Transit - Ein besserer Berlinale-Film wird schwer zu finden sein

06.04.2018 - 15:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Zum vierten Mal steht Christian Petzold mit einem Film im Wettbewerb um den Goldenen Bären der Berlinale. Das Flüchtlingsdrama Transit zählt zu seinen besten Filmen, ob bei der Berlinale oder nicht.

Update: Transit von Christian Petzold läuft seit Donnerstag, den 05.04.2018 in den deutschen Kinos. Anlässlich der Berlinale Premiere am 17.02.2018 beschrieben wir unsere ersten Eindrücke.

Einmal abwenden, einen Blick hinaus aufs Meer riskieren, an der Zigarette ziehen und schon ist die Frau neben ihm verschwunden. Das Verschwinden liegt am Beginn der Geschichte von Transit, in der Georg (Franz Rogowski) auf der Flucht in Paris einen Schriftsteller aufsucht. Er findet nur noch die blutüberströmte Emaille. Mit einem Manuskript dieses Herrn Weidel in der Hand folgt die Flucht in die Hafenstadt Marseille. Die aber wirkt im neuen Film von Christian Petzold als Magnet auf diesen Mann, der schon bald die Identität des Autors annimmt und andere kennenlernt, die in dem Tor zur freien Welt feststecken, einer Stadt, die Vergangenheit und Gegenwart magnetisch an sich zieht. Alldieweil wartet das Schiff nach Mexiko auf seinen Passagier. So entwickelt sich in Transit aus Furcht vor und Sehnsucht nach dem Bleiben schließlich eine Dynamik, der sich kaum entzogen werden kann, wirken erst einmal alle Triebkräfte auf- und auseinander. Man könnte weinen, würden die Absurditäten nicht zum Schmunzeln anregen. Das wusste schon Rick Blaine. Der Wettbewerb der Berlinale 2018 muss jedenfalls erst noch einen besseren Film als Transit aufbieten und es wäre kaum zu bedauern, blieben diese Versuche in der kommenden Woche ergebnislos.

Die Bezüge zur Gegenwart sind unverkennbar

Das Zeitgefüge selbst ist in Transit verwirrt, als würde jemand eine Geschichte erzählen, die vor Jahrzehnten jemand anderem widerfahren ist, nur weiß dieser, unser Erzähler nicht, wie die Straßenzüge und Hotelzimmer und der Kai damals aussahen. "Deutsches Reich" steht auf dem Pass des neuen Weidel, seine Kleider, die hölzernen Koffer, sie haben sich aus einer anderen Zeit ins moderne Marseille verlaufen, wo gleichzeitig Plastiktrolleys übers Pflaster klappern. Transit basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers aus dem Jahr 1944, der auf ihren eigenen Erfahrungen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten basiert. Drohende "Säuberungen" kommen der Stadt näher, während Flüchtlinge ihnen mit Hilfe von Visa oder beschwerlichen Wanderungen über die Berge zu entkommen suchen. Nur wurde der Film im heutigen Marseille gedreht, ohne die üblichen Insignien historischer Rekonstruktion. Keine falschen Pflastersteine aus Babelsberg, keine Häuserfassaden, hinter denen die Leere wartet. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen stattdessen, was die Bezüge zur aktuellen Flüchtlingsdebatte unverkennbar werden lässt.

Franz Rogowski in Transit

Hinzu kommen Widersprüche zwischen Erzähler (Matthias Brandt) und Film. Wird hier Weidels letztes Manuskript vorgelesen? "Erlebt" sein Doppelgänger diese Geschichte oder ist auch er nur eine Figur im Roman eines anderen? Eines jener "Parasiten", wie es einmal heißt, der das gesehene Verderben für einen Roman nutzt? Das ist eine Interpretation, die wir über die Geschichten jener hören, die mittendrin stecken im Grauen, die ihm entgehen und daraus Erzählungen spinnen. Die Schuld schwingt mit, überlebt zu haben, zurückgelassen zu haben. Jener Erzähler bringt zum Vergleich der Todgeweihten, die noch einkaufen gehen, auch mal Dawn of the Dead an, wohl kaum der erste Film, den man in einer Anna Seghers-Verfilmung erwartet.

Auf der Schwelle stehen

Tansit zählt zu einer Reihe von Filmen im Programm der Berlinale 2018, die sich mit dem Flüchtlingsdasein beschäftigen, darunter Eldorado von Markus Imhoof, der ebenfalls im Wettbewerb läuft, oder Styx von Wolfgang Fischer, in dem eine Ärztin bei einem Segeltörn auf ein Flüchtlingsboot stößt. In der Dokumentation Zentralflughafen THF wird mit dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin ein Ort des Übergangs besucht, in dem Migranten unterkommen, die auf Bestätigung ihres Status' warten. Hangars aus den 30er Jahren wurden hier zu provisorischen Unterkünften umfunktioniert. Das Gepäck wird immer noch durchleuchtet, nur lässt die Weiterreise an diesem Ort Monate auf sich warten.

Die Dissonanzen werden in dem Film von Karim Ainouz gezielt gesucht. Historisch wie architektonisch bildet das Gelände, mit dem die Aufrüstung des nationalsozialistischen Deutschland ebenso verbunden wird wie die Luftbrücke und nun die Aufnahme von Flüchtigen, dafür fruchtbaren Boden. Vor allem konstruieren die parallelen Aufnahmen des Tempelhofer Feldes mit seinen Fahrradfahrern und grillenden Familien einen Ort als ständige Schwelle. Das andere Leben ist greifbar nah und gleichzeitig ein Papiergebirge entfernt.

Transit

Das Unveränderliche im Flüchtigen

Der Effekt der Gegensätze in Handlung, Szenen- und Kostümbild ist in dem Film von Christian Petzold weniger irritierend, als man annehmen könnte. In Transit wird die Überschneidung der Zeiten und Erzählungen bereits angenommen und nicht unnötig hervorgehoben. Es ist ein Film, der in den Übergängen, im Flüchtigen das Unveränderliche sucht. Die Sehnsucht einer Frau nach ihrem Ehemann, den sie selbst verlassen hatte, zum Beispiel. Marie (Paula Beer) ist hin- und hergerissen zwischen Passageschein und Festland, Weiterziehen oder Warten auf den Schriftsteller, dessen Leiche mal in dieser blutigen Badewanne lag. Dessen Tod den Abschluss ihrer Geschichte bedeuten würde, auf deren letzter Seite aber doch die Versöhnung stehen muss. Georg scheint demgegenüber entwurzelt. Er besingt traurig die Heimkehr, die ihm verwehrt bleibt. Erst Marie, und damit Marseille, wird ihn festhalten.

Die Geschichten, das ist die andere Interpretation, sind die Luft zum Atmen in Transit. Mit 12 Passbildern sitzt der Dirigent im Konsulat und erzählt, er solle die moderne Musik nach Südamerika bringen, ein Vorhaben, das er selbst nicht nachvollziehen kann. Erzählt und erzählt von seinen bürokratischen Mühen. Er nagt allen Sitznachbarn ein Ohr ab, käut seine Biografie wieder, als ginge es um sein Leben. Was es auch tut in einer Inszenierung, in der zwischen einem Two-Shot und dem Schweigen in einer Nahaufnahme ein Mensch einfach so verschwinden kann. Zum Zombie wird man in Transit erst, wenn die Geschichten auserzählt sind.

Mehr: Alle Artikel zur Berlinale 2018 auf einen Blick

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