Jedes Mal, wenn die Reality-TV-Landschaft so aussieht, als ob die Menschheit jetzt wirklich endgültig an ihrem moralischen Tiefpunkt angelangt ist, sitzen in der Chefetage von CBS Menschen in Anzügen und unterhalten sich. Das Ergebnis solch einer Unterhaltung kann beispielsweise eine neue Reality-Show wie The Briefcase sein, die vergangene Woche überaus erfolgreich in den USA gestartet ist und aktuell für ziemlich viel Aufregung sorgt.
Das Konzept ist denkbar simpel: Eine bis über beide Ohren verschuldete "middle class"-Familie A bekommt einen Koffer mit 101.000 Dollar - 0,2 % des Jahresgehalts von CBS-Chef Les Moonves - präsentiert und muss entscheiden, was sie mit dem Geld macht. Die Entscheidung ist deshalb nicht so einfach, weil sie die Information bekommen, dass es eine zweite, mindestens genauso arme Familie B gibt, die den Teil des Geldes bekommen wird, den Familie A ihnen überlässt. Was sie nicht wissen: Familie B hat ebenfalls einen Koffer bekommen und schlägt sich nun mit der selben Entscheidung herum. Natürlich bekommen die Familien Hilfe bei ihrer Entscheidung. Sie dürfen sich die Wohnung, Kleidung und Quittungen, das Auto und überhaupt das ganze Hab und Gut der jeweils anderen Familie anschauen, um dann zu entscheiden, wie viel von ihrem Geld sie ihnen überlassen möchten. Sie müssen entscheiden, ob sie ganz öffentlich als gierig und egoistisch dastehen möchten, um ihre Familie über die Runden zu bringen, oder ob sie wohlwollende, gute Menschen sind und das Geld (in Teilen) jemand anderem überlassen. Die Kamera fängt dementsprechend genau die Reaktionen der Familien ein, die der geneigte Armutsporno-Liebhaber sehen möchte. In einer Szene bricht laut RawStory eine Frau in Tränen aus, als sie die Beinprothese des Irak-Veterans der unbekannten Familie sieht, während der in ihrem Haus steht und bedrückt feststellt, dass seine Familie ja immerhin eine Krankenversicherung habe.
Laut CBS soll die Show den Zuschauer zum Nachdenken darüber anregen, "was wirklich wichtig ist". Es handle sich bei The Briefcase folglich um eine humanistische Sendung, die wertvolle, zwischenmenschliche Werte propagiere. Die US-amerikanische Presse sieht das anders und zerreißt das Format an allen Ecken, doch der Erfolg der Show lässt nicht darauf hoffen, dass sich im Reality-TV in naher Zukunft etwas ändern wird.