Ekel, Adrenalin, Lachen – The Boys is eine Gefühlsachterbahn. Die Amazon-Serie beweist aktuell, dass sie auch in Staffel 3 noch überraschen kann. Und dass sich explodierende Penisse und komplexe Charakterstudien nicht ausschließen müssen. In den neuen Folgen wird allerdings auch immer deutlicher, was der eigentliche Grund dafür ist, dass die Superheld:innen-Satire auf DC und Marvel so unfassbar gut ist: Homelander. Denn neben dem "bösen Superman" sind selbst Thanos und der Joker furchteinflößend wie Pappaufsteller bei einer Fanconvention.
The Boys hat eine der faszinierendsten Serienfiguren der letzten Jahre geschaffen
In The Boys verschwimmt die Grenze zwischen Gut und Böse aus Prinzip. Es gibt kein Schwarz und Weiß, nur verschiedene Schattierungen von Grau. Und der dunkelgrauste von allen ist (The) Homelander. Ein wasserstoffblond gefärbter, von den Massen geliebter Mix aus Superman (inklusive der Laser-Augen) und Captain America (die Kostümfarben), der als Oberhaupt der Superheld:innen-Gruppe The Seven seine große Liebe (Amerika) gegen die Gefahren der Welt verteidigt – und sich dabei immer wieder Trump-ähnlichen Populismus bedient.
In The Boys Staffel 3 stößt Homelander endlich auf einen ebenbürtigen Gegner:
Hinter seinem All-American-Äußeren ist Homelander allerdings ein komplexbeladenes, sadistisches Monster mit einer verstörenden Vorliebe für Muttermilch und öffentliche Masturbation. Er interessiert sich weder für die Ängste und Probleme der amerikanischen Bevölkerung, noch steht er sonst hinter irgendetwas von dem, was er breit lächelnd oder überzeugend entrüstet in Kameras sagt. Er würde alles vorgeben, um von den Massen respektiert und geliebt zu werden. Sein Kernkonflikt ist es, ständig auf der klingendünnen Grenze zwischen seiner wahren Natur und seiner heroischen Fake-Persona zu balancieren.
Jedes psychotische Lächeln, jeder Moment, in dem seine riesigen blauen Augen ein bisschen zu wahnsinnig glänzen, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Situation gleich eskaliert. Und wenn Homelander ausrastet, kann ihm niemand etwas entgegensetzen. Schauspieler Antony Starr sorgt mit seiner Darstellung allerdings nicht nur für Gruselgänsehaut und Ekel. Er sorgt auch für die unterhaltsamten Momente der ganzen Serie.
Homelander ist das Furchtbarste und Witzigste an der Amazon-Serie
Homelander tut neben seinem Streben nach Macht und Liebe nämlich das, was viele Menschen tun, denen niemand so richtig gefährlich werden kann: Er verhält sich wie ein absolutes Arschloch, trollt sein Umfeld und ist dabei in seiner Boshaftigkeit und Ignoranz verdammt witzig. Mal mit einem nebenbei eingeworfenen Kommentar, mal mit einem epischen Rant, mal mit einer bösartigen Beleidigung, mal allein mit einer Geste oder einem Gesichtsausdruck.
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Homelander stößt seinen eigenen Sohn vom Hausdach und ist anschließend nicht erschrocken, sondern enttäuscht, dass der mit dem Gesicht voran auf dem Boden landet, statt wie sein Vater zu fliegen. Homelander macht sich über Staffeln hinweg in den unpassendsten Situationen darüber lustig, dass die Aquaman-Parodie The Deep angeblich Sex mit Meerestieren hat. Und von seinen eigenen sexuellen ... Verfehlungen wollen wir gar nicht erst anfangen. Die Szene, in der er mit sehnsüchtig geschlossenen Augen die Muttermilch seiner (Ex-)Chefin aus einem Fläschchen schlabbert, verfolgt mich bis heute.
Es gibt dutzende "Best of Homelander"-Zusammenschnitte bei YouTube, Instagram und TikTok, weil quasi keine Szene mit dem blondierten Superheldenbösewicht existiert, die nicht entweder sehr aufregend, sehr verstörend oder sehr lustig ist. Wie Antony Starr diese Rolle spielt, mit geschürzten Lippen, leerem Grinsen, toten bis irren Augen und einer Stimmung, die jederzeit zu kippen droht, gehört zum Faszinierendsten, was es in der Serienlandschaft aktuell zu sehen gibt. Und möglicherweise zum besten Bösewicht einer Comicbuch-Adaption aller Zeiten. Sorry not sorry, MCU und DC.
Homelander vereint das Beste aus Marvel- und DC-Bösewichten wie Thanos und dem Joker
Nehmen wir uns zum Beispiel Thanos. Der ist mit dem Besitz aller Infinity-Steine die wahrscheinlich stärkste Kreatur im Universum – von der wir wissen. Das eint ihn mit Homelander. Trotzdem sorgt Thanos nicht für Angst oder wirklichen Nervenkitzel. Denn was der Plan des lilanen Titan ist und wie er den umsetzen will, ist ziemlich schnell klar: Das Problem schwindender Ressourcen lösen, indem er mithilfe der Infinity Steine die Hälfte aller Lebewesen auslöscht. Daran ändert sich nichts. Das Spannende ist also nicht Thanos selbst, sondern ob die Avengers einen Weg finden werden, ihn aufzuhalten.
Der Joker befindet sich am anderen Ende der Bösewichtskala. Er gewinnt nicht durch schiere Macht, sondern durch List und Unberechenbarkeit. Wir fragen uns nicht, was Batman tun wird, um den klar ausformulierten Plan seines Gegenspielers zu durchkreuzen. Wir fragen uns, was zur Hölle der Joker als nächstes tun wird, und ob Batman es schnell genug herausfindet, um gegensteuern zu können. Das macht ihn gruseliger als Thanos, in einem direkten Konflikt aber deutlich weniger gefährlich.
Homelander hingegen vereint das Beste beider ikonischen Bösewichte in sich. Er ist übermächtig und unberechenbar und somit sowohl auf physischer und auf psychologischer Ebene eine Bedrohung. Wir wissen nie, was er als nächstes tun wird. Was wir wissen ist, dass er alles tun könnte – und ihn niemand aufhalten kann. Was ist furchteinflößender, faszinierender, böser als das? Oder um es mit Homelander selbst zu sagen, bevor er eine um ihr Leben bettelnde Teenagerin dazu zwingt, von einem Hochhaus zu springen: "Nein, nein, nein. Kein Gott. Der einzige Mann im Himmel bin ich."
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