Ich bin wie Forrest Gump durch die Wüste gerannt: So fühlt es sich an, wenn ein Film nach 30 Jahren Realität wird

06.07.2024 - 09:00 UhrVor 4 Monaten aktualisiert
Forrest Gump wird 30
Paramount/E. Stroh
Forrest Gump wird 30
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Zum 30. Jubiläum von Forrest Gump ließe sich viel Bedeutungsschweres über das filmische Erbe des oscarprämierten Werks schreiben. Doch ich will euch stattdessen von meinem Urlaub erzählen.

Eine schnurgerade Straße zieht sich durch die Wüste. Links und rechts erstrecken sich nichts als roter Staub, niedrige Gräser und eigenwillige Felsformationen. Dann nehme ich mit dem Auto eine flache Anhöhe und plötzlich sind da Menschen über Menschen auf der Fahrbahn und ich muss hastig bremsen. Eigentlich gibt es keinen Grund, den Wagen hier, mitten im Nirgendwo, zu verlassen und hinaus in die schweißtreibende Hitze zu treten. Und doch gibt es jeden Grund: Die Menschen, die sich hier tummeln, sind Filmfans. Sie sind – auch 30 Jahre später – für Forrest Gump hier. Genau wie ich.

Forrest Gump wird 30 – und das wird ein Wüstenfest

Am 6. Juli 1994 kam der Film Forrest Gump in den USA ins Kino. Anschließend gewann der tragikomische Ritt durch die amerikanische Geschichte der 50er bis 80er Jahre sechs Oscars (inklusive Bester Hauptdarsteller, Beste Regie und Bester Film). Verworfene Fortsetzungen und tatsächlich umgesetzte Remakes hatte er gar nicht nötig. Er war und ist sich als rundes Werk (aktuell im Stream bei Netflix) selbst genug.

Drei Dekaden später ist Forrest Gump für mich immer noch Robert Zemeckis' bester Film (sorry, Zurück in die Zukunft) und zurecht in die Filmgeschichte eingegangen. Nach einer so langen Zeit als Kultfilm hat Forrest Gump viele erinnerungswürdige Szenen, die hervorstechen. Von Pralinen auf Busbänken über Vietnamkriegsrettungen bis zu Ping-Pong-Duellen und herzerweichenden Liebeserklärungen ist die Auswahl groß. Aber mein Urlaub führte mich dieses Jahr in die heißen US-Bundesstaaten Arizona und Utah und so wandelte ich auf den Spuren des joggenden Forrest.

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Drei Jahre verbringt Forrest Gump in seinem Film mit einem Cross-Country-Marathon. Rennend durchquert er den Kontinent wieder und wieder, bevor er plötzlich, mitten in der Wüste, anhält und der ihm mittlerweile folgenden Anhängerschaft erklärt: "Ich bin müde, sehr sogar. Ich glaube, ich geh' wieder nach Hause."

Es ist eine perfekte Einstellung: Die malerische Kulisse von Monument Valley, die schon unzählige Western veredelte, zeichnet sich in der Szene in der Distanz ab. Die fast bis zum Horizont reichende Straße zeigt symbolisch den weiten Weg, den unser Held zurückgelegt hat. Doch dann ist da ein Geistesblitz, ein Sehnen und eine Entscheidung – und mit dem Umdenken findet plötzlich ein Richtungswechsel statt: heimwärts.

Forrest Gump zeigt mir, wie ein Film seinen Fußabdruck in der Realität hinterlässt

Während Tom Hanks' fiktiver Forrest Gump an einer Stelle im scheinbaren Nirgendwo die Erkenntnis zur Heimkehr trifft, ist es für die echten Menschen, die hierher pilgern, das genaue Gegenteil. An diesem kargen Ort auf Navajo-Stammesgebiet ist von den kurz verweilenden Touristen niemand zu Hause. Es ist vielmehr das Fernweh, das sie und mich angetrieben hat, herzukommen. Und doch führt die Suche nach etwas Bekanntem uns hierhin. Die Suche nach einem Ort, der uns bis jetzt nur als Bild vertraut war.

Die ikonische Stelle in der Wüste zu finden, ist nicht schwer: Sogar Google Maps  führt auf der digitalen Karte den "Forrest Gump Point".

Anderthalb Kilometer vor dem Ziel kündigt ein Schild den "Forrest Gump Hill" an, wo Durchreisende ihr Auto ohne Gefahr abstellen können. Wohl auch, weil schon genug Leute einfach am Straßenrand halten oder den Asphalt betreten – obwohl eine erlaubte Geschwindigkeit von 70 Meilen pro Stunde (ca. 113 km/h) das Fußgänger- bzw. Jogger-Dasein zu einer gefährlichen Angelegenheit macht.

Nachdem ich die Hügelkuppe überwinde, liegt sie unvermittelt vor mir, als hätte jemand sie aus dem Film herausgelöst: die lineal-gerade Straße vor den imposanten roten Felsriesen, die kein damaliger Kulissenbauer oder heutiger Computerkünstler so hätte ersinnen können. Ich bin am Ziel meines filmischen Zuhauses angekommen.

Dass ein Film so einflussreich wie Forrest Gump wird, dass er sogar auf Karten und Straßenschildern seinen Nachhall hinterlässt, passiert nicht oft. Hier ist der Traum, ein bedeutsames Werk in der Filmgeschichte zu hinterlassen, Wirklichkeit geworden. Das wahre Überdauern zeigt sich in den Menschen, die ihre Wohnzimmer verlassen haben, um sich hier am sandigen Straßenrand in einem gemeinsamen Moment des atemlosen Innehaltens (oder Rennens) versammeln.

Lauf, Forrest, lauf! – Ich folge dir

Jetzt parke nämlich auch ich meinen Leihwagen abseits der Straße und kann ich mich dann nicht mehr zusammenreißen: Nachdem ich den Highway hinauf und hinab geschaut habe, ohne weitere Autos zu entdecken, flitze ich los. Erst ist es nur ein langsames Joggen, dann aber nehme ich an Tempo auf und spüre, wie mir der warme Wüstenwind ins Haar greift. Durchgeschwitzte T-Shirts sind mir gerade egal. Die Gedanken fliegen davon und nichts als die Erfahrung des (Film-)Moments bleibt zurück. Wenn das Leben eine Schachtel Pralinen ist, dann ist das hier gerade ein Augenblick mit besonders leckerer Füllung.

Dass ich diesen rennenden Moment mit unzähligen anderen Schaulustigen teile, macht ihn umso bedeutsamer. Ein sich zugeworfenes Lächeln hier und ein Angebot zum Fotografieren dort machen ein Gemeinschaftsgefühl erfahrbar, das auch Forrest Gumps Jogging-Jünger im Film verbunden haben muss. Die Landschaft des Monument Valley war natürlich schon lange vorher hier und atemberaubend schön anzusehen. Aber aufgeladen mit 30 Jahren Filmerinnerungen wird das Erlebnis noch bedeutsamer.

Oder um Tom Hanks ikonische Figur zu paraphrasieren: Forrest Gump mag kein kluger Mann sein, aber er weiß, was Filmliebe ist. Und wer hier nach 30 Jahren immer noch in der Wüste anhält, weiß es auch.

In diesem Sinne: Happy Birthday, Forrest. Mögest du noch 30 Jahre weiterrennen, um Filmfans nach Hause zu führen.

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