Zum Kinostart von Nordwand: Deutsche Bergfilme

18.10.2008 - 08:00 Uhr
Nordwand
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THEMA» Was der Western für Amerika, ist der Bergfilm für Deutschland – über einige wichtige Klassiker.

Die deutschen Bergfilmer der 1920er Jahre haben Sturm, Eis und Schnee atemberaubende Bilder abgetrotzt. Aktuell versucht Philipp Stölzl mit Nordwand, das Genre wieder zu beleben. Der Bergfilm, der im Deutschland der 1920er Jahren seinen Höhepunkt feiert, spielt mit der kinematographischen Attraktion, die es aus dem Zusammenspiel von Natur & Wetter und dem Menschen gewinnt, die es aus den schwierigen Bedingungen auf steilen Bergen und eisigen Gletschern filtert. Dabei bieten die Bergfilme vieles: spannungsreiche Abenteuer in unwegsamen Bergregionen vorzugsweise im Hochgebirge, individuelle Heldengeschichten um kraftvolle Männer und für damalige Großstadtmenschen nie vorher gesehene kinematographische Sensationen.

Erste Bergfilme gibt es bereits seit der Jahrhundertwende, aber es ist Regisseur und Kameramann Arnold Fanck, der dem Genre nationale und internationale Geltung verschafft, es dramaturgisch sowie technisch revolutioniert und aus den regionalen Kinos in die Kinopaläste der Großstädte holt. Der gebürtige Freiburger ist einer der Ersten, der die Naturaufnahmen von Berg, Eis und Schnee mit einer Spielhandlung verbindet. Bevor er das Genre dramaturgisch aufwertet, beherrscht ein simples Schema die Bergfilme: Aufstieg / Gipfelsieg / Abfahrt. Noch in seinem ersten eigenen, abendfüllenden Dokumentarfilm Das Wunder des Schneeschuhs (1920) hängt Arnold Fanck dieser dramaturgischen Grundform von Kampf / Sieg / Belohnung an, findet aber schon atemberaubende Bilder, in denen er Skitechniken vorführen lässt, Sprünge von einer Schanze zeigt, Schneeschuhe präsentiert und auch das Erklimmen eines Berges zeigt sowie die rasante Abfahrt. Zeitlupenaufnahmen, im Gegenlicht fotografierte Sprünge, Panoramaschwenks sowie phantastische Wolkenformationen deuten bereits auf eine Modernisierung des Genres hin.

Mit seinen folgenden Spielfilmen revolutioniert Arnold Fanck den Bergfilm. In Berg des Schicksals (1924), Der heilige Berg (1926), Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929), Stürme über dem Montblanc (1930) oder S.O.S. Eisberg (1933) strömen Millionen von Zuschauer. Sie sehen waghalsige Aufnahmen, die bei Wind und Wetter in den Hochalpen beziehungsweise in Grönland entstehen. Wolken und Wetterprozesse erscheinen in malerischen Bildern, verschneite, steile Berge und Gletscher werden erklommen, unzugängliche Landschaften heroisch durchwandert, entrückte Lichteffekte in Gletscherspalten aufgenommen und verwegene Erkundungsflüge über Berg und Wasser spannungsreich eingebaut. Die Stadtbevölkerung ist entzückt über solch Naturspektakel. Obwohl die Natur der eigentliche Hauptdarsteller der Filme ist, wird mit einer minimalistischen Spielhandlung der Erfolg der Filme vorangetrieben. Die Helden sind in den meisten Fällen männliche Individualisten, die sich auf dem Berg selbst finden wollen und dort ihre innere Mitte wieder herstellen.

Der Berg des Schicksals (1924) erzählt von einem Bauern, der sich nichts sehnlicher wünscht, als – in seiner ersten Rolle Luis Trenker – seiner Mutter verspricht, sich dem Berg nicht zu nähern, muss er ihn doch erklimmen, um eine Freundin zu retten. Trotz heftiger Schneestürme besiegt er den Berg und kann seine Geliebte retten. Nun ist sein Vater auch nicht umsonst gestorben.

Der heilige Berg (1926) schildert den eifersüchtigen Kampf zweier befreundeter Bergsteiger um eine Tänzerin. Als beide bei Nacht eine riskante Nordwand besteigen und sich streiten, stürzt der Jüngere ab. Der Ältere versucht in der kalten, eisigen Nacht, in der das stürmische Wetter seine Standhaftigkeit auf die Probe stellt, ihn zu halten. Doch Eis und Schnee lassen den Jüngeren am Seil erfrieren. Der Ältere zerschneidet das Seil und stürzt mit seinem Freund in die Tiefe. Die männliche Kameradschaft in der rauen Bergwelt ist wichtiger als eine Geliebte. Erstmals arbeiten Arnold Fanck, Luis Trenker und Leni Riefenstahl zusammen: Sie werden das Genre – in gemeinsamer und/oder alleiniger Arbeit – in den nächsten zehn Jahren bestimmen.

Für den Film Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929) wird dem Bergfilmspezialisten, der in Fachkreisen nicht als Schauspieler-Regisseur gilt, der Regisseur Georg Wilhelm Pabst zur Seite gestellt, um die Darsteller dramatischer in Szene zu setzen. Der Bergführer Kraft verursacht den Tod seiner Ehefrau, sie stürzt bei einem Föhn in eine Gletscherspalte. Seitdem wandert er schuldgeplagt durch die Berge. Er führt ein junges Ehepaar auf den Piz Palü, wobei es wieder zu einem Unglück kommt. Drei frostklirrende Nächte mit böigen Winden und einer Unmenge Schnee müssen die Verschütteten auf einem Felsvorsprung verbringen. Da Kraft beide nur retten kann, indem er eins mit dem Eise wird, geht er freiwillig in den Tod. Langsam wird er vom Eis umschlossen. Der Film gilt als der größte Erfolg des Regisseurs, feiert als erster deutscher Film überhaupt im New Yorker ROXY-Kino eine hoch beachtete Premiere.

Stürme über dem Montblanc (1930) erzählt von einem Wetterwart auf dem Mont Blanc, der sich in eine junge Wissenschaftlerin verliebt. Durch ein Missverständnis glaubt er, dass sie mit seinem Freund ein Verhältnis begonnen hat. Durch einen Sturm gerät er auf dem Berg in Not, verliert aus Unachtsamkeit seine Handschuhe, so dass seine Hände erfrieren, wird fast von einer Lawine überrollt. Sie organisiert eine Rettungsaktion. Am Ende halten sich beide in den Armen. Happy End. Der Film liefert in der ersten Hälfte fast gar keine Handlung, zu sehen sind reine Schauwerte vom gigantischen Mont Blanc, Flüge über den Alpen, vorbeiziehende Wolkenformationen. Natur und Wetter werden zum handlungstragenden Element, sind die eigentlichen Hauptdarsteller des Films.

Die internationale Koproduktion S.O.S. Eisberg (1933) schildert die spektakuläre Suche nach mehreren in Grönland verschollenen Wissenschaftlern. Dabei haben die Suchenden mit den widrigsten Umständen zu kämpfen: Die Frühjahrsbrüche der Eisberge setzen ein, Eisschollen brechen auf. Einer der Expeditionsteilnehmer sucht Hilfe bei den Eskimos und muss längere Strecken in eisigem Wasser schwimmen. Ein Wasserflugzeug zerschellt an einem Eisberg. Eisbären bedrohen die Überlebenden. Wieder ist die Natur voller Bewegung: treibende Eisschollen und gewaltige Eisberge, am Himmel vorbeiziehende Wolkenformationen sind ständig im Bild.

So simpel die Spielhandlungen im Einzelnen auch sind, sind sie doch voller dramatischer Höhepunkte. Dabei wird die Handlung der Figuren auf dem Berg von der Natur und den Wetterbedingungen bestimmt. Die Gefühlsregungen der Protagonisten spiegeln sich direkt in den entsprechenden Naturbedingungen wieder. Dabei folgt die Handlung einem einfachen Schema: Je steiler das Terrain und je drastischer das Wetter, desto dramatischer die Situation. Anfangs ist die Natur immer noch unter Kontrolle, erst mit Zuspitzung der seelischen Konflikte verselbständigt sie sich, deutet mit kleinen Drohgebärden ihre Macht an und entfaltet meistens in der zweiten Hälfte der Geschichte ihr ganze mächtige Autorität.

Wenn die Geschichte auf ihren Kulminationspunkt zustrebt, ist das Wetter wie entfesselt: böige Eis- und Schneestürme prasseln auf die Menschen nieder, donnernde Lawinen stützen auf sie herab, klirrende Kälte lässt die Helden erstarren. Pessimismus beherrscht die Protagonisten: Sie opfern sich, erfrieren oder müssen sich ohnmächtig den Naturgewalten ergeben. Neben der Auseinandersetzung der Menschen tritt die Natur so als zusätzlicher und zudem unerbittlicher Gegenspieler der männlichen Heroen auf. Wer gegen sie besteht, ist gerade noch davongekommen.

Im Spannungsfeld zwischen Moderne und Romantik angesiedelt, gilt der deutsche Bergfilm vielen Kritikern als präfaschistisch, als Vorläufer der “Blut- und Boden-Filme” des Dritten Reiches, als “ur-deutsch”. Schon die damalige Kritik bemängelt die “aufdringliche Propaganda für Höhenmenschentum und Edelblond”. Es ist der Soziologe und Filmkritiker Siegfried Kracauer, der diese Interpretation in seinem Buch “Von Caligari bis Hitler” für viele Jahre bestimmt, in dem er Arnold Fanck Irrationalismus und Schicksalsgläubigkeit vorwirft, den die Nationalsozialisten in ihrer Ideologie ausschlachten würden. Dies haben sie auch ausgiebig getan, aber das ist ein anderes Thema …

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