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Überlebenskampf: Was bleibt, ist die Hoffnung

20.03.2015 - 12:00 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
MARIYAAN
Aascar Film Pvt. Ltd.
MARIYAAN
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MARIYAAN gehört zu den seltenen Filmen, die uns Kino wirklich fühlen lassen. Deren filmische Illusion so greifbar und bewegend ist, dass wir das Martyrium des Protagonisten mit jeder Faser unseres Körpers spüren. Wir teilen seine Schmerzen, das Leid und die allgegenwärtige Angst. Wir gehen gemeinsam mit ihm durch die Hölle und klammern uns an das Einzige was bleibt: Hoffnung.

Zur Handlung: Mariyaan (Dhanush) ist Fischer und hat eine besondere Bindung zum Meer. Deshalb nennt er sich selbst „Kadal Rasa" (König des Meeres). Als Panimalar (Parvathi Menon), die Liebe seines Lebens, in Geldnot gerät, will Mariyaan helfen. Da er selbst jedoch arm wie eine Kirchenmaus ist, lässt er sich für einen Job im Sudan anheuern. Zwei Jahre arbeitet er dort und zählt die Tage, bis er zurück in sein Dorf und zu Panimalar kann. Kurz bevor er seine Rückreise antritt, wird er von sudanesischen Terroristen verschleppt. Er wird brutal misshandelt und hat Todesangst. Er sieht nur eine Chance zu überleben: die Flucht ...

Regisseur Ganapathy Bharat, besser bekannt als Bharat Bala, ist von Haus aus ein erfolgreicher Werbefilmer. Er weiß, wie man Produkte an den Mann bringt. Was er uns in MARIYAAN verkauft, sind Emotionen. Große Emotionen. Liebe, Trennung, Hoffnung, Hilflosigkeit, Verzeiflung, Angst, Abscheu, Dankbarkeit, Freude, Fassungslosigkeit, Schmerz, Trauer, Wut ... die Liste ist endlos.

Um die Emotionen bestmöglich zu vermitteln, lässt sich Bala Zeit, seine Charaktere aufzubauen. Er führt uns in das Fischerdorf Neerodi an der Küste Tamil Nadus und in die Welt seines Protagonisten Mariyaan. Wir lernen seine Freunde kennen, seine Sorgen, Freuden und seine außergewöhnliche Verbundenheit mit dem Meer - und natürlich das Mädchen, das unsterblich in ihn verliebt ist und ihm mit ihren Annäherungsversuchen den letzten Nerv raubt.

Dhanush (Aadukalam, 3) und Parvathi Menon (Poo, City of God) harmonieren hervorragend miteinander, sowohl bei den Streitereien, als auch später als Liebespaar. Ihre Liebe entwickelt sich langsam und glaubhaft. Dadurch kann der Zuschauer Empathie für die Protagonisten entwickeln. Dhanush ist der Star des Films, doch Parvathi Menon lässt sich nicht in den Schatten drängen. Sie hält mit und zeigt, dass sie eine talentierte Schauspielerin ist und nicht nur eines der zahlreichen hübschen Gesichter, die nur mit dem Protagonisten mitlaufen.

Dhanush übertrifft sich in der Rolle von Mariyaan selbst. Er hat bereits mehrfach bewiesen, dass er das Zeug hat, auch komplexe Rollen zu meistern. Seine Rolle als Mariyaan ist komplex, denn er wird aus der gewohnten Umgebung herausgerissen und gerät in eine Situation, die mit menschlicher Vorstellungskraft kaum nachzuempfinden ist. Er ist seinen unberechenbaren Entführern hilflos ausgeliefert. Er weiß nicht, wo er sich befindet, wird gefoltert und schikaniert. Die Angst, dass einem der Entführer jederzeit die Sicherung durchbrennen könnte und er erschossen wird, ist allgegenwärtig. Hunger, Gewalt, Todesangst und die ständige Ungewissheit bereiten ihm physische und psychische Qualen. Wie fühlt sich das an?

Dhanush vermittelt die Emotionen des Protagonisten hervorragend. Seine fein akzentuierte Mimik spricht Bände und seine Körpersprache ist glaubhaft. Er wechselt die Emotionen im Sekundentakt und all das Leid, der Schmerz, die Hilflosigkeit und die Angst werden spürbar. Die Emotionen springen auf den Zuschauer über und er taucht in das Wechselbad der Gefühle ein. Mariyaans Martyrium wird spürbar.

Regisseur Bharat Bala geht sogar noch einen Schritt weiter und spielt mit den Gefühlen des Zuschauers. Immer wieder schleichen sich leichte Momente ein und gestatten dem Zuschauer kleine Verschnaufpausen. Positive Emotionen lösen die negativen ab. Das Entsetzen weicht für einen Augenblick. Aber nur, um im nächsten Augenblick umso heftiger zuzuschlagen.

Dhanushs starke Performance trägt den Film. Er IST Mariyaan. Von der ersten bis zur letzten Sekunde. Der Zuschauer geht mit Mariyaan gemeinsam durch die Hölle und spürt seine Emotionen am eigenen Leib. Sowas ist im aktuellen Kino selten geworden. Umso erfreulicher, dass es solche Filmperlen gibt, die uns daran erinnern, dass Kino mehr sein kann als aufgeplusterte Special Effects und am Computer generierte Knallbonbons.

Der Film hat jedoch noch mehr zu bieten. Zum Beispiel die Musik von Oscar-Preisträger A.R. Rahman (Slumdog Millionär, 127 Hours). Dass Rahman ein virtuoser Komponist ist, dürfte bekannt sein. In MARIYAAN hat er die Emotionen des Films eingefangen und musikalisch umgesetzt. Jeder Song greift die jeweilige Situation auf und steigert die Intensität der Gefühle.

Ein weiteres Highlight ist die Kamera-Arbeit des belgischen Filmemachers Marc Koninckx. Zum einen schafft er eine fast erdrückende Nähe zu den Figuren, zum anderen liefert er poetische Bilder der jeweiligen Landschaften. Das Fischerdorf an der Meeresküste ist lebhaft, farbintensiv und üppig. Die afrikanische Wüste karg, trocken und still.

Koninckx hat es verstanden, die Schönheiten beider Landschaften einzufangen. Er setzt die Emotionen gegen den Hintergrund, so dass die gewählten Settings die jeweilige Stimmung und Gefühlslage widerspiegeln. Mariyaans Lebensfreude, die er in seiner gewohnten Umgebung am Meer empfindet, wird kontrastiert durch das Gefühl der Verlorenheit in der so fremden und lebensbedrohlichen Karglandschaft, in der er wie ein Fisch auf dem Trockenen um sein Leben kämpft. Auch die gelungenen Unterwasseraufnahmen in 50 Meter Tiefe sind sehenswert.

Infos zum Film: MARIYAAN ist ein Produkt der südindischen Tamil-Filmindustrie (Kollywood) aus dem Jahr 2013 und hat nichts (!) mit der nordindischen Hindi-Filmindustrie (Bollywood) zu tun. Der Film basiert auf einem realen Vorfall, auf den Bharat Bala durch einen Zeitungsartikel aufmerksam wurde. Inspiriert durch die Schilderungen über drei indische Öl-Arbeiter, die im Sudan entführt und für 21 Tage gefangen gehalten wurden, schrieb er das Drehbuch zu seinem Film. Um die Eindrücke bestmöglich wiederzugeben, traf er einen der entführten Arbeiter persönlich und verarbeitete dessen Erlebnisse im Film. Die Terroristen werden nicht von Schauspielern dargestellt, sondern von echten liberianischen Kindersoldaten, die Marc Koninckx von den Dreharbeiten des Films JOHNNY MAD DOG kannte.

Gibt es einen Film, der bei euch ähnliche Emotionen hervorruft und bei dem ihr so richtig mitfühlen könnt? Wenn ja, welcher ist das und warum? Kennt jemand den Film und hat ähnlich oder vielleicht ganz anders empfunden?


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