Wer findet, mit Unbreakable - Unzerbrechlich hat M. Night Shyamalan einen der spannendsten Superheldenfilme gedreht, The Village ist ein wunderschönes Aussteiger-Drama und The Happening ist ohne Mark Wahlbergs Nicht-Schauspiel eine atmosphärisch dichte Parabel, dem kann ich hier nichts Neues erzählen. Wer es jedoch liebt, M. Night Shyamalan und seine Filme zu hassen, ihm Nichtkönnen vorzuwerfen, weil er seit The Sixth Sense eh nichts mehr hinbekommen hat, der sollte weiterlesen.
The Visit ist keine Überraschung
Die Pressestimmen überschlagen sich. M. Night Shyamalan ist zurück! "Der schockierendste M. Night Shyamalan-Twist ist ein guter Film von ihm", schreibt The Verge über seine Horrorkomödie The Visit, die am 24. September in unseren Kinos anlief. Viele Kritiker zeigen sich überrascht, dass The Visit unterhaltsam und clever sei. Auf viele Arten ist der 5 Millionen "teure" The Visit ein preiswerter The Sixth Sense mit Humor. Er greift zudem viel aus weiteren seiner Filme auf. So wie er in Unbreakable das Superheldengenre dekonstruiert, zerpflückt Shyamalan hier das Found-Footage-Genre und sich selbst in alle Einzelteile, nimmt die Geschichte ernst, aber niemals die Inszenierung an sich, als würde jemand mit unangebrachten Mitteln eine Doku über ein ernstes Thema drehen. Wie in den meisten seiner Filme spielt er auch hier mit der Angst und der Faszination am Fremden sowie dem schmalen Grat zwischen Übernatürlichem und Realität. Kinder müssen ihre Ängste überwinden und den Umständen trotzen wie in Shyamalans After Earth, familiäre Beziehungen stehen im Vordergrund wie in fast allen seiner Filme. Nicht dem Ort, aber den Menschen wohnt Unheimliches inne.
Der Twist ist mehr als ein Markenzeichen
Der Twist ist König. Nicht nur hatte M. Night Shyamalan damit in The Sixth Sense seinen Durchbruch, auch verwendet er ihn in beinahe jedem Film als Stilmittel. Viele kritisierten nach seiner ersten großen Regiearbeit und dem Kassenschlager The Sixth Sense, dass er sich zu sehr auf sein Markenzeichen, den Twist, stützen würde, doch der Twist ist schon immer die Grundlage seiner Filme. Einen Shyamalan-Film kann der Zuschauer meist erst begreifen, nachdem er ihn gesehen hat. Vorher ist oft weder das Genre noch die Handlung geschweige denn der Ausgang der Geschichte oder die Entwicklung der Charaktere wirklich sicher.
Eine Sache, die M. Night Shyamalan an The Visit am meisten mag , ist, dass der Film mit voranschreitender Dauer zunehmend verrückter wird, was das Marketing nicht vorhersehen lässt. Dieses suggeriert eine gemäßigte Gruselkomödie. Filme, die neue Erzählarten versuchen, mit Genrekonventionen spielen und deren Stimmung rasch umschwenken kann, sind oft nicht einfach zu vermarkten, was Shyamalan bei seinem ersten großen Kritiker-Flop The Village zum Verhängnis wurde.
Horror-Marketing und falsche Erwartungen
Das falsche Marketing für das von Roger Deakins eindringlich gefilmte, einfühlsame Drama The Village kostete M. Night Shyamalan den Ruf. Das Marketing für Shyamalans sechste Regiearbeit vermittelte einen übernatürlichen und schockierenden Gruselfilm - wie The Sixth Sense, Unbreakable und Signs zuvor - und wurde stark mit dem Namen Shyamalan beworben. Spoiler: Der Film jedoch hatte nichts Übernatürliches an sich und der Twist bauschte das Thema nicht weiter auf - so wie in The Sixth Sense - sondern wendete sich vom Erwarteten ab. So wie die Protagonistin können wir am Ende unseren Augen nicht trauen, wenn wir in die harte Realität geworfen werden und die Fantasy-Blase, die gleichermaßen von den Film-Ältesten als auch den Marketing-Leuten aufgebauscht wurde, zerplatzt. Das ist ja tatsächlich ein Film mit Anspruch, es geht um gescheiterte Existenzen, um lebensbedrohende Bevormundung, um Aussteiger, um Behinderung. Die Massen schrien auf. Spoiler Ende.
Sony nahm diese absurde Abneigung gegen Shyamalan nach der 2010 übel rezipierten Serien-Adaption Die Legende von Aang zur Kenntnis und versuchte bei der Vermarktung von After Earth 2013 sogar, seinen Namen zu verstecken, was dem Studio ironischerweise vielleicht noch mehr Geld kostete .
Die Leute gehen ins Kino
Kinobesucher lassen sich von den oftmals schlechten Kritiken und dem Ruf Shyamalans jedoch nicht abschrecken. Der einzige für das produzierende Studio finanziell schmerzhafte Film war übrigens nur das Gute-Nacht-Märchen Das Mädchen aus dem Wasser, der gerade einmal so viel einspielte , wie er kostete, nämlich 70 Millionen US-Dollar. Selbst der gern gehasste After Earth spielte zumindest beinahe das Doppelte seiner Kosten ein, so auch der von vielen verleugnete Die Legende von Aang. Alle weiteren Filme von Shyamalan wussten über das 3-fache (Happening, Unbreakable), 4-fache (The Village), 5-fache (Signs) und sogar 16-fache (The Sixth Sense) einzuspielen.
Mit The Visit wendet sich Shyamalan nun vom Blockbuster der preislichen Mittelklasse ab. Die Horrorkomödie kostete bloß 5 Millionen und hat bereits ein Vielfaches davon eingespielt. Einen high-concept-low-budget-Horrorfilm zu drehen, wurde ihm von keinem Geringeren als dem aktuellen Horror-Produzenten, Jason Blum (Sinister, Insidious, Conjuring, Paranormal Activity), vorgeschlagen . Zwar springt Shyamalan mit seinem Kleinprojekt auf den Minimalismuszug auf, macht sich diesen Ansatz jedoch vollkommen zu eigen und paart Familienzerwürfnisse durch Kinderaugen mit Found-Footage-Grusel und derbem Humor.
Shyamalan war nie weg
Shyamalan, der mit den Komödien Wide Awake und Praying with Anger seine Regie-Karriere begann, schrieb und drehte seitdem schnelle Kinderfilme (Die Legende von Aang, Stuart Little), Parabeln auf die Macht der Natur (After Earth, The Happening), einnehmende Familiendramen (Signs, The Village), dekonstruierte beliebte Genres (Unbreakable, The Visit) und kehrt mit The Visit nun auch zur Komödie zurück. Er will keinen Mythos aufbauen und Fragen offen lassen, wie manch "intelligenter" Blockbuster. Nicht komplexe Storylines und ein Gefühl für das zu Erwartende sind der Anreiz, M. Night Shyamalans Filme zu sehen, sondern das Nichtwissen darüber. Es sind keine Riesenwelten mit epischen Bauten, sondern kleine Räume mit finsteren Ecken. Er will nicht die Welt erklären, er zeigt uns Unerwartetes. Sie sind aus einem Guss. Shyamalan erzählt Märchen, Parabeln, intime Geschichten, jedes Mal auf eine andere Art und Weise.
Sein nächstes Projekt wird übrigens ein "klassisch erzählter Thriller" mit kleinem Budget, der ihn nach Signs und The Village wieder mit Joaquin Phoenix vereint . Also wieder etwas ganz anderes und ich kann den Twist kaum erwarten.