Spoiler - Großes Übel oder alberne Hysterie?

29.01.2014 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Stan Laurel & Oliver Hardy
Metro-Goldwyn-Mayer
Stan Laurel & Oliver Hardy
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Wenn sich im Internet ein unkenntlicher Spoiler offenbart, schlagen nicht nur die Nerds umgehend Alarm. Können Plotinformationen den Genuss eines Films oder anderer Medien wirklich verderben? Und was sagt das über die künstlerischen Werke aus?

Arme Jennifer Lawrence. Da wollte sie im Rahmen der SAG-Award-Verleihung nur ein pflichtschuldiges Interview geben und bekommt von der Fernsehmoderatorin stattdessen einen bösen Spoiler aufgedrückt (wir berichteten). Über ihre vergnügliche Reaktion gehen die Meinungen auseinander, manche haben sie als Ausraster empfunden, andere sahen darin elegant überspielten Frust. Am Ende des Tages war es Lawrence wahrscheinlich egal. Sollte die Information über das Staffelfinale ihr tatsächlich den Genuss der dritten Season Homeland verdorben haben, muss es um diese Serienliebe schlecht bestellt sein. Anders gesagt: Wenn eine insgesamt 12 Stunden Lebenszeit veranschlagende Serienstaffel einzig dazu geeignet ist, Genuss über eine unerwartete Auflösung herzustellen, spricht das nicht gerade für sie. Welchen Wert kann schon ein künstlerisches Werk haben, das seine Integrität lediglich aus rein plotbezogenen Informationen bezieht? Die Frage nach Sinn oder Unsinn von Spoilern ist unweigerlich gestellt.

In der Onlinekommunikation hat die Angst vor möglicherweise unkenntlich preisgegebenen Informationen über Filme, Serien, Bücher oder Games ein Ausmaß angenommen, das mit Hysterie noch schmeichelhaft beschrieben ist. Falls sich jemand dem Internetdogma, das die strikte Vermeidung oder gegebenenfalls Markierung eines Spoilers vorschreibt, nicht verpflichtet fühlt, kann es schon mal ungemütlich werden. Es geht um eine Bestimmung der sinnlichen Erfahrung, als sei die gesamte Wahrnehmung künstlerischer Werke dahin, als könnten sie nicht mehr ohne Einschränkungen genossen werden. Diskussionen über Spoiler müssen daher Diskussionen über das Empfinden sein, über die Art und Beschaffenheit von Konsum und Rezeption. Geht es um Profundes? Oder doch nur banale Überraschungseffekte und Aha-Erlebnisse, um eine scheinbare Verkomplizierung des Erzählten und seiner Wiedergabe?

Wer das Kino als Geschichtenquell kunstvoll arrangierter Plots und Storys liebt, ist vielleicht aus gutem Grund erbost, wenn ihm ungefragt elementare Handlungsinformationen aufgetischt werden. Davon mögen besonders die klassischen Murder-Mysteries und Whodunits, die Twistorama-Tricks der Budenzauber-Narration oder das mit Fight Club postmodernisierte Mindfuck-Kino betroffen sein - Geschichten, die die Zuverlässigkeit der Erzählung auf die Probe stellen. Und gewiss: Die Ablehnung eines Kinos, das sich die kunstvolle Verarschung des Publikums durch unerwartete Wendungen und Auflösungen zum Ziel gemacht hat, berechtigt noch nicht zum Verleiden sinnlicher Erfahrungen. Doch was es über die etwaigen Stärken von The Sixth Sense aus, einem der Spoiler-Beispiele schlechthin, wenn die Kenntnis seiner finalen Wendung das Sehvergnügen erheblich oder sogar entscheidend beeinträchtigt? Ist Das Imperium schlägt zurück ob des Wissens über Darth Vaders Vaterschaft ein weniger großartiger Film? Und kann ein gespoilertes Ende von Planet der Affen geeignet sein, ihm seine Faszination zu rauben?

Natürlich nicht.

Es wäre schlimm, wenn Filme von M. Night Shyamalan, die in der Erwartung auf nahende Überraschungen längst mit der künstlichen Bedeutsamkeit epischer Vorausdeutung kontaminiert sind, lediglich beim ersten Mal zu überzeugen wüssten. Gutes Kino ist auch dann noch uneingeschränkt gut, wenn Plotmechanismen ausgehebelt sind. Ich kannte bereits vor meiner ersten Begegnung mit Vertigo – Aus dem Reich der Toten jeden seiner Twists (und ein wirklich guter Twist ist schlussendlich ein irrelevanter Twist), trotzdem hat sich mir ein Meisterwerk offenbart, das über simple Handlungspuzzleteile hinausreicht. Denn wesentlich ist, was ein filmisches Werk zu vermitteln hat, wenn mögliche Erzählkniffe und Wendungen zu Fall gebracht wurden. Der Film lässt sich konzentrierter wahrnehmen, alles Nicht-Narrative (oder eben die Art, wie das Narrative Überraschungen handhabt bzw. vorausschickt) gibt den Blick frei. Eine Studie der University of California will herausgefunden haben, dass die Kenntnis des Inhalts ästhetisches statt nur narratives Empfinden schärft. Das kann so schlecht nicht sein.

Daraus ergab sich für Mitarbeiter von Wikipedia eine interessante Diskussion. Auf der Plattform hatte sich die Unart eingeschlichen, Beschreibungen fiktionaler Werke mit Spoilerwarnungen zu versehen - ein Sieg der Hysterie über die unverzichtbare Real-world perspective. Nachdem tatsächlich auch hinlänglich bekannte, also archetypische, mythische, folkloristische und gar biblische Geschichten mit Spoilerwarnungen gekennzeichnet wurden, entschied sich das Internetnachschlagwerk schließlich dagegen. Hauptargument: Ein Plotdetail als Spoiler zu markieren, hieße für den Autoren auf Basis einer völlig subjektiven Meinung über die Signifikanz des Details zu entscheiden. Und das führe verständlicherweise nirgendwohin, außer vielleicht zu Geschmacksurteilen.

Anders als wissenschaftliche Arbeiten oder Lexika, die keinerlei Rücksicht auf Spoilerwarnungen nehmen können und dürfen, folgt die Film- und Serienkritik leider zunehmend rücksichtsvoll dem Spoiler-Verbot. Der sogenannte Kritikerpapst Roger Ebert war versucht, seine Reviews durch Spoilerwarnungen vermeintlich lesernah zu gestalten, obwohl er Filmkritik damit nur noch als ästhetisch deformierten Baukasten eingeschränkt vermittelter Informationen auswies. Er schrieb dann gern, wer Film X nicht gesehen habe, solle jetzt auch das Review Y zu Film Z besser nicht lesen. Mit einer Filmbeurteilung, die sich in wichtige oder weniger wichtige, in Spoiler-markierte oder demnach "gefahrlos" lesbare Abschnitte zerstückelt präsentiert, kann niemand etwas anfangen. Wo lebendig über Filme, Serien, Bücher und Games diskutiert wird, ist Spoiler-Hysterie das Ende der ernsthaften Beschäftigung mit künstlerischen Werken.

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