Wir schauen Hannibal - Staffel 3, Folge 3

20.06.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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In Secondo tauchen wir erstmals wirklich in die Vergangenheit von Hannibal Lecter ein und es ist ganz genau so schrecklich, wie wir es uns vorgestellt haben. Außerdem: Will geht unter die Künstler.

Einer der Gründe, warum der Bösewicht in Hannibal so furchteinflößend ist und daher so gut in der Serie funktioniert, ist, dass er einfach da ist. Es ist unvorstellbar, dass er von irgendwo gekommen ist, geschweige denn, dass er tatsächlich aus irgendeiner Familie kommt. Hannibal Lecter hat seine Bosheit auch durch das Mysterium seiner Vergangenheit manifestiert, auch wenn sie bis zu Secondo nie wirklich ein Thema war. Wie denn auch? Was auch immer das für ein Ort ist, dem Hannibal in dieser Form entsprungen ist, es muss (vor allem im Rahmen dieser Serie) ein derart schrecklicher sein, dass er einfach nicht greifbar ist.

Doch genau an diesen Ort muss Will Graham (Hugh Dancy) nun hin. Nicht nur um dort Hannibal (Mads Mikkelsen) auf die Schliche zu kommen, sondern auch, oder vielleicht vor allem, um sich selbst zu finden. "Why are you looking for him, after he left you... with a smile?" ist die vollkommen berechtigte Frage von Chiyo (Tao Okamoto) und Wills Antwort ist ebenso einleuchtend: "I've never known myself as well as I know myself when I'm with him." Auf Hannibals Spuren zu wandern bedeutet auf den eigenen Spuren zu wandern und wir als Zuschauer können uns nur fragen, was wir eigentlich von den beiden sehen wollen. Falls Will überhaupt jemals zurechnungsfähig gewesen ist, ist er das jetzt nicht mehr, sodass wir uns haltlos zwischen den beiden befinden. Diese Faszination füreinander war natürlich schon immer ein fester Bestandteil der Serie, allerdings passiert das in dieser Staffel auf solch eine radikale Weise, dass jegliche Spur von Krimi-Thriller verschwindet und Hannibal sich endgültig und uneingeschränkt als Horror-Romanze präsentiert - eine Romanze, die deshalb so faszinierend ist, weil die Beteiligten jegliche Form des menschlichen Abgrunds hinabsteigen, um an ihr Ziel zu gelangen. Aber was ist das eigentlich für ein Ziel?

Hannibal hat sein Ziel zum Ende der Folge auf den Punkt gebracht: "I have to eat him." Ein vor allem für diese Serie ganz klar formuliertes Statement, das eigentlich gar keine Fragen mehr offen lässt. Allerdings fühlt sich das auch wie eine Erkenntnis an, die ihm erst im Gespräch mit Bedelia (Gillian Anderson) gekommen ist, was wiederum bedeutet, dass er bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht wusste, was er eigentlich mit Will anfangen soll. Den selben Eindruck macht auch Will, der offenbar keine Rücksprache mehr mit Jack Crawford (Laurence Fishburne) hält, sich gänzlich seinem Wahn hingibt und unkontrolliert Hannibal hinterherjagt, mit der Begründung, sich dann selbst besser zu kennen. Hier liegt gewissermaßen der romantische Kern der gesamten Serie, denn weder Hannibal, noch Will sind sich gänzlich darüber im Klaren, warum sie den jeweils anderen eigentlich so dringend bei sich haben müssen. Sie haben gar keine konkreten Vorstellungen, was dann passieren soll, doch die Faszination füreinander ist zu stark, um ihr nachgeben zu können.

Bis es so weit ist und die Vereinigung der beiden endlich stattfinden kann, muss eben der bestmögliche Ersatz her. Für Will bedeutet das, zu fühlen, wie Hannibal fühlt, zu erfahren was Hannibal erfährt, zu tun was Hannibal tun würde: "He was curious, if you would kill. I imagine he still is" erklärt er Chiyo. Mit der Erkenntnis, dass Hannibal sicher neugierig wäre, entflammt plötzlich auch in ihm diese Neugier und so lässt er den Gefangenen (Julian Richings) aus dem Käfig, um sich zu vergewissern, dass Chiyo bereit ist, jemanden umzubringen. Sie durchschaut das natürlich ("You were curious, too"), wenn auch viel zu spät und lässt sich so gewissermaßen zum Töten manipulieren. Ähnliches geht auch drüben am Esstisch der Lecters vonstatten, an dem Hannibal seinem Gast einen Eispick durch die Schläfe rammt, den Bedelia aus Mitleid mit dem Opfer hinauszieht. "Technically, you killed him", merkt Hannibal zynisch an und Bedelia gibt ihm mit einem Blick auf den Eispick in ihrer Hand gewissermaßen Recht.

Chiyo ist jetzt also Wills Komplizin, selbstverständlich jedoch auf genau die selbe ungewollte Weise, wie Bedelia an Hannibals Seite gekommen ist. Will würde sich das natürlich nicht offen eingestehen ("I wanted to free you"), allerdings unterstreicht er zum Ende der Folge nochmal, dass er jetzt wirklich, wirklich in Hannibal verliebt ist. Er bastelt ihm aus der Leiche ein Glühwürmchen und lässt es fliegen. Schön.

Völlig Unrecht hat Will natürlich nicht, wenn er sagt, er wolle Chiyo retten und deshalb musste der Gefangene sterben. Wie quasi alle anderen Figuren in dieser Serie ist auch Chiyo ein Opfer von Hannibals Psychospielchen geworden, die sie an dieses Schloss in Litauen angekettet haben. Das besonders Schlimme daran ist natürlich, dass es eine Lüge ist, die sie in dem Schloss gehalten hat. An dieser Stelle spielen Bryan Fuller und sein Autorenteam auf clevere Weise mit ihrer Vorlage: Die Geschichte, die Chiyo im Schloss hält, ist näher an Thomas Harris' Version in Hannibal Rising. Hannibals Schwester Mischa soll von dem Fremden getötet und gegessen worden sein, was Hannibal dermaßen verstört hat, dass er niemals in seine Heimat zurückkehren kann. Doch es wird schnell klar, dass es sich in Fullers Hannibal-Version nicht ganz so zugetragen hat. "Nothing happened to me. I happened" erzählt er Bedelia während er ihr die Haare wäscht und eröffnet damit eine ganze Reihe von moralischen Fragen, ein emotionales Chaos um Vergebung und Reue, um Zuneigung und Liebe und nicht zuletzt um die eigene Erkenntnis, dass Hannibal sein Wesen als Abnormalität sieht, als etwas, das "passiert ist". In dieser Unüberschaubarkeit der Gefühle bleibt Bedelia die einzige mit einem klaren Kopf und stellt die einzig relevante Frage:

"How did your sister taste?"

Notizen am Rande:

- Gillian Anderson hat im Interview mit der TVLine ein paar interessante Sachen  über ihre Figur zu sagen.

- Ich weiß, ist ein bisschen albern, aber das sagt ein Traumdeuter-Katalog  über Glühwürmchen: "Symbol für eine 'kleine Freude' und das Aufflackern eines alten, romantischen Gefühls: Es ist nicht mehr das frühere Feuer der Leidenschaft, aber ein Fünkchen springt schon noch über." Außerdem: Glühwürmchen-Larven ernähren sich gerne von Schnecken .

- In der New York Times gibt es einen schönen Artikel  über die Musik und das Sounddesign von Hannibal.

- Falls jemand von euch Kinder hat, kann er ihnen das ABC jetzt auch durch die Welt von Hannibal näher bringen .

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