Im Frühling 1936 erdrosselte Abe Sada ihren Geliebten Ishida Kichizo bei erotischen Strangulierungsspielen und trennte seinen Penis ab, den sie daraufhin in ihrer Handtasche mit sich herumtrug. Der Fall wurde zur morbiden Sensation und in Japan mehrfach künstlerisch verarbeitet. Nagisa Oshimas notorische Verfilmung der Begebenheit erreichte dabei fast so großen Skandalstatus wie die Tat selbst.
Vor allem schlug das Erotik-Drama Im Reich der Sinne auch international große Wellen – unter anderem bei uns vor der Haustür, als der Film nach der Berlinale-Premiere im Jahr 1976 von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde.
Skandal-Meisterwerk Im Reich der Sinne: Schmuddelfilm, Kunst oder beides?
Motiviert von einer provokanten B.Z.-Schlagzeile nahmen Staatsanwaltschaft und Polizei an der Berlinale-Vorstellung teil und beschlagnahmten den als "harte Pornografie" abgestempelten Film. Und tatsächlich entgeht einem bei Im Reich der Sinne nichts, wenn Eiko Matsuda und ihr Co-Star Tatsuya Fuji in unsimulierten Sexszenen bis zum (dann doch simulierten) Tod in ihren Rollen aufgehen. Doch bei Oshima handelt es sich eben nicht um irgendeinen Schmutzfink, sondern einen der größten Namen der japanischen Nouvelle Vague – eine Ströumg sozialkritischer Filmemacher:innen, die mit der Gesellschaft abrechneten und die Grenzen der Kunstform ausloteten.
Filmjournalist:innen attestierten dem Film im Windschatten der Beschlagnahmung "hohe künstlerische Qualität sowie wichtige politische und ästhetische Einsichten", während die Filmbewertungsstelle sogar das Prädikat "besonders wertvoll" verlieh. Vieles davon kann man unter anderem im Buch Keine Jugendfreigabe! Filmzensur in Westdeutschland 1949 - 1990 * von Jürgen Kniep nachlesen (via Wikipedia ).
Nachdem die Große Strafkammer 1977 ebenfalls zustimmte, dass es sich bei Im Reich der Sinne um keine Pornografie handle, konnte der Film im Folgejahr endlich bundesweit in die Kinos kommen. Auch in anderen Ländern wurde der Film entweder verboten oder samt starker künstlerischer Kompromisse aufgeführt. So auch im Heimatland Japan, wo der Regisseur sogar juristisch in Schwierigkeiten kam.
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Ein Skandal-Filmemacher muss für seine Kunst vor Gericht
Im Reich der Sinne erschien in Japan vorerst nur stark zensiert mit unscharf gemachten Szenen. Vor Gericht mussten Filmemacher Nagisa Oshima dann aber wegen eines Begleitbuchs zum Film, das unter anderem Szenenbilder beinhaltete. Dabei gab er im Zeugenstand folgenden Satz zu Protokoll, ehe er freigesprochen wurde:
Nichts, was dargestellt wurde, ist obszön. Obszön ist das, was verborgen liegt.
Seit damals hat sich viel getan: Im Reich der Sinne gilt heute als sinnliches, transgressives Meisterwerk, das spätestens seit den 2010er Jahren in einer weitestgehend ungeschnittenen Version zu haben ist. Mit gewissen Kürzungen, die von Oshima höchstpersönlich abgesegnet wurden, liegen diese laut Schnittberichte als sogenannter Producer's Cut vor.
Streamen kann man den Film in Deutschland nicht, Concorde hat aber ein Heimkino-Release im Doppelpack mit Oshimas Folgefilm Im Reich der Leidenschaft auf DVD und Blu-ray herausgebracht.
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