Mit seinem Timing und seiner etwas eigenwilligen Situation lag von vornherein eine besondere Bürde auf Devilman: Crybaby. Er war der erste vollkommen Netflix-exklusive Anime und Teil einer Initiative, die sich über das ganze Jahr erstrecken wird. Zudem wurde die Serie schon früh in der aktuellen Saison in voller Länge, wie bei Netflix üblich, statt in Form eines Simulcasts zum Streaming bereitgestellt. Es galt zu zeigen, dass das Netflix-eigene Binge-Modell sich auch auf Animes anwenden lässt, die direkt darauf ausgelegt sind und nicht nur durch die Lizenzierung in dieses Modell gezwungen wurden. Dass Netflix solche Serien auch selbst produzieren kann und nicht nur für Monate zurückhalten, um sie als vermeintliches Original zu zeigen.
Natürlich entstehen die kommenden Netflix-Anime-Serien unter verschiedenen Teams mit Netflix im Produktionskomittee als einzigem konsistenten Faktor. Daher lässt sich schlecht von der Qualität von Devilman: Crybaby auf die nächsten Serien schließen. Aber es stimmt schon mal optimistisch, dass mit Devilman: Crybaby bereits Anfang 2018 eine der besten und wichtigsten Anime-Serien des Jahres erschien. Diese Einschätzung wirkt auch einen Monat nach seiner Veröffentlichung immer noch passend.
Devilman im Wandel der Zeit
Devilman: Crybaby ist, wie einige der kommenden Netflix-Animes, die Neuauflage einer schon sehr alten Marke. Der Manga von Gô Nagai setzte seinerzeit, ähnlich wie Nagais eigenes Cutie Honey, Meilensteine in der Darstellung von Sex und Gewalt, und wirkte sich stark auf bekannte Werke der nächsten Jahrzehnte aus. Selbst trat die Reihe seitdem immer wieder in Form von Fortsetzungen, Crossovers und Spin-offs auf, konnte außerhalb Japans aber nie so recht Fuß fassen. Allein das dürfte sich schon durch die Netflix-Serie ändern, die Devilman-Verfechtern Gelegenheit bietet, auf Erzeugnisse wie den bald neu aufgelegten Original-Manga oder den legendären englischen Dub der OVAs (Original Video Animation) zu verweisen.Die Grundprämisse der letzteren beiden wurde auch für Crybaby beibehalten, wenngleich mit einigen Änderungen der Details, die bei den verschiedenen Iterationen immer wieder auftreten: Der gutherzige und schwächliche Schüler Akira Fudou wird von seinem alten Kindheitsfreund Ryou kontaktiert, der das Wiedersehen unvergesslich gestaltet. In seinen Forschungen wies Ryou nicht nur die Existenz von Dämonen nach, sondern stieß zudem auf Anzeichen ihrer baldigen Wiederkehr. Damit die Menschheit sich wehren kann, brauchen sie jemanden mit ähnlichen Kräften, einen Menschen der mit einem Dämon verschmilzt, aber die damit einhergehenden Instinkte durch ein reines Herz unterdrückt. In Akira findet sich eben so ein Herz und er verwandelt sich zu Devilman, einem Hybriden mit übermenschlichen Kräften und einem völligen Wechsel in Persönlichkeit und Körperbau.
Die Aufmachung mit einem exzessiven Grad an Sex und Gewalt erinnert an die Art von Anime-OVAs, als die Devilman schon einmal umgesetzt wurde. Wegen des lange ausstehenden Re-Release des Mangas dienen sie auch als mein primärer Referenzpunkt für das Franchise an sich. Sie sind Kuriositäten des Videoverleihs, die in den 80ern und 90ern wesentlich zur Popularität von Anime außerhalb Japans beitrugen, da sie sich von dem sonst Verfügbaren abhoben. Die Plattform Netflix wirkt wie ein modernes Äquivalent dazu, da ohne die Vorgaben einer Fernsehausstrahlung keinerlei Einschränkungen gegeben zu sein scheinen. Dass Devilman: Crybaby sich durch mehr auszeichnet als Splatter und nackte Haut, kann wohl zu großen Teilen Autor Ichirô Ôkôchi (Princess Principal) und Regisseur Masaaki Yuasa zugeschrieben werden. Besonders letzterer zeigte hier wieder einmal ein besonderes Händchen für seinen Umgang mit Charakteren und einen faszinierenden, experimentellen Stil.
Reine Kopfsache
Bisherige Werke Masaaki Yuasas wie The Tatami Galaxy und Ping Pong the Animation legten besonderen Wert auf ihre Figuren und die Bindung, die zwischen ihnen und den Zuschauern bestanden: in diesen beiden Fällen durch eine surreale Charakterstudie über verschiedene Ausgangssituationen und ein intimes Sport-Drama. Diese spielen sich zu großen Teilen in den Köpfen ihrer Protagonisten ab und Zuschauer werden so nah wie möglich an sie herangebracht. Solch eine Herangehensweise zeigt sich auch in Devilman: Crybaby, unter dessen brachialem Äußeren eine Meditation über Empathie und Güte steckt sowie ihre Wichtigkeit in den Zeiten, in denen das Aufbringen dieser Qualitäten am schwierigsten ist. Das zeigt sich schon in der Hauptfigur Akira und ihrem übersprudelnden Mitgefühl. Durch das Hervorheben der Nebencharaktere wird das Ausmaß der Welt von Devilman: Crybaby zusätzlich erweitert, sodass wir sie aus mehreren Blickpunkten betrachten und emotionale Momente umso stärkere Auswirkungen zeigen.Die Animationsqualität kann, zugegebenermaßen, beizeiten etwas gewöhnungsbedürftig sein. Yuasa wirkte nie wie jemand, bei dem konsistente Charaktermodelle eine besonders hohe Priorität einnahmen. Aber diese Flexibilität verlieh seinen Shows auch immer eine spezielle Dynamik, die vor allem in den blutüberströmten Kampfszenen eine besondere Wirkung zeigen. Momente wie der mittlerweile berüchtigte Devilman-Run sind sicher darauf getrimmt, ihre animalische Natur hervorzuheben, können aber unfreiwillig komisch wirken. Der Erfolg ist hier wechselhaft, doch der ungewöhnliche Stil wirkt sich häufiger positiv als negativ aus.
Devilman: Crybaby hat den Maßstab für das Anime-Jahr 2018 sehr hoch gelegt und wirkt wie ein sicherer Tipp als eine der besten Animes des Jahres. Sollten in den nächsten Monaten nur wenige Serien an diese herankommen, bin ich zufrieden.
Was haltet ihr von Devilman: Crybaby? Habt ihr die Serie komplett gesehen, sie abgebrochen oder überlegt ihr noch, sie euch anzuschauen?