Ein erfolgreicher Pianist, eine verschuldete Immobilienhändlerin und eine einsame Altenpflegerin. An einer Kreuzung führt der neue Tatort aus Kiel diese drei durch einen Zufall zusammen. Was auf eine tragische Episode begrenzt bleiben könnte, verwandelt sich in eine Reihe von Dominosteinen, an deren Anfang eine folgenreiche Lüge und an deren Ende mehrere Tote stehen. Sein zehnjähriges Tatort-Jubiläum feiert Axel Milbergs Kommissar in Tatort: Borowski und der Engel und als Präsent gibt es nicht nur einen hervorragenden Krimi, sondern einen Ermittler, der vor den Verfehlungen seiner Verdächtigen auch nicht gefeit ist.
Lokalkolorit: Zum Geburtstag scheint im hohen Norden die Sonne. Die Wärme treibt die Menschen nach draußen, Pärchen turteln im Freien, nur Sabrina Dobisch (Lavinia Wilson) sitzt daheim und träumt von der große Liebe und noch größerer Aufmerksamkeit. Dobisch schmachtet bei Walzer tanzenden Herrschaften im Fernsehen. Auf den ersten Blick scheint es eine Romanze zu sein, die sie sich gleich zweimal ansieht. Aber der Film ist eines von mehreren bösen Omen. Wolfgang Staudtes Schicksal aus zweiter Hand mit Marianne Hoppe läuft nämlich und in dem erwürgt ein eifersüchtiger Ehemann seine geliebte Frau. Ausgerechnet der Tod führt sie dann nach draußen an diesem heißen Sommertag, an dem die Luft zu kochen scheint, als ihre neu erstandene Katze auf die Kreuzung springt und der Altenpflegerin all das beschert, wovon sie geträumt hat. Danach kühlt die Atmosphäre des Krimis merklich ab.
Plot: Sabrina Dobisch wünscht sich nichts mehr als ein “Danke”. Der Altenpflegerin ist gerade ein Kunde weggestorben, als sie mit dessen Katze und einer neuen Frisur einen verheerenden Autounfall verursacht. Geistesgegenwärtig zieht sie einen jungen Mann und die Fahrerin aus den Trümmern eines Blumenladens. Der aufstrebende Pianist stirbt an seinen Verletzungen, aber Dobisch wird als Heldin gefeiert. Und sie beginnt zu lügen: über die Katze auf der Straße, die letzten Worte des Toten und ihre Beziehung zu diesem.
Unterhaltung: Der Zufall bringt Tatort – Borowski und der Engel ins Rollen und der Zufall durchzieht den Krimi mit einem Hauch Absurdität, etwa wenn sich Schladitz (Thomas Kügel) mit einem Beweisstück in den Fuß schießt. Der trockene Humor Burowskis ergänzt sich jedenfalls ganz hervorragend mit der unbekümmerten Gewissenlosigkeit der eigentlichen Heldin dieses Krimis und so erreicht der Film seinen spannenden Höhepunkt in einem achtminütigen Wortgefecht zwischen Jäger und Gejagter, das ganz anders ausgeht, als es ein Tatort verlangt und dem Krimi eine perfide Pointe aufsetzt.
Tiefgang: Wie schon in Tatort: Borowski und die Frau am Fenster und Tatort: Borowski und der stille Gast wird dem Kieler Kommissar von Autor Sascha Arango ein psychopathischer, aber nichtsdestotrotz ebenbürtiger Gegenspieler vor die Nase gesetzt. Dabei gleitet auch die von Lavinia Wilson zerbrechlich und mit einer kindlichen Gewissenlosigkeit gespielte Dobisch nicht zur Karikatur des Bösen ab. Denn die Altenpflegerin sticht gar nicht so sehr heraus aus dieser Welt, in der die Eltern sich in Lügen über das Leben ihres toten Sohnes wiegen und die verschuldete Trinkerin in ihrer Edel-Hütte vereinsamt. Dobisch nimmt sich nur viel aktiver das, wonach sie sich sehnt, und mit ihren Märchen stößt sie auf offene Ohren.
Mord des Sonntags: Kein Mord, aber immerhin ein gemütlicher Abend auf der Couch mit einem Erdnussshake.
Zitat des Sonntags: “Sagen Sie, lügen eigentlich alle?” – “Ich nicht.” – “Sie lügen nie?” – “Niemals.”
Ein würdiger Jubiläumstatort war das für Borowski oder was meint ihr?