Einen Kommentar, den ich unter TV-Tipps immer wieder lese, ist ein Hinweis darauf, dass der Film beschnitten ist und es sich deshalb nicht lohnt ihn zu schauen. Ich frage mich dabei immer: ist nicht jeder Film beschnitten? Würde sich ernsthaft jemand eine 50 stündige Rohfassung eines Films angucken wollen? Warum dieser Wunsch nach immer längeren Fassungen? Haben so viele Leute die Angst irgendetwas Entscheidendes verpasst zu haben?
Antoine de Saint-Exupéry soll einmal gesagt haben, dass Perfektion nicht dann erreicht ist, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann. Sagt man zu wenig, wird eine Aussage nicht deutlich, sagt man zuviel, kann das eine Aussage verfälschen. Hat er mit der Aussage doch hauptsächlich Texte gemeint, so trifft es doch noch viel mehr auf Filme zu, die noch viel mehr als andere Medien mit dem Mittel der Verknappung arbeiten. Warum nur scheinen es dann aber so viele Filmfans anders zu sehen?
Jeder von uns hat schon einmal einen langweiligen Film gesehen. Ich wünsche mir so oft, man hätte die Laufzeit reduziert und ein viel strafferes Bild gezeichnet. Auch haben viele von uns Filme gesehen, die so grausig beschnitten wurden, dass vom Film nicht mehr viel überbleibt. Wie findet man nun die goldene Mitte? Die meisten Filme, die entweder zu lang oder zu kurz sind, kommen bei uns gar nicht an. Solche Filme werden vorher von Kritikern oder Publikum zerrissen und verschwinden dann aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Man könnte beinahe vermuten, dass alle erfolgreichen Filme hier das perfekte Maß gefunden haben, doch ich denke, dass der Erfolg oft andere Gründe hat. Gerade viele Klassiker haben viel zu lange Szenen, die herausgeschnitten werden können ohne dass irgendwas verlorengehen würde: Die Reise ans Ende des Universums bei 2001: Odyssee im Weltraum, die russische Hochzeit bei Die durch die Hölle gehen oder die Playmates bei Apocalypse Now.
Gerade bei letzterem Film gibt es eine erweitere Schnittfassung, die Redux genannt wird. Redux kommt vom lateinischen reducere, was soviel wie zurückführen bedeutet. Genau wie das deutsche Wort Reduktion. Ironischerweise ist diese Schnittfassung das genaue Gegenteil einer Reduktion. Diese Fassung wurde um fast eine Stunde verlängert – mit ein paar guten Szenen, aber doch zum größten Teil unnötigem Ballast. Trotzdem wurde sie begeisternd aufgenommen. Inzwischen muss man schon lange suchen, um eine andere Schnittfassung zu bekommen. Die Frage ist aber: wäre der Film auch so bekannt geworden, wenn diese Fassung direkt im Kino gelaufen wäre?
Ich weiß darauf leider keine Antwort, merke nur immer, dass der Trend wieder zu überlangen Filmen geht. Vertreter dieses Trends sprechen von einem intensiveren Filmerlebnis. Ich dagegen empfinde meistens nur noch Langeweile. Ich denke, dass jede Szene in einem Film eine Funktion erfüllen sollte. Manche Szenen bringen die Handlung voran, andere sind dazu da, eine Stimmung zu erzeugen oder ein Bild beim Zuschauer zu erzeugen. So eine Szene sollte nur so lange dauern, wie sie braucht, um diese Funktion zu erfüllen.
Das menschliche Gehirn ist fähig die sonderbarsten Schnitte zu verstehen. Wir müssen nicht immer sehen, wie ein Charakter von Punkt A zu Punkt B kommt, es reicht, wenn wir die Absicht erkennen und wir logisch eine Verbindung zwischen zwei Szenen herstellen können. Den Rest erzeugt unser Verstand. Ich fände es toll, wenn sich viele Filmemacher diesen Grundsatz wieder mehr zu Herzen nehmen würden. Und auch wenn ich mit dieser Meinung in der Minderheit bin, fände ich es klasse, wenn ein mutiger Filmemacher alte Filme neu schneiden würde, um sie dem perfekten Film ein wenig näher zu bringen.
Dieser Text wurde von moviepilot-Mitglied Lorion42 verfasst. Wenn ihr auch mal an unserer moviepilot Speakers’ Corner stehen und eure ganz persönlichen Erkenntnisse, die ihr auf den Längen- und Breitengraden der Filmwelt gesammelt habt, gegen die aufgebrachten Massen verteidigen wollt, euch ein Thema schon lange auf den Nägeln brennt oder ein Meister und sein Werk noch längst nicht die Huldigung erfahren haben, die ihnen gebührt, dann werft zuerst einen kurzen Blick auf die Regeln und dann: schreibt, schreibt, schreibt. Schickt einfach den fertigen Text an community[@]moviepilot.de und die Speakers’ Corner gehört Euch!