Als Netflix im Spätsommer dieses Jahres Werbe-Clips zwischen Serienepisoden schaltete, schirmte sich das Unternehmen vom überraschend heftigen Shitstorm mit einer schal klingenden Erklärung ab. Es habe sich ja lediglich um Tests gehandelt. Netflix wollte angeblich ergründen, wie seine Nutzer "noch besser (!)" neue Filme und Serien entdecken können. Die Erkenntnisse aus dem Experiment waren aber viel wertvoller. Netflix wusste nun auch, dass seine Nutzer auf vermeintliche Werbung ungefähr so vernünftig reagieren wie ein Rudel Katzen auf eine wildgewordene Sprinkleranlage.
Der Streaming-Dienst musste einsehen, dass er sich unter seinen Usern ein paar ziemlich sensible Diven herangezogen hat, die bei dem kleinsten Anschein einer Einschränkung des Gewohnten an die Decke gehen. Es war eine dramatische, verletzte Auseinandersetzung, geschleuderte Teller zerbarsten an der Wand, Tränen flossen ("Das ruiniert alles!"). Aber der Zorn war schnell verpufft. Netflix wusste jetzt Bescheid, man hatte Ansichten ausgetauscht und sich wieder zusammengerauft. Das war die eigentliche Lektion aus dem Werbe-Clip-Eklat: die Kunden lieben ihr Netflix. Denn wem nehmen wir einen Verrat wirklich übel? Natürlich den Menschen (oder eben Streaming-Diensten), denen wir innig vertrauen.
Es braucht schon mehr als einen kleinen Krach, um die Kunden-Marke-Beziehung nachhaltig zu schädigen.
Netflix ist eine der beliebtesten und vertrauenswürdigsten Marken der Welt
Netflix hat in den letzten Jahren eine tiefe Bindung zu seinen Nutzern aufgebaut, die natürlich leicht verletzbar ist, dem Streaming-Dienst nun in Zeiten wachsender Konkurrenz aber zum größten Vorteil gedeiht. Netflix wusste schon immer, was die Filmfan-Seele brauchte und stellte entsprechende Funktionen bereit. Als die Leute noch Videos ausliehen, schickte Netflix seinen Kunden DVDs nach Hause. Bald darauf erkannte CEO Reed Hastings den Reiz einer Entertainment-Flatrate für Film- und Serien-Fans. Mit sensibler Einfühlung in die Kundenseele zementiert Netflix bis heute seinen Status als Streaming-Marktführer. Das Unternehmen setzt mit seiner intuitiven und einladenden Oberfläche noch immer Standards, die Konkurrenten selten erfüllen können. Bei Netflix fühlt sich jeder Neukunde von Beginn an in eine warme Decke gehüllt. Bei der Konkurrenz kratzt es häufig.
Die heiße Liebe der Kunden zu Netflix in kalte Zahlen gefasst hat vor kurzem das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov, das nach eigenen Angaben am besten weiß, was die Welt denkt - und fühlt. Im "Advocacy"-Ranking von YouGov schafft es die Marke Netflix (zusammen mit Google) weltweit am häufigsten in die Top 10. Advocacy heißt übersetzt so viel wie Befürwortung, Verteidigung oder Fürsprache. YouGov misst damit die Wahrscheinlichkeit, mit der Kunden den Service an Freunde, Bekannte und Verwandte weiterempfehlen würden. In Deutschland liegt Netflix auf Platz 6.
Für die Stabilität der Marke Netflix im Kampf gegen Disney spricht das in zweierlei Hinsicht.
1. Nutzer, die Netflix schon kennen, werden sich kaum abwenden
Menschen empfehlen nur Dinge weiter, von denen sie voll und ganz überzeugt sind. Sie wollen ihren Freunden etwas Gutes tun und sich vor ihnen nicht mit einem falschen Ratschlag blamieren. Netflix hat ein unerschütterliches Vertrauen um seinen Service erschaffen, die Nutzer machen sich kaum Sorgen, dass ihre Bedürfnisse irgendwann nicht mehr erfüllt oder getroffene Versprechen gebrochen werden könnten.
Dieser Glaube wird weitergereicht an Freunde und Verwandte, die ihren Freunden und Verwandten wiederum in derlei Fragen großes Vertrauen entgegenbringen. Auch in der YouGov-Studie heißt es, dass "Austausch mit Freunden oder Bekannten das Interesse an einer Marke stark steigern kann".
2. Die Bekanntheit von Netflix wird weiter steigen
Das Wissen über die praktischen und befriedigenden Netflix-Dienste breitet sich so immer schneller aus und verfestigt sich in der Gesellschaft. Eine wachsende Marke braucht diese Streuung. Der nächste Schritt wäre die Vererbung des Ur-Vertrauens von Generation zu Generation. Schon jetzt setzt sich Netflix in allen Alters- und Bevölkerungsschichten fest. Das Premium-Abo, das vier gleichzeitig nutzbare Netflix-Accounts zulässt, erwies sich dabei als kluges Instrument. Es ist eine Art Fangnetz, das überzeugte Nutzer in die Hand gedrückt kriegen, um damit weitere Gefolgsleute zu rekrutieren. Die Ausbreitung von Netflix durch Mundpropaganda wohnt dem Abo-System also schon inne.
Was bedeutet das für die angriffslustige Netflix-Konkurrenz?
Nichts Gutes. Vieles spricht dafür, dass Netflix sich seine Kunden nicht einfach so abjagen lassen wird. Seine Filme und Serien kann Disney Netflix wegnehmen. Bei den Kunden selber wird das schwieriger. Netflix hat aus einer Nische heraus quasi einen eigenen Marktplatz gegründet, der immer mehr Raum einnimmt. Netflix ist zu einem Synonym für "Serien schauen", "Filme gucken" und "einfach auf dem Sofa rumgammeln" geworden - je nach Kundenschicht.
In einen solchen Markt können andere Player immer noch eindringen. Das ist aber sehr schwierig. Pepsi bleibt hinter Coca Cola immer die Nummer 2. Googlen bleibt trotz Bing das Synonym für Internet-Recherche. Amazon wird wohl den Online-Handel dominieren, solange es das Internet gibt. Neuen Konkurrenten bleibt nur die Nische, die Spezialisierung. Was für Zalando die Kleidung ist, könnte für Disney der familienfreundliche Blockbuster sein, wenn Netflix sowieso alles macht.
Disney muss den
Disney+-Kunden erst erschaffen und dafür seine Tradition und den Wiedererkennungswert seiner Marke ins Internet schleusen.
Zwischen Netflix und Kunde passt kein Blatt Papier - solange alles bleibt, wie es ist
Wenn bald die Konkurrenz-Dienste am treuen Kunden zerren und mit den Augen klimpern, wird das Band zwischen Netflix und Nutzer natürlich einem weiteren Belastungstest unterzogen. Aber noch gehört Netflix der Streaming-Markt. Wenn die Dienste von Warner und Disney irgendwann nächstes Jahr online gehen, haben sie null Kunden und Netflix über 150 Millionen. Wollen die überhaupt wechseln? Oder sind sie bereit, zwei, drei oder vier Streaming-Abos zu bezahlen? Die zahlreicher werdenden Konkurrenten fordern, wenn sie Netflix angreifen, auch den Streaming-Markt selbst heraus, der immer unübersichtlicher wird und Netflix weiter unter Innovationsdruck setzt. Für die Kunden verkompliziert sich gleichzeitig die Wahl zwischen den Diensten. Aber solange kein Anbieter ein besseres Preismodell, bessere Technik und ein besseres Konzept vorweist, werden die Kunden bei dem bleiben, was sie kennen: dem guten alten Netflix.
Kommt in den Netflix-Klub, hier ist ist es witzig, hier werdet ihr verstanden
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Dass ein Netflix-Nutzer sein Abo nicht so schnell für einen Konkurrenz-Dienst kündigt, dafür sorgt Netflix seit Jahren. Die gewitzt geführten Social-Media-Accounts bilden ihre eigene Netflix-Blase im Internet. Netflix wird bei Twitter zum exklusiven Klub, in dem mit Insider-Witzen gehandelt und eine eigene Kultur gepflegt und gefeiert wird. Die Liebe der Kunden drückt sich hier am deutlichsten aus und der Streaming-Dienst versichert sich ihrer dankbar. Auch Werbeaktionen kommen von hier aus in Rollen. Welches Unternehmen könnte schon eine lebenslange Mitgliedschaft als Preis verlosen und damit das Internet in Aufruhr versetzen?
Netflix ist inzwischen mehr als ein Streaming-Dienst. Die Marke verströmt ein eigenes Lebensgefühl, das eines großen Klubs, dessen Zugehörigkeit so erschwinglich wie erstrebenswert ist. Denn eine Mitgliedschaft bietet nicht zuletzt die unkomplizierte Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe. Netflix kommt damit auch ein sozialer Wert zu. Auf Partys regt man Gespräche am besten über eine Netflix-Serie an, es ist wahrscheinlich, dass irgendjemand sie kennt. Dieser Zirkel lässt sich kaum noch zersprengen.
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