Martin Scorsese wird heute 70, und auch mir wäre nichts lieber, als dass ich sein Werk in Gänze würdigen und genießen könnte. Doch während mich viele seiner Filme gleich beim ersten Ansehen überzeugt haben – Die Zeit nach Mitternacht, Bringing Out the Dead – Nächte der Erinnerung oder Shutter Island –, so sind dies doch Werke, die für ihn als eher untypisch gelten. Seine großen Mafiafilme GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia und Casino hingegen haben bei mir von Anfang an für eine gegenteilige Reaktion gesorgt: Mach, dass es aufhört! So gerne ich sie auch mögen würde, es geht einfach nicht.
Musikalische Soße zu sprachlichem Gesülze
Das Grauen startet für mich gleich mit dem Beginn der Filme: Von Anfang bis Ende unterlegt Scorsese Goodfellas und Casino mit Schlagern der soundsoziger Jahre, einer nach dem anderen, Hit an Hit, ein einziger Nostalgieteppich, aus dem mir immer Scorsese persönlich zu rufen scheint ‘Hört, was ich für einen tollen Musikgeschmack habe! Lauscht, wie groß meine Plattensammlung ist! Ich wäre am liebsten DJ geworden!’ Abgesehen davon, dass diese Untermalung für mich den Nervfaktor eines nicht abzustellenden Hitradiosenders hat, ertränkt sie auch alle Szenen in der gleichen beliebigen Akustik-Soße und nimmt dem Geschehen jegliche emotionale Wirkung für mich.
Doch damit nicht genug, nervt mich Scorsese gleichzeitig mit gefühlt tagelangem Off-Gelabere der Hauptcharaktere: Blablabla, ich bin der, das ist der, sülzsülzsülz, ich mach das, der macht das, murmelmurmlemurmel, dann passierte das, dann das, laberlaberlaber, jetzt ein lustiger Spruch, ohne Punkt und Komma. Das pausen- und atemlose Geplappere zum Beispiel in den ersten Dutzenminuten von Casino treibt mich schier in den Wahnsinn. Mach doch mal nen Punkt, Junge! Lass das Geschehen doch mal für sich sprechen! Das Ganze ist wie ein Kaffekränzchen bei der Erbtante, die einem ohne Unterlass die schönsten Schwänke aus ihrem 105-jährigen Leben erzählt und bei dem jeder hofft, nicht an Gehirnerweichung zu sterben.
Ein Ekel nach dem anderen
Dazu kommen die unzähligen durch und durch unsympathischen Charaktere, egal, ob in Haupt- oder Nebenrollen. Mit ihnen und ihren ach so spaßigen Sprüchen und Wut- und Gewaltausbrüchen kann ich einfach nichts anfangen, finde sie weder originell noch lustig, sondern in ihrem ausschließlichen Streben nach allen Annehmlichkeiten, die das Verbrecherleben so mit sich bringt, einfach nur uninteressant. Mit keinem von denen würde ich auch nur zusammen in einem Raum sitzen wollen, geschweige denn plaudern oder einen Drink schlürfen. Ständig sind die Charaktere am Prügeln, Ausrasten, Morden, Beleidigen, In-die-Luft-gehen und generell am Demonstrieren, dass ihre Geduld eine verdammt kurze Lunte hat, wenn ihnen jemand nicht so kommt, wie sie es gerne hätten. Wenn sich ein- oder zweimal im Film die Gewalt entladen würde, schön und gut, aber ständig?
Vor allen Dingen: Denkt denn keiner von denen mal nach? Ist doch klar, dass ihre Existenz bei diesem Lebensstil zu nichts Gutem führt, also im Sinne von Ruhe, Zufriedenheit, langes Leben etc. Wie sollte sie auch, als Gangster, die immer nur nach Geld, Drogen, Frauen, Macht, Einfluss etc. her sind? Alles in allem für mich so interessant wie einer Fliege zuzugucken, die stundenlang gegen eine Scheibe fliegt, ohne zu merken, dass zehn Zentimeter weiter rechts ein offenes Fenster lockt. Das lässt sich doch schon von Anfang an zehn Kilometer gegen den Wind riechen, dass sich da nichts zum Guten wenden wird. Das mag zwar eine lohnenswerte Erkenntnis über das Wesen eines Gewohnheitsverbrechers sein, diese jedoch über Stunden hinweg in all ihrer sich ständig wiederholenden Gleichförmigkeit vorgeführt zu bekommen ist für mich nur ermüdend.
Insgesamt also eine Ansammlung uninteressanter, ermüdender Charaktere, gepaart mit einer akustischen Belastungsprobe sondersgleichen und endloser, betäubender Gewalt, für all das ich nicht einen Funken der Faszination aufbringen kann, die Scorsese offenbar dafür empfindet.
Nun seid ihr gefragt: Wie schaffe ich es nur, mir die Filme schönzugucken? Wo ist der Schlüssel, der mir die Türen zum Genuss dieser Großwerke öffnet? Helft einer armen, verlorenen Seele!