Das Warum? und Darum! der Kunst

07.12.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Warum gibt es in der Welt die Kunst?
moviepilot/Rapid Eye Movies
Warum gibt es in der Welt die Kunst?
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Ist Songs From The Second Floor ein Kunstfilm? Könnten wir ohne Kunst leben? Im Kommentar der Woche wird es heute philosophisch und moviepilot-Mitglied franticfury begeistert uns mit seinem Kommentar für Kunst.

Im Kommentar der Woche versuchen wir jede Woche eines eurer zahlreichen Kommentar-Kunstwerke zu feiern. Dabei ist es egal ob es sich um ein expressionistisches Buchstabengemälde zu einem Film, eine schwärmerische Wortsymphonie zu einer Serie, eine klassizistische Plastik zu Ehren einer Person, oder um einen barocken Satzpalast unter einer News handelt – theoretisch kann jeder Kommentar die Voraussetzung erfüllen. Wenn ihr über ein Meisterwerk gestolpert seid, das euch besonders gut gefallen hat, das euch berührt oder inspiriert hat – schlagt uns den Kommenter vor, am besten per Nachricht!

Der Kommentar der Woche
Roy Anderssons Songs From the Second Floor animiert franticfury dazu das Wesen, den Nutzen und die Betrachter von Kunst zu hinterfragen:

Warum gibt es in der Welt die Kunst? Brauchen wir sie zum Überleben? Streng genommen braucht der Mensch nichts mehr als Sauerstoff, Wasser, Nahrung und Unterschlupf, um zu überleben. Ist sie für unsere Zivilisation unerlässlich? Was würde geschehen, wenn morgen alle Kompositionen Mozarts, alle Gemälde eines Picasso, alle Werke Dostojewskis und alle Filme von Ingmar Bergman vom Angesicht dieser Erde verschwinden? Würden wir im Chaos versinken? Wäre es dasselbe, wenn morgen alle Ärzte und Polizisten spurlos verschwunden wären? Vermutlich nicht.

Die Frage stellt sich also, wer braucht die Kunst? Betrachtet man die Sache rational, ist die Kunst eine sinnlose Beschäftigung, sie verfolgt scheinbar kein Ziel. Ist sie nur aus der Eitelkeit des Menschen entsprungen, aus dem menschlichen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit? Und vor allem, ist die Kunst dann nicht eine zutiefst egoistische Beschäftigung, die in erster Linie dem Künstler selbst zur Profilierung dient?
“Songs From The Second Floor” ist einer dieser Filme, der wohl genau in diese Kategorie fällt: “Kunstfilm”. Dieses verpönte Wort, das viele gebrauchen, um Filme zu beschreiben, die den eigenen Sehgewohnheiten nicht entsprechen, oder deren Aussage nicht sofort eindeutig zu erfassen ist. Roy Andersson hat vier Jahre an diesem Film gearbeitet, herausgekommen ist ein kryptischer und skurriler Film, der anders ist, als alles, das ich je gesehen habe. Ein Plot ist nicht vorhanden, genauso wenig wie nette Kameraspielereien (tatsächlich bewegt sich die Kamera im ganzen Film nur ein einziges Mal). Wer Erklärungen erwartet oder irgendetwas, an das man sich halten kann, der wird an diesem Film wenig Freude haben, denn Andersson nimmt uns mit in seine skurille Welt voller bleicher Gesichter und dunkler Straßen, ohne das Geschehen dabei aber jemals zu kommentieren oder Erklärungen in irgendeiner Form zu liefern.

Um deshalb an dieser Stelle die Frage von vorhin wieder aufzugreifen: Ist Songs From The Second Floor dann nicht vielleicht genau die Definition einer Kunst, die nur sich selbst genügt? Ist dieser Film vielleicht nur die bedeutungsschwangere Fantasie eines Regisseurs, der einfach mal einen “abgefahrenen” Film machen wollte, und sehen seine Bewunderer in ihm vielleicht nur deshalb etwas, weil sie sich selbst für ach so klug halten und Inhalte zu erkennen glauben, wo gar keine sind? Spricht die Tatsache, dass ich diesen Film für so großartig halte, dafür, dass ich in der Lage bin Schönheit zu erkennen, wo sie andere nicht sehen, oder bin ich vielleicht genau einer dieser Pseudointellektuellen, die sich für klüger halten, als sie eigentlich sind und sich von einer interessanten Inszenierung und ausgefallenen Sets blenden lassen?
Nein, ich glaube nicht, dass ich Gottes Geschenk an die Welt bin und ich in der Lage bin Dinge zu erkennen, die anderen verborgen bleiben. Ich halte mich auch nicht für klüger als der Rest der Menschheit, doch wie kommt es dann, dass mich dieser Film so bewegt und zwar EHRLICH bewegt hat? Wenn die Kunst nur zur Selbstprofilierung existiert, wie kann es sein, dass dieser Film in mir etwas ausgelöst hat, das mich die ganze Nacht nicht schlafen ließ? Wie soll ich jemanden, der für Kunst nichts übrig hat, erklären, dass ich diesen Film gerade für so fantastisch und ehrlich halte, weil er mir eben nicht alles auf dem Silbertablett serviert? Wie soll ich jemanden erklären, dass ich glaube, dass wir Filme wie Songs From The Second Floor unbedingt brauchen, einfach, weil großartige Filmemacher wie Roy Andersson in der Lage sind uns auf ihre eigene geniale Art und Weise zu entlarven und uns die Absurdität unserer Existenz vor Augen zu führen, die wir ja alle für ach so bedeutend und selbstverständlich halten?

Warum lese ich in meiner Freizeit also Dostojewski und Dickens, anstatt dem Aufschrei einer Generation zu folgen und jeden Tag zu feiern, bis der Arzt kommt? Im Endeffekt sterben wir sowieso alle, haben es die “Swagger” dieser Welt dann nicht eigentlich viel besser begriffen als ich? Vielleicht. Und trotzdem, warum kehren so viele von uns selbst nach Jahrhunderten zu den großen Werken einzelner Menschen zurück? Warum ist “Schuld und Sühne” auch heute noch einer der aktuellsten und faszinierendsten Romane überhaupt? Weil sie von Dingen erzählen, die die Menschheit im Kern ausmachen, weil sie uns Halt geben. Es braucht manchmal eben nur einen genialen Kopf, der das in Worte zu fassen weiß – oder wie in diesem Fall in Bilder. Ob in der Literatur, der Musik, Malerei oder im Film, manchmal brauchen wir einfach jemanden, der uns wieder daran erinnert, dass wir noch Mensch sind.

Im Endeffekt sieht jeder in der Kunst wohl immer das, das er selbst sehen möchte. Könnten wir aber ohne? Ich glaube nicht.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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