Tatort - Wer in Frankfurt das Schweigen bricht

14.04.2013 - 21:45 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Tatort - Wer das Schweigen bricht
HR
Tatort - Wer das Schweigen bricht
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Melancholie tropft aus jeder filmischen Pore dieses herausragenden Abschiedstatorts aus Frankfurt, der seine Hauptdarsteller Joachim Król und Nina Kunzendorf in Bestform zeigt.

Joachim Król und Nina Kunzendorf sind bzw. waren mit großem Abstand das beste Tatort -Team, das in den letzten Jahren auf Mörderjagd gegangen ist. “Duo” ist allerdings zu kurz gegriffen, denn die Frankfurter Tatorte um Frank Steier (Król) und Conny Mey (Kunzendorf) sind ohne Autor und Regisseur Lars Kraume undenkbar. Der schrieb die vergangenen vier Fälle, inszenierte drei davon und lieferte die Vorlage für die Abschiedsvorstellung Kunzendorfs: Tatort: Wer das Schweigen bricht. Wie die vorangegangen Frankfurter Krimis besticht der neue Fall durch seine rohe emotionale Härte, unter der nur sporadisch so etwas wie Optimismus aufblitzt. Zwar gerät die eigentliche Untersuchung nach der Hälfte des Krimis in den Hintergrund, weshalb die Auflösung im Schnelldurchlauf abgewickelt wird. Im Mittelpunkt stehen sowieso Steier und Mey, Yin und Yang, die einander in vier Krimis die Einzelhaft erträglicher machten, bis im fünften eine Partei den Ausbruch wagt. Das Bewundernswerte an diesem Tatort ist seine Ehrlichkeit. Des einen Befreiungsschlag bleibt des anderen Verlust.

Lokalkolorit: Es gibt abgesehen vom Rostocker Polizeiruf derzeit keinen Sonntagskrimi, der sich in einer dermaßen homogenen (Film-)Welt bewegt wie die Tatorte von Steier und Mey. Selbst die ganz auf Axel Milberg zugeschnittenen Borowski-Krimis fahren den Pegel der schwarzhumorigen Überzeichnung abhängig von der geforderten Seriosität rauf oder runter. Andere Teams konstruieren ihre Stadt oder Region in jedem Fall neu. Dem Bild von Lars Kraumes Frankfurt, eine Insel der Einsamen, werden dagegen seit fünf Fällen Schattierungen hinzugefügt, welche die Welt, in der sich Mey und Steier bewegen, abrunden, ohne sie dramatisch zu verändern. In Tatort – Wer das Schweigen bricht folgen wir ihnen in ein Jugendgefängnis, in dem nicht ganz klar ist, wer tatsächlich in Isolationshaft sitzt: die Wärter oder ihre Gefangenen. Diese triste Parallelwelt, in der sich alle mit den Zuständen abgefunden haben und keiner an Besserung glaubt, scheint genau das in sich zu vereinen, was Conny Mey zur Flucht drängt.

Plot: Ein Insasse wird tot in seiner Zelle aufgefunden, offenbar gefoltert durch die Entfernung von acht Zehennägeln. Frank Steier trifft sowohl bei den Gefangenen als auch beim Personal auf eine Mauer des Schweigens. Redet sich der Direktor der Anstalt (Sylvester Groth in seinem dritten Tatort des Jahres) die Vorzüge seines “Systems” schön, deckt Steier auf, wie Drogenhandel, Folter und Mord das Leben hinter Gittern unter Aufsicht der gelähmten Ordnungsmacht dominieren. Währenddessen wartet Mey auf den richtigen Moment, um ihrem Kollegen mitzuteilen, dass sie Frankfurt verlässt. Die Arbeit in einer Kieler Polizeischule ist der Rettungsanker für die aufgeweckte und immer etwas schrille Mey, die in der alles erdrückenden Schwermut der Mainmetropole wie ihre roten Lederstiefel herausstechen muss. “Ich glaube daran, dass man die Welt verbessern kann”, begründet sie ihren Schritt gegenüber Steier. Dabei ist der Rückzug aus der Ermittlungsarbeit nichts weiter als das Eingeständnis, dass dem nicht so ist.

Unterhaltung: Zeigen, nicht erzählen, lautet das Motto auch dieses Tatorts aus der Feder von Lars Kraume. Zwar amüsiert der Fall durch Steiers und Meys forsche Dialoge, welche durch ihre umgangssprachliche, aber nicht rustikal regionale Prägung viel zur dichten Milieuschilderung der Frankfurter Tatorte beitragen. Steiers Antwort auf Meys Ankündigung beispielsweise ist gleichermaßen komisch, trotzig und verletzend (“Na, wissen Sie, Frau Mey, es stimmt, wir kennen uns jetzt schon ’ne ganze Weile, aber ’ne größere Scheiße haben Sie noch nie von sich gegeben.”). In den entscheidenden Momenten belässt es der Krimi bei Gesten, Blicken, beiläufigen Beobachtungen. Das mag dem Gelegenheitszuschauer am Sonntagabend langsam vorkommen. Doch Kraumes Krimis sind gerade deswegen die filmischsten unter allen aktuellen Tatorten. Wirken die Fälle anderer Kommissare in ihrer Didaktik wie Exkursionen in fremde Welten, die kurz vor Erschallen des Abspanns ein lehrreiches Ende finden, bringt jeder Frankfurt-Krimi die logische Erweiterung einer Welt, die ihre Ermittler, zum Leidwesen Meys, mehr formt, als es umgekehrt möglich ist.

Tiefgang: Tatort – Wer das Schweigen bricht markiert den Abschied von Conny Mey, doch es ist der wohl Steier-zentrischste Fall seit Tatort: Der Tote im Nachtzug. Zu Beginn rast er durch die Stadt. Noch wissen wir nicht, was ihn in Aufruhr versetzt, weshalb die Auflösung umso stärker einschlägt. Erst im Nachhinein ist die volle Verzweiflung spürbar, die Joachim Król in jener Szene still zum Ausdruck bringt, in der Mey Steier ihre Entscheidung mitteilt. Steiers Privatleben beschränkte sich in den vergangenen Folgen auf den schrumpfenden Alkoholvorrat in seinem Büro. Einzig Mey und sein Mitbewohner Edgar bildeten menschliche Bezugspunkte des Einzelgängers. Beide verliert er im Verlauf dieses Krimis, der das irreparable Auseinanderbrechen seines Teams durch nichts besser repräsentiert als zwei Großaufnahmen: die der strahlenden Conny Mey, die dem Chef (Gerd Wameling) ihre Entscheidung mitteilt, und die Steiers, für den bei Erkenntnis des doppelten Verlusts eine Welt zusammenbricht. Dass sich die beiden am Ende verpassen und Steier allein mit dem Mädchengemüse zurückbleibt, bleibt ein bitterer, aber konsequenter Schlusspunkt ihrer Beziehung.

Mord des Sonntags: Steier mag ein funktionierender Alkoholiker sein, der sich vor Verlassen seines Büros Mut antrinken muss. Aber das heißt nicht, dass er, wenn’s hart auf hart kommt, kneift, wie der eiskalte Kopfschuss im Finale unterstreicht.

Zitat des Sonntags: “Sie sind ein komischer Mensch, Herr Steier.”

Ein trauriger, aber unsentimentaler Abschied von Conny Mey war das oder was meint ihr?

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