Nur noch selten kann man im Blockbusterkino ästhetisch etwas Neues erleben. Christopher Nolans
Filme sind da eine Ausnahme und das erklärt auch, warum Filmenthusiasten in aller Welt seit
Monaten gespannt auf Interstellar gewartet haben. Der Film ist keine Enttäuschung. Voller
poetischer, unglaublich schöner Bilder, die die Materialität des Kinos betonen, ohne an irgendeiner
Stelle altmodisch zu erscheinen, ist man als Zuschauer schon nach wenigen Minuten bereit für eine
Reise der besonderen Art. Die Trailer blieben ja bis zuletzt rätselhaft und zugegeben: Ich hatte Angst,
dass einmal mehr ein Esoterikspektakel dabei herauskommen könnte. Doch davon in Interstellar –
Gott sei Dank! – keine Spur. Es hätte auch nicht zu Nolan gepaßt, der in seinem Werk für die
traditionellen angelsächsischen Werte eintritt, die schon lange im Schwinden begriffen sind. Ebenso
verkneift Nolan sich die gerade so beliebten posthumanistischen Idiosynkrasien. Auch wenn der
Roboter mit noch so einer menschlichen Stimme ausgestattet ist, bleibt er ein nützliches Gerät,
nichts weiter. Protestantische Arbeitsethik, Disziplin, Lustverzicht und Gottgläubigkeit prägen Interstellar – und formal bedeutet dies: klare Strukturen, stringente Erzählung, funktionale Dialoge.
Viele Kritiker erhofften sich Antworten auf die großen Fragen der Menschheit und waren nun
enttäuscht, dass Nolan sie ihnen nicht beantwortet hat, ja, dass er sie nicht einmal gestellt hat. Nolans
Weltanschauung ist positivistisch und pragmatisch, selbst das Metaphysische erhält seine Funktion. Interstellar hat nichts mit Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum und nichts mit Tarkowskijs Solaris zu tun, die ihre Denkgebäude der deutschen Philosophie, der österreichischen und
französischen Psychoanalyse und der europäischen Kunst zu verdanken haben. Christopher Nolan
interessiert dies alles nicht und so ist Interstellar sicherlich einer der amerikanischsten Filme der
letzten Jahre. Der Vorwurf vieler Kritiker, der Film sei irgendwie unterkühlt und die Figuren zu
eindimensional, geht am Thema vorbei, weil es genau so sein muss: Es ist die Ratio (plus ein bisschen
Liebe und Glaube), die Nolan Werk bestimmt. Mit Interstellar kehrt das Blockbusterkino zu seinen
ideologischen, d.h. angelsächsischen Wurzeln zurück. Das ist, wie gesagt, sehr schön anzusehen, aber
eben auch recht simpel.
Mehr dazu erfahrt ihr im Video!
Wolfgang M. Schmitt jun. analysiert in seinem Videoblog DIE FILMANALYSE mal ideologiekritisch, mal kulturwissenschaftlich und häufig polemisch populäre Filme der Gegenwart und der Vergangenheit.