Der Münchner Tatort ist nie wirklich darüber hinweggekommen, dass Carlo Menzinger (Michael Fitz) nach 16 Jahren TV-Einsatz seinen Job an den Nagel hängte. Seit 2007 spielten die Krimis mit Ivo Batic (Udo Wachtveitl) und Franz Leitmayr (Miroslav Nemec) mit neuen Assistenten, die nach einer Episode wieder verschwinden und lieferten in Tatort: Der tiefe Schlaf sogar die definitive Erklärung, warum es keinen dauerhaften Ersatz geben kann. Sie laufen so rund, dass jeder Kollege langfristig als Fremdkörper abgestoßen wird. Und trotzdem: Außenseiter können die Chemie eines derart eingespielten Teams ins Ungleichgewicht bringen und für Abwechslung sorgen, weswegen solche Experimente die Münchner auch im hohen Dienstalter noch frisch halten, während die Kölner im Trott erstarren. In Tatort: Macht und Ohnmacht kehrt nun Carlo Menzinger höchstpersönlich zurück und bekommt einen düsteren Krimi als Willkommensgeschenk.
Lokalkolorit: Stellt euch vor, ihr habt Jahre im sonnigen Thailand verbracht, wo bekanntlich Milch, Honig und Singha-Bier fließen. Tagein, tagaus umgeben euch Palmen, feiner Sand, Meeresluft und betrunkene Touristen. Dann setzt euer Flugzeug in München auf. Ein grauer Himmel als Gruß, keiner holt euch vom Flughafen ab und euer bester Freund behandelt euch wie einen Fremden. So in etwa wird sich Carlo Menzinger in Tatort – Macht und Ohnmacht fühlen, einem Krimi, dessen körnig blasse Bilder von einer dreckigen Großstadt erzählen, in der Polizisten ihren ganzen Frust an Verdächtigen herausprügeln.
Plot: Ein Verkäufer wird fast totgeschlagen, doch die Polizei hat gegen die Tatverdächtigen nichts in der Hand. Wenig später liegt einer von ihnen ermordet auf einer Wiese, während sich ein Cop vor den Augen seiner Kollegen die Kugel gibt. Das Timing von Carlo Menzinger könnte also besser sein, als er Matteo Lechner (Emilio De Marchi), seinen besten Freund, in München besucht. Der weiß mehr über die Geschehnisse, als er zugibt, und endet schließlich selbst am Strang unter einem Baum. Was nach einem Selbstmord aussieht, entpuppt sich als Tat eines Polizisten, der das brutale Vorgehen seiner Truppe vertuschen will.
Unterhaltung: Obwohl Tatort – Macht und Ohnmacht sich der Nostalgie eines Wiedersehens alter Freunde hingeben könnte, unternimmt der Krimi von Regisseur Thomas Stiller sowie den Autoren Dinah Marte Golch und Edward Berger nichts dergleichen. Stattdessen folgen wir den Kollegen Lechner, Zimmermann und Co. tief hinein in einen Allatg, der sie selbst verroht hat. Ob der Rechtsanwalt, den sie ins Visier genommen haben, nun wirklich seine Frau schlägt oder nicht, ist Nebensache. Die Opfer, um ein Zitat Menzingers aufzunehmen, sind in diesem Krimi Nebensache. Viel spannender ist hier, wie die aufeinander eingeschworenen Gesetzeshüter zu Tätern werden.
Tiefgang: In Tatort – Macht und Ohnmacht verbirgt sich selbst noch in den kleinsten Winkeln Gewalt. Der Vater, der seinen Sohn schlägt, die Jugendlichen, die auf Polizisten einprügeln, die Polizisten, die sich mit doppelter Härte an ihnen rächen. Zwar endet der Krimi mit der optimistischen Note, dass Leitmayr und Batic Menzinger ja mal in Thailand besuchen könnten. Doch warum sollte sich der Wellness-Resort-Leiter von seiner Vergangenheit einholen lassen? Wenn Menzinger damals nicht abgehauen wäre, dann ginge es ihm vielleicht so wie Lechner. Immer leicht aufbrausend, lässt er zu viel an sich ran, verliert abseits der Arbeit alles aus den Augen und erkennt sich eines Tages als Polizist nicht mehr wieder. Neben den Stehaufmännchen Batic und Leitmayr muss er wie ein Außenseiter wirken und tut das, was für ihn das Beste ist: bloß schnell wieder abhauen.
Mord des Montags: Tote gab es zwar einige, aber der Selbstmord des Polizisten in der Umkleide bringt die Stimmung dieses Krimis auf den Punkt.
Zitat des Montags: “Es gibt überhaupt nichts Schöneres, als in der Früh mit ’nem Kugelschreiber in dem Schädel von ’nem Teenager rumzustochern.”
Ein erstklassiger Tatort aus München war das oder was meint ihr?