Was ist Krieg? - Thesen von Georg Seesslen - Teil 2

03.09.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Invader von Daniel Calparsoro
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Georg Seesslen, einer der produktivsten und streitbarsten Filmkritiker Deutschlands, hat einen Text zur Frage Was ist Krieg? zu unser Themenreihe beigesteuert und wird euch 10 Thesen zum neuen Gesicht des Krieges präsentieren. Da der Text sehr lang ist, lest ihr heute den zweiten Teil.

Die Filmemacherin Feo Aladag drehte mit Zwischen Welten einen der wenigen Filme über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan. Der Film erzählt die Geschichte des Bundeswehrsoldaten Jesper, der vom Tod seines Bruders im Einsatz psychisch tief verletzt ist. Nun kehrt er in das Kriegsgebiet zurück, wo er mit seinem Trupp ein kleines Dorf vor den Angriffen der Taliban schützen soll. Ihm zur Seite gestellt ist der afghanische Dolmetscher Tarik, aber auch mit seiner Hilfe ist es schwierig, Misstrauen und kulturelle Widersprüche zwischen Afghanen und Deutschen zu überwinden. Jesper und Tarik indes entwickeln Respekt und schließlich auch persönliche Freundschaft füreinander, was beide in schwere Loyalitätskonflikte stürzt. Als Tarik wegen seiner Zusammenarbeit mit den Fremden von den Taliban verfolgt wird, versucht er, seine Schwester Nala aus der Gefahrenzone zu bringen, und Jesper muss, um seinem Freund zu helfen, seine Befehle missachten.

Teil 1: Was ist Krieg? - Thesen von Georg Seesslen

Vielleicht steckt hier schon ein wichtiger Perspektivwechsel des neuen Kriegsfilms. Im klassischen Modell des Genres gibt es die Perspektive des Feldherrenhügels, der Karten studiert, Telefone bedient und Pläne ausheckt, und es gibt die Perspektive des Frontsoldaten, der Befehle ausführt, der tötet und getötet wird, und im höchsten Fall die Offiziere, die ihn dazu zwingen, heimlich oder offen verfluchen muss. In den Filmen aus den neuen Kriegen dagegen sind die Soldaten oft genug gezwungen, weitreichende militärische und auch moralische Entscheidungen in Situationen zu treffen, die von einer fernen und anonymen Führung weit entfernt sind. Der Wechsel von der Außen- zur Innenperspektive des Kriegsgeschehens ist auch ein Wechsel der Einstellung zum Krieg, wie der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger  erklärt.

Wenn man davon ausgeht, dass klassischer Kriegsfilm unterschiedliche Perspektiven einnimmt – die Feldherren-Perspektive, Blick von außen auf Schlacht oder die Innensicht, Geschehen im Schützengraben – dann ist es emotional aufwühlender an Innensicht teilzunehmen. Aber es versperrt Sicht auf Gesamtgeschehen. Wenn man sich frühe Kriegsfilm-Klassiker ansieht wie im Westen nichts Neues wird man Innenperspektive sehen. Wenn man versucht, aus Distanz zu betrachten, dann haben wir reflektierte Kriegsfilme wie Wege zum Ruhm von Stanley Kubrick, die aber aus Außenperspektive sofort dritte Perspektive entwickeln: Was passiert parallel zu diesem Geschehen? Daraus lassen sich hochinteressante zusätzliche Impressionen und Schlüsse entwickeln: dass Kriegsverbrechen verhandelt werden, Verschwörungen innerhalb der Befehlshaber etc. gibt nicht nur Herren- und Knechtperspektiven, sondern eine dritte als Metareflex. Das weist in Richtung Modernisierungstendenz auf die späteren Kriegsfilme, die dann auch die schmutzigen neueren Kriege dramatisieren konnten.

Und unter diesem Perspektivwechsel sieht man das Schlachtfeld auch nicht mehr als eine mehr oder weniger symbolisch oder historisch ausgestaltete Bühne für ein ewiges Drama des Kampfes, sondern es kommt ein Land in den Blickwinkel, das zeigt, was der Krieg ihm angetan hat. Den Menschen, den Architekturen, der Landschaft. Deshalb war es für Feo Alladag auch wichtig, ihren Film wirklich in Afghanistan zu drehen. Nur mit einem gleichsam auch dokumentarischen Blick lassen sich die neuen, so unerklärten wie oft unerklärlichen Kriege wiedergeben.

Die Asymmetrie der neuen Kriege, das bedeutet die grausame Auseinandersetzung von technisch hochgerüsteten, digitalisierten und teilweise auch roboterisierten Eingreiftruppen mit entschlossenen, terroristischen Kämpfern, die sich in der Zivilbevölkerung verbergen und durch Beweglichkeit, Opferbereitschaft und Tarnung immer wieder den technischen Vorteil der anderen Seite in einen Nachteil verwandeln. Asymmetrie liegt aber auch in der Motivation der Kombattanten. Auf der einen Seite eine Religion des Hasses, die sich in der Fläche ausbreiten will, auf der anderen Seite kühler Professionalismus, der im Namen von Werten und Interessen handelt, die in der Kultur des umkämpften Landes kaum zu vermitteln sind. Der asymmetrische Krieg schließlich führt immer wieder zum global exportierten Terroranschlag. Krieg, Bürgerkrieg und terroristische Aktion sind einerseits untrennbar miteinander verbunden, ergeben andererseits aber keine logische Erzählung mehr. So wenig die Bilder zusammen passen wollen, so wenig passen die Episoden dieses dezentralisierten dritten Weltkriegs zusammen, der in den westlichen Ländern oft nur als visueller Scherbenhaufen, als beunruhigender aber irrationaler Nachrichten- und Bilderfluss wahrgenommen wird. Können hier Spielfilme noch überhaupt der Aufgabe gerecht werden, Zusammenhänge zu sehen, moralische Standpunkte zu ermöglichen?

Wenn man über Neuen Kriegsfilm spricht, müsste man mehrere Strategien gleichzeitig im Auge behalten, die dann erst zusammen zum Ergebnis führen. Im Moment wo sich Asymmetrie ausdrückt in extrem technisch überlegenen Kriegsparteien, die unterlegener zwar einheizen, aber sie nicht besiegen können, weil sie z.B. Land nicht besitzen. Das ist eine klassische Situation in Krieg in Afghanistan oder Irak. Über Afghanistan werden z.Z. viele Filme gedreht. Das zweite ist Privatisierungstendenz, mehr und mehr mit Söldnerheeren zu tun. D.h. Ökonomisierung der Kriegsmission, ordnet gewalttätiges Wirken ökonomischen Prinzipien unter. Das macht Kriege noch schmutziger, weil man Ziele immer neu aushandeln kann, auch nach ökonomischen Interessen. Das sind Tendenzen, die mit neuen inneren Haltung der Kämpfenden einhergehen, das führt dazu dass man bei Irakkriegen Filme hat wie Three Kings, wo persönliche Bereicherung plötzlich eine Rolle spielt. Das eine andere Bedeutung als in WK II-Film Stoßtrupp Gold, wo Soldaten noch anderen Status haben und anders mit Zivilbevölkerung umgehen. Durch diese Einflüsse hat sich neuer Typus des Kämpfenden und Entscheidenden herausgebildet. Dann haben wir großen Schwerpunkt der Verhandlung von fehlgelaufenen Missionen wie etwa in Rules - Sekunden der Entscheidung von William Friedkin, wo massenweise Zivilisten erschossen werden und im Nachhinein darüber geurteilt werden soll, ob das gerechtfertigt war. Das sind Dinge, die auch in ganz neuen Filmen wie dem spanischen Invader eine Rolle spielen. (Marcus Stiglegger)

Invader behandelt die traumatische Erfahrung des Krieges im Irak anhand des Schicksals zweier spanischer Armee-Ärzte, die während eines Einsatzes überfallen und schwer verletzt werden. Sie flüchten in ein nahe gelegenes Dorf. Wochen später erwacht einer von ihnen in einem Krankenhaus in Spanien und kann sich an das Geschehen kaum erinnern. Für seinen Einsatz wird Pablo ausgezeichnet und darf mit einer Entschädigung zurückkehren zu Frau und Kind. Aber er wird von dem Gefühl gepeinigt, dass die Wahrheit über die Geschehnisse vertuscht wird, über die auch sein Kamerad Diego nicht sprechen will. Der Versuch, die Wahrheit über den Einsatz im Irak herauszufinden, bringt Pablo und seine Familie in Lebensgefahr.

Der Held dieses Films steht gewiss stellvertretend für alle, die sich mit der gesäuberten Oberfläche der Kriegsbilder nicht zufrieden geben, und er steht stellvertretend für alle, die in den neuen Kriegen gar nicht anders können, als sich in Schuld zu verstricken. Und dabei stellt sich eine zweite Frage an den Kriegsfilm. Nach der wohl nie zu beantwortenden Frage, ob ein Film überhaupt gegen den Krieg argumentieren kann, oder doch nicht immer auf Faszination, Drama und Inszenierung hereinfallen muss, stellt sich die Frage, ob ein Kriegsfilm überhaupt die Mauer von Propaganda und Medienmainstream überwinden kann.

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Morgen könnt ihr etwas über den Ursprung des Kriegsfilms lesen.
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Georg Seesslen  ist einer der produktivsten Filmkritiker Deutschlands, er schreibt unter anderem für den EPD-Film und Die Zeit. Viele seiner Texte werden auch auf getidan  veröffentlicht, zudem schreibt er auf einem eigenem Blog . Die Liste seiner veröffentlichten Bücher ist lang, sie sind auf jeden Fall mehr als einen Blick wert (siehe perlentaucher ).

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