Der Titel Tatort: Borowski und der stille Gast wirkt noch harmlos. Doch was sich im neuen Tatort aus Kiel entspinnt, hat das Zeug zum handfesten Serienmörderthriller. Unter der Regie von Christian Alvart (Antikörper, Tatort: Borowski und der coole Hund) kommt Borowski (Axel Milberg) einem gewieften Stalker auf die Spur, der sich ins Leben seiner Opfer einschleicht, ohne dass diese es merken. Brenzlig wird es, als er ein Interesse für Sarah Brandt (Sibel Kekilli) entwickelt.
Lokalkolorit: Die Kieler Innenarchitektur kommt im neuen Tatort nicht sonderlich gut weg. Überall dominieren dröge Pastelltöne, so dass sich die manischen Augen von Kai Korthals (Lars Eidinger) ganz gut einreihen neben den vorwiegend in Schimmelblau gehaltenen Tapeten seiner Opfer. Im großen und ganzen beschränkt sich der Tatort auf eben jene Innenräume, die finsteren Flure und lieblos eingerichteten Wohnräume, in denen Kai es sich gemütlich macht. Dass er dann ausgerechnet auf einer großen Wiese von der Polizei eingekesselt wird, verleiht seinem verfehlten Streben nach menschlicher Nähe eine bittere Ironie.
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Plot: Wer den sonntäglichen Ratespaß erwartet, wird von Tatort – Borowski und der stille Gast enttäuscht. Stattdessen spielen Alvart und Autor Sascha Arango (Tom Sawyer) mit den Konventionen des Serienmörderfilms. Lange Zeit bewegen sich Borowskis Ermittlungen und Kais Alltag auf parallelen Schienen, die erst in Sarah Brandt eine Kreuzung finden. Dass wir dabei kaum etwas über Kai und sehr viel über Frau Brandt erfahren, rückt uns Zuschauer wiederum in die Nähe des Mannes, der anderer Leute Kinder entführt, um ihr Vertrauen zu gewinnen und Teil einer Familie zu sein. Ein Bein stellt sich der Tatort erst, als die beiden Erzählstränge zusammengeführt werden, wirkt die Episode im Gefängnis doch um des kleinen Thrills wegen arg konstruiert.
Unterhaltung: Wird das Ende etwas überstürzt eingeläutet, so bieten die vorangegangenen Minuten im Mindesten eine ordentliche Dosis Atmosphäre. Allein die Szene, in der Kai nach dem ersten Mord in einer Wohnung steht, sich die Zähne putzt, mit dem Kind redet und erst dann offenbar wird, dass es nicht die seine ist, sorgt für Gänsehaut. So wird die ständige Bedrohung des ungebetenen stillen Gasts aufgebaut, der in jeder dunklen Ecke warten könnte. Zu bedauern ist nur, dass sich der Krimi in den letzten Minuten in die Gefilde des sowieso unerreichbaren (und sehr unterschiedlichen) Das Schweigen der Lämmer flüchtet, um die Aura seines Bösewichts aufrecht zu erhalten. Dabei macht gerade das Gewöhnliche dessen Gefahrenpotential aus.
Tiefgang: Mit der menschlichen Nähe haben es die Figuren in Tatort – Borowski und der stille Gast nicht so. Sarah Brandt lässt niemanden an sich ran. Sie tut alles, um das einzige zu wahren, was ihr noch geblieben ist: die Arbeit. Ihr Geheimnis (die Epilepsie) treibt einen tiefen Keil zwischen Brandt und Borowski, der hoffentlich noch im nächsten Fall zu spüren ist. Der Kommissar wiederum hält die ungewollte Nähe zur kranken Brandt und zum (wieder mal) neuen Mitbewohner Schladitz nicht aus und lamentiert nebst gefrorenen Frühlingsrollen und Spinat über “Leichen und Zerhacktes und Hirn auf dem Teppich!” Derweil sehnt sich Lars Eidingers Kai nach eben dieser Intimität, welche die anderen verrückt macht. Eidinger, der in anderen Rollen oft wie ein zu groß gewachsenes quengeliges Kind wirkt, findet im kleinen Sohn eines seiner Opfer ein tragisches Spiegelbild.
Mord des Sonntags: Der freundliche Postmann bringt erst das Kind wieder und weiß dann ganz genau, wo die Kaffeefilter zu finden sind.
Zitat des Sonntags: “Was hat er ihnen getan?” – “Er hat mir meine Tabletten gebracht.”
Ich habe einen soliden Borowski-Tatort gesehen, aber wie hat der Kieler Krimi euch gefallen?