Ich, Solaris und die seltsame Reise in den Verstand

23.12.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Was ist Realität? - SolarisTrigon Film
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Solaris aus dem Jahr 1972 ist einer der Klassiker der Filmgeschichte, welcher mich immer wieder zum Staunen bringt und das obwohl Regisseur Andrei Tarkovsky fast vollkommen auf aufwendige Spezialeffekte und sonstigen Schnickschnack verzichtet.

Für beinahe drei Stunden möchte uns der sowjetische Filmemacher Andrei Tarkovsky mit Solaris in die unendlichen Weiten entführen. Zeit, die in der heutigen, schnelllebigen Welt knapp geworden ist. Wir hetzen von Termin zu Termin und am Abend sind wir dann zu erledigt, um solch bedeutungsschwere Kost noch ausreichend zu würdigen. Doch ab und zu ergibt sich mit etwas Glück die seltene Möglichkeit, solch monumentale Streifen mit der notwendigen Ruhe zu schauen. Als ich mich für das kommende Weihnachtsfest auf den langen Heimweg machte, ergriff ich diese Gelegenheit beim Schopf und warf voller Vorfreude die DVD in den schwer atmenden Laptop. Während der brummende Bus langsam Fahrt aufnahm und die weihnachtliche Beleuchtung Berlins an mir vorbeirauschte, kam ich zur Ruhe und war ein weiteres Mal bereit für die verwirrende Reise nach Solaris.

Die ersten Minuten des Films sind still. Es wird nicht gesprochen. Stattdessen sehen wir seltsame Kamerafahrten durch eine seltsam wirkende Natur. Nebel liegt in der Luft und versperrt uns nach wenigen Metern die Sicht. Obwohl alles irgendwie vertraut wirkt, fühle ich mich fremd. Dann ein Gesicht mitten im grauen Grün. Es ist Kris Kelvin (Donatas Banionis), ein verdienter Psychologe, der schon bald zum Planeten Solaris aufbrechen soll, um den derzeitigen Stand der stagnierenden Forschungsmission zu beurteilen. Noch immer beherrscht das Schweigen erhaben den Bildschirm. Nichts ist zu hören, außer die Klänge der Natur. Ab und zu plätschert das Wasser im Bach oder der Wind streichelt behutsam die Blätter. Es wirkt wie ein Abschied, als Kelvin behutsam durch die Landschaft streicht. Doch schon bald ist es damit vorbei und die Zivilisation holt ihn wieder ein. Mit motorisiertem Klackern kommt Berton, ein alter Freund der Familie und früherer Kosmonaut, auf dem Anwesen an. Er war bereits vor langer Zeit auf Solaris und berichtet von unglaublichen Erlebnissen. So habe er während eines Fluges über die mit Wasser bedeckte Oberfläche eine menschliche Gestalt ausgemacht. Eine damalige Untersuchung des Vorfalls tat diesen Bericht allerdings schnell als Unsinn ab und schob es auf die toxischen Gase des Planeten, welche eine Halluzination ausgelöst haben könnten. Auch Kelvin, ein Mann der Wissenschaft und Logik, ist zunächst skeptisch und zweifelt an Betons Aussage. Auf der Station im All angekommen muss er allerdings schnell feststellen, dass der frühere Pilot wohl doch nicht so Unrecht hatte. Eines morgens erwacht der Psychologe, nach einer turbulenten Ankunft am Vortag, neben seiner Frau, welche sich jedoch vor langer Zeit umgebracht hat. Ein surreales Abenteuer an die Grenzen des menschlichen Verstandes nimmt seinen Lauf.

Warum ich Solaris mein Herz schenke

Obwohl es sich bei Solaris klar um Science Fiction handelt, sind die typischen Elemente des Genres sehr rar gesetzt. Es gibt keine monumentalen Bilder der unendlich Weiten und keine bahnbrechenden Spezialeffekte wie einst in 2001: Odyssee im Weltraum. Vielmehr nutzt Tarkovsky diese Art Film, um Gedanken anzusprechen, die wie die gezeigte Technik ihrer Zeit voraus waren. Der sowjetische Regisseur will mit den gezeigten Bildern nicht unterhalten, sondern philosophiert während der gesamten Laufzeit über die Grenzen der Menschheit. Höher, schneller, weiter - unsere Zivilisation befindet sich seit Jahrhunderten im immerwährenden Fortschritt und ein Ende dieses Marathons ist nicht in Sicht. In dem visionären Streifen wird auch die Solaris-Mission in Frage gestellt. Denn die Menschheit ist nicht auf ein solches Abenteuer angewiesen, sondern gibt damit nur dem unendlichen Expansion-Drang im Inneren nach. Doch um welchen Preis? Während draußen tödliche Leere herrscht, kämpfen die Raumfahrer im Bauch der Station mit ihrer eigenen Psyche. Erinnerungen und Gedanken, die sie nicht wie den blauen Planeten einfach hinter sich lassen konnten. Am Ende ist es also nicht die Technik, welche uns die endgültige Grenze aufzeigt, sondern das menschliche Wesen und dessen unstillbarer Hunger nach mehr.

Warum auch ihr Solaris lieben werdet

Solaris ist kein Film für den entspannten Feierabend und muss im besten Fall mehrmals gesichtet werden. Tarkovsky fordert sein Publikum unverblümt zum Mitdenken auf und bringt damit die grauen Zellen ordentlich zum Schwitzen. Wer sich allerdings auf den zeitlosen Klassiker einlässt und die notwendige Ruhe mitbringt, wird mit einem Erlebnis belohnt, welches es tatsächlich schafft, den Horizont zu erweitert. Solaris bricht aus dem engen Korsett aus, das den Verstand im täglichen Leben einengt und geht über das für uns Plausible mit Leichtigkeit hinweg. Ein Ausflug in unsere eigene Psyche, verpackt in einem hypnotisierenden Weltraum-Abenteuer. Auch nach dem Abspann denkt der Zuschauer noch lange über den Film nach und kann ihn am Ende doch nicht in Gänze begreifen. Was symbolisiert Solaris wirklich? Ist es der zerbrechliche Verstand oder sogar eine göttliche Gestalt? Ich weiß es bis heute nicht. Schlussendlich zählen jedoch nicht die harten Fakten, sondern die zahlreichen Gedankengänge, denn wie bei so vielem, ist auch bei Solaris am Ende der berühmte Weg das Ziel.

Warum Solaris die Jahrzehnte überdauern wird

Solaris schafft es wie kaum ein anderer Streifen gekonnt mit den Stärken des Genres zu spielen. Die Arroganz des Menschen kann vor kaum einem Hintergrund besser dargestellt werden, als vor der Unendlichkeit des Raums. Es wirkt fast schon ironisch, dass uns das eigentlich grenzenlose All in Solaris das Ende der Fahnenstange aufzeigt. Dazu kommen tiefgreifende Fragen über die Existenz des Menschen und symbolträchtige Bilder, die Rätsel aufgeben. Darüberhinaus verzichtet der Film weitestgehend auf aufwendige Spezialeffekte, was dafür sorgt, dass die einzigartige Atmosphäre auch heute nicht durch umherfliegendes Pappmaché gestört wird. Solaris bleibt deshalb ein (Meister-) Werk, über welches auch in vielen Jahren noch hitzig diskutiert werden kann.

"I must tell you that we really have no desire to conquer any cosmos. We want to extend the Earth up to its borders. We don't know what to do with other worlds. We don't need other worlds."

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