Dunkirk - Das solltet ihr über die historischen Hintergründe wissen

27.07.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
DunkirkWarner Bros.
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Heute kommt Dunkirk von Christopher Nolan in die deutschen Kinos und hier könnt ihr euch zur Vorbereitung über die wahren Begebenheiten der Evakuierung am Strand von Dünkirchen informieren.

Zu Land, zu Wasser und zu Luft wird in Dunkirk vom sogenannten "Wunder von Dünkirchen" erzählt. Der Kriegsfilm von Christopher Nolan konzentriert sich größtenteils auf die Perspektive der britischen Soldaten, die sich Ende Mai 1940 eingekesselt von der deutschen Armee am Strand von Dünkirchen wiederfanden, wo eine der aufwendigsten Rettungsaktionen der jüngeren Militärgeschichte anlief. Zivile und militärische Schiffe kamen zum Einsatz, um in wenigen Tagen Hunderttausende Soldaten über den Kanal nach Großbritannien zu evakuieren. Heute startet der neue Film des Regisseurs von The Dark Knight und Inception in den deutschen Kinos und da sich Dunkirk weniger mit den historischen Hintergründen befasst, lohnt ein Überblick von Ablauf und Bedeutung der Geschehnisse in Dünkirchen, die von der katastrophalen Niederlage zum Mythos britischer Durchhaltekraft umgemünzt wurden.

Fionn Whitehead spielt in Dunkirk einen englischen Soldaten, der in der umkämpften Stadt Dünkirchen nahe der Grenze zu Belgien an den Strand läuft und Zeuge der anlaufenden Evakuierung des Britischen Expeditionskorps (BEF) wird. Nach dem deutschen Überfall auf Polen hatten Frankreich und Großbritannien dem Deutschen Reich am 3. September 1939 den Krieg erklärt. Hunderttausende britische Soldaten wurden in den Monaten danach nach Nordfrankreich in der Nähe der Grenze zum neutralen Belgien stationiert. Zunächst einmal blieben sie wegen der defensiven Strategie der Alliierten inaktiv, was auf der Gegenseite Zeit für die Sammlung der Truppen ließ.

Eingekesselt

Auf Seiten von Frankreich und Großbritannien wurde eine Invasion ähnlich der des Schlieffen-Planes aus dem Ersten Weltkrieg erwartet. Als es in der Nacht zum 10. Mai 1940 schließlich auf Befehl von Adolf Hitler zum Angriff auf die Beneluxländer und Frankreich kam, folgte die deutsche Armee jedoch dem riskanten Sichelschnittplan. Der sah unter anderem einen Panzer-Vorstoß durch die bewaldeten, unwegsamen Ardennen vor, wo die alliierte Verteidigung am schwächsten war. Der Angriff gelang in einer Geschwindigkeit, die beide Seiten überraschte und innerhalb von zehn Tagen erreichte die deutsche Armee Abbeville nahe der Küste am Ärmelkanal. Teile der französischen und belgischen Truppen sowie das BEF wurden von deutschen Streitkräften eingeschlossen und vom Großteil des französischen Heeres im Süden getrennt. Am 19. Mai begannen auf britischer Seite die Planungen für eine Evakuierung, allerdings ohne Absprache mit den Franzosen.

Dunkirk

Dass den Briten letztendlich mehrere Tage Zeit blieben, um die Rettungsaktion in Dünkirchen umzusetzen, ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Unter Historikern wird bis heute diskutiert, warum es zu einem kritischen Zeitpunkt zu einem Haltebefehl für die voranstoßenden deutschen Panzer kam. Eigenmächtig handelnde Generäle und das daraus resultierende überraschende Tempo förderten die Furcht vor Flankenangriffen der Alliierten. Gleichzeitig drängte Generalfeldmarschall Hermann Göring darauf, dass die Luftwaffe die Schlacht gegen die eingekesselten Truppen bestreiten könne, was vom schlechten Wetter später erschwert werden sollte. Für die Panzerdivisionen bot es wiederum Gelegenheit zur Schonung und Konsolidierung. Am 24. Mai erfolgte der von Hitler bestätigte Haltebefehl und erst am 26. Mai wurde er wieder aufgehoben.

Operation Dynamo

So blieben den Alliierten drei Tage für die Errichtung eines Verteidigungsrings um Dünkirchen, bevor vom 26. Mai bis zum 4. Juni 1940 die sogenannte Operation Dynamo zur Evakuierung des Britischen Expeditionskorps durchgeführt wurde. Von Dover aus wurden alle verfügbaren Schiffe über den Kanal geschickt, während sich die BEF-Truppen unter weiteren Verlusten zur Stadt zurückzogen. Für die Flucht boten sich die langen Sandstrände von Dünkirchen an, um die Soldaten zu sammeln. Die Distanz zu den größeren Kriegsschiffen musste jedoch teilweise mit kleineren zivilen Schiffen überwunden werden, sodass die Flüchtenden stundenlang wartend im Wasser ausharren mussten. Währenddessen flog die deutsche Luftwaffe Angriffe auf den Strand, die die Royal Air Force abzuwehren suchte. In Dunkirk verkörpert Tom Hardy einen der RAF-Piloten.

Dunkirk

Zwischen 800 und 900 Schiffe aus Großbritannien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden waren in die Evakuierung involviert, viele kleinere davon wurden von Zivilisten für die Navy beschlagnahmt und teilweise auch von diesen gesteuert. In Dunkirk spielt Mark Rylance stellvertretend für die realen Zeugen die Rolle des Mr. Dawson, dessen Schiff zum französischen Hafen beordert wird, der es aber selber dahin steuern will. Dieser Beitrag ursprünglich ziviler Schiffe zur Rettung ist unter dem Namen "The Little Ships of Dunkirk" in die Geschichte eingegangen.

Bis zum 4. Juni 1940 wurden 338.226 alliierte Soldaten vom Hafen oder dem Strand von Dünkirchen evakuiert. 110.000 Soldaten davon waren Franzosen, die meist nach kurzen Aufenthalten in England wieder nach Frankreich gebracht wurden. Außerdem zählten belgische, niederländische und polnische Truppen zu den Geretteten. Als letztes Schiff verließ die HMS Shikari Dünkirchen um 03:40 Uhr in der Nacht zum 4. Juni. Bei den 30.000 bis 40.000 Soldaten, die zurückblieben, die Flucht sicherten und in Kriegsgefangenschaft gingen, handelte es sich größtenteils um Franzosen. Dass die britischen Evakuierungsbemühungen zunächst nur auf die Rettung des BEF zielte, anstatt an der Seite der Franzosen zu kämpfen, und die Pläne den französischen Befehlshabern lange nicht bekannt waren, sorgte für Verstimmungen unter den Alliierten. Immerhin ermöglichte auch die Verteidigung Dünkirchens durch die französischen Streitkräfte das Zeitfenster für die Flucht.

Das Wunder von Dünkirchen

Im Verlauf des Feldzuges bis zur Kapitulation von Frankreich am 22. Juni verlor das Britische Expeditionskorps 68.000 Soldaten auf dem Schlachtfeld oder in Gefangenschaft. Demgegenüber werden die deutschen Verluste auf 27.074 Tote und 111.034 Verletzte geschätzt. (History Today ) Außerdem mussten Unmengen militärischer Gerätschaften zurückgelassen werden. Dank der Evakuierung in Dünkirchen konnte jedoch ein Großteil der britischen Berufsarmee gerettet werden, was für den weiteren Kriegsverlauf von großer Bedeutung war.

Die wenigsten hatten damit gerechnet, dass überhaupt so viele Soldaten gerettet werden konnten. So wendete sich die katastrophale Niederlage in Großbritannien auch dank der Medien und staatlichen Propaganda in einen unerwarteten Sieg. Über die Zeitungen wurden die Bürger zur Hilfe aufgerufen. Während andere Verluste gar nicht in den Medien stattfanden, priesen die Blätter die unerschütterlichen Rückkehrer vom Kontinent. Das "einschüchternde Monument britischen Mutes" (BBC ) wurde schnell als "Wunder von Dünkirchen" zum Mythos stilisiert, der den Dunkirk Spirit, den speziellen Kampfgeist der Briten, idealtypisch verkörpere. Das Motiv der Solidarität in Zeiten großer Gefahr, wie sie die "kleinen Schiffe" symbolisierten, sollte auch bei den späteren Luftangriffen auf England eine motivierende Rolle spielen.

Winston Churchill, der erst am 10. Mai zum Premierminister ernannt worden war, hielt noch am 4. Juni seine berühmte Rede "We Shall Fight on the Beaches ", in der es heißt:

Wir werden auf den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsabschnitten kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns nie ergeben

Spätere Historiker untersuchten den Zustand der britischen Armee und die mangelnde Kommunikation mit den französischen Alliierten naturgemäß unter einem kritischeren Blick. Verloren gehen in den Geschichten und Filmen über das "Wunder" jedenfalls vielfach die Erfahrungen der Zivilisten auf dem Festland. Bei Bombenangriffen in Dünkirchen kamen während der Fluchtaktion zahlreiche Einwohner ums Leben. Millionen Bürger aus Frankreich und den Benelux-Staaten waren auf der Flucht vor den deutschen Truppen. In einem Erlebnisbericht  für das United States Holocaust Memorial Museum beschreibt ein Zeuge, wie er als Kind mit seiner Familie aus Belgien über Dünkirchen flüchtete und einen britischen Soldaten am Wegesrand sah:

Seine Präsenz und Haltung ist beruhigend. Ich beobachte ihn weiter und schlafe bald ein. Als ich aufwache, sind wir immer noch in dem Graben, aber diese hochaufragende Gestalt steht nicht mehr da. 'Wo ist er hin?', frage ich meine Mutter. Sie antwortet: 'Die Soldaten sind weg.' [...] Das war der letzte britische Soldat, den ich bis zur Befreiung von Brüssel durch britische Truppen vier Jahre später gesehen habe.

Dunkirk läuft seit heute in den deutschen Kinos.

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Zum Weiterlesen:
Karl-Heinz Frieser: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940 (1995)
Walter Lord: The Miracle of Dunkirk - The True Story of Operation Dynamo (1982/2017)
Ian Kershaws Gedankenspiel: Dünkirchen – Was wäre gewesen wenn? 
BBC-Special zum 60. Jahrestag der Evakuierung 

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