berauschen lassen, ohne zu merken, dass sie einen Film über den Irak-Krieg ansehen, in dem massig Menschen sterben.

Durch reine Konzentration auf Thema, Setting und Menschen entwirft Mrs. Smart Action einen der reichsten und ambivalentesten, dennoch unterhaltsamsten Kriegsfilme der neueren Filmgeschichte. Wenn Jeremy Renner und Anthony Mackie in der Wüste ein paar Terroristen snipern und dazu eine Melodie erklingt, die doch stark an Spiel mir das Lied vom Tod erinnert, dann ist das nicht zynisch, sondern ehrlich. Kathryn Bigelow öffnet das ernste Thema des Krieges für die cineastische Diskussion und regt mit ihrem unpolitischen, wertfreien Film zu mehr Diskussion an als ausgesprochene, plumpe Kritik, die der Wirklichkeit ohnehin nicht gerecht wird. Denn ein Film ist immer ein Film, er besteht aus Spuren der Wirklichkeit, nicht aus ihr selbst. Kathryn Bigelow jongliert mit den Action-Spuren dieser Wirklichkeit auf eine so kluge, kritische und unterhaltende Art wie niemand sonst in Hollywood. Kathryn Bigelow ist eine ganz, ganz Große. Bei ihr ist Geld gut aufgehoben, denn sie wird faire Filme daraus machen. Sie wird uns ins Kino locken und so soll es sein.

Herzlichen Glückwunsch Kathryn Bigelow! Zeigen Sie uns den Weg in die Zukunft des explosiven Kinos!

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