Til Schweigers falsches Verständnis von Kritik

06.02.2013 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Kokowääh 2
Warner Bros. Pictures
Kokowääh 2
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Zum Kinostart von Kokowääh 2 muss einmal mehr auf die problematische Presse-Politik von Til Schweiger hingewiesen werden. Denn das Multitalent unterdrückt gezielt unabhängige Berichterstattung, um damit letztlich auch das Publikum zu bevormunden.

Til Schweiger und die Pressefreiheit, ein altes Lied. Doch es gehört mit jedem neuen Film des fast 50jährigen Produzenten, Drehbuchautoren, Regisseurs, Schauspielers und Filmkritikerschrecks wiederholt angestimmt. Denn nach wie vor kommen vor Kinostart nur ausgewählte Journalisten_Innen in den Genuss seiner Produktionen, alle anderen müssen sich, so will es Schweiger, mindestens bis zum Starttag gedulden und brav ein Ticket lösen. Im Anschluss könnten sie ja immer noch ihre Kritiken schreiben, sagt er. Die geladene Presse hingegen, die darf natürlich, die soll wohl, die muss vermutlich sogar vorab fleißig berichten. Und zwar, freilich, im Sinne des Filmemachers – also anheizend, werbend, wohl gesonnen. Filmkritik- und Berichterstattung als zwangsaffirmative Knechtschaft, so gesehen.

Sabotage und Manipulation: Erfolg mit Methode
Unabhängig und kritisch, im Sinne der Öffentlichkeit, kann über den Film selbst dann schließlich erst nach Kinostart konkret berichtet werden, wenn das erste Wochenende bereits die Moneten ins Haus flattern ließ, wenn der Bedarf schlicht nicht mehr ganz so groß ist. Über Schweigers Umgang mit Presse, öffentlicher Meinung und öffentlichen Geldern also muss so lange geschrieben und gesprochen werden, bis er selbst, seine Produktionsfirma Barefoot Films oder sein Stammverleih Warner Bros. Deutschland die Sabotage und Manipulation des filmkritischen Diskurses stoppen. Und das ist bei Kokowääh 2, Schweigers neuem Film, erwartungsgemäß nicht der Fall.

Zum Film selbst also kann ich hier nichts sagen. Es bleibt lediglich der Blick auf das Poster und den etwas zu lang geratenen Trailer. Das Plakatmotiv, so es ein solches genannt werden will, ist exakt das gleiche wie im Vorgänger, lediglich zu unterscheiden von einer 2 im Titel. Diese markerschütternd originelle Strategie verfolgten die Macher bereits zur Vermarktung von Keinohrhasen und Zweiohrküken, die ebenfalls mit dem exakt gleichen Poster beworben wurden (sogar die Tagline blieb unverändert). Der Trailer wiederum reiht ein paar harmlos wirkende Witzchen mit Hang zum Sentiment aneinander, der Look erinnert an Instagram-Bilder, wie sie auf Facebook die Runde machen: Jedes Bild per Mausklick mit einem Sonnenschein-Effekt veredelt. Das Ensemble wiederum scheint von bekannten Gesichtern bestimmt, so wie ja in Schweiger-Filmen grundsätzlich seine eigenen Kinder, Emma Tiger Schweiger und Luna Schweiger, das Kino-Ziehkind Matthias Schweighöfer und andere Darsteller wie Jana Reinermann, Sönke Möhring oder Karoline Schuch beheimatet sind.

Einseitige Presse und staatliche Förderung
Ich muss mich also woanders informieren. Die Suche nach erlesener Berichterstattung zur Fortsetzung von Kokowääh, dem mit 4,3 Millionen Zuschauern erfolgreichsten deutschen Kinofilm 2011, führt dann auch schnell zu gezielten Ergebnissen. So schrieb etwa Bild-Online enthusiastisch über die Deutschlandpremiere am Dienstag vergangener Woche und schwärmte in dick hervorgehobenen Buchstaben vom offenbar im Film dargestellten Zusammenhalt der Patchwork-Familie. Dieter Oßwald lobt bei programmkino hingegen die Situationskomik des Films und konstatiert schon vorab himmelhoch jauchzend: „So sehen Kino-Sieger aus beim Publikum!“. Über selektive Presse und die gezielte Unterdrückung ausgewogener Berichterstattung ist da vorab überraschenderweise genauso so wenig zu lesen wie von eventuell weniger begeisterten Stimmen. Denn die können ja später ein Kinoticket lösen und drüber schreiben, versteht sich.

Geht es in Talkshows, die er aus Marketinggründen zum Kinostart seiner Filme gern und viel besucht, um genau dieses Thema, erklärt Til Schweiger in der Regel, seine Arbeiten seien für ihn wie Babys. Und niemand ertrage es schließlich, wenn diesen Babys mit schlimmen Worten wehgetan werde. So weit, so schlecht. Nun aber sind Schweigers Produktionen, zuletzt Schutzengel, der gerade einmal 700.000 Zuschauer in die deutschen Kinos locken konnte, mit staatlichem Geld gefördert – und das nicht zu knapp (siehe bei critic.de). Der rein logischen Verantwortung, seine Filme dadurch (vor Veröffentlichung) auch selbstverständlich einer unabhängigen Filmpresse zugänglich zu machen, kommt er gezielt nicht nach. Er bringt also die Öffentlichkeit um die Möglichkeit, sich vorab frei über die Qualität seiner subventionierten Filmproduktionen informieren zu können – und füttert den interessierten Bürger stattdessen mit ausgewählter Positivberichterstattung. Er nutzt die Fachpresse, auf die er ja angeblich gar nicht angewiesen sei, zu seinen Gunsten. Und das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit.

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