Marco Polo - Unser erster Eindruck

13.12.2014 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Lorenzo Richelmy als Marco Polo in Marco PoloNetflix
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Gestern veröffentlichte Netflix die ganze erste Staffel von Marco Polo auf einen Schlag. Wir haben uns die Pilot-Folge angeschaut und erzählen euch, ob es sich lohnt, in die epische Abenteuer-Serie reinzuschauen.

Auf Drängen nach einem Eingeständnis, soll er am Sterbebett gesagt haben, dass er nicht einmal die Hälfte von dem erzählt hat, was er in Wahrheit erlebt hat. Die Rede ist natürlich von Marco Polo, jenem Abenteurer, dessen Erzählungen noch heute gleichermaßen zu inspirieren wie zu fesseln wissen. Auch John Fusco hast sich von der Legende inspirieren lassen und ein mitreißendes Abenteuer in Form einer Netflix-Serie auf die Beine gestellt, die nicht zuletzt im voraus als nächstes Game of Thrones gehandelt wurde. Und natürlich liegt der Vergleich aus mehreren Gründen nahe: Auf der einen Seite gilt es für den US-amerikanischen Streaming-Anbieter nach erfolgreichen Punktlandungen wie Orange Is the New Black und House of Cards eine weitere Genre-Lücke im Repertoire zu schließen. Auf der anderen Seite weist die selbstbewusste Kampfansage an HBO aber auch hinsichtlich der angesprochen Themen, Motive und deren Ausführung zusätzliche Parallelen mit der populären George R.R. Martin-Adaption auf.

Bereits die ersten Bilder offenbaren eine dreckige Welt voller Grauen und Erbarmungslosigkeit. Ein kleines Dorf im Reich der Mitte wird von unvergleichlichen Gewalttaten heimgesucht: Während im Hintergrund aufsteigender Rauch vom verheerenden Gemetzel kündet, fungieren die Überreste gepfählter Bewohner als einschüchternde Warnung, bevor das nächste Blutvergießen seinen unerbittlichen Lauf nimmt. Nachdem sie Gebirge überwunden, Meere über- und Wüsten durchquert haben, kommen Niccolò Polo (Pierfrancesco Favino) und sein Bruder Maffeo (Corrado Invernizzi) im Rahmen ihrer Odyssee genau in dieser Welt an und müssen erneut um ihr Überleben fürchten. Obgleich sie heil zurück in die Heimat gelangen, treibt es die zwei Handelsmänner aus Venedig wieder zurück in die Fremde - dieses Mal jedoch in Begleitung des jungen Marco Polos (Lorenzo Richelmy), dem Sohn von Niccolò. Am Hof von Kublai Khan (Benedict Wong) nimmt die Reise eine unerwartete Wendung, denn Marco wird von seinem Vater als Zeichen seiner Ehrerbietung präsentiert und mehr oder weniger unfreiwillig dem Nachkommen von Dschinigs Khan vermacht.

Jetzt befindet sich der titelgebende Protagonist mutterseelenallein in dieser grausamen, in dieser fremden Welt. Die Tagline der Serie teasert in verheißungsvollen Lettern das Credo Worlds will collide an. Entgegen dieser Erwartungen gestaltet sich das folgende Geschehen jedoch vergleichsweise unspektakulär. Stattdessen rückt ein vorsichtiges Beobachten in den Mittelpunkt der Serie. Genauso schüchtern, wie sich Marco nach dem etablierten Vater-Sohn-Konflikt in seinem neuen zu Hause einzuleben versucht, erforscht die Kamera die Hallen des mächtigen Herrschers, die sich Beginn der Handlung noch ganz im unangetastet Dunst matter Ausleuchtung hüllt. Erst später werden die Sonnenstrahlen stärker und fallen durch das, in allen erdenklichen Farben verglaste, Fenster am Ende des Thronsaals von Kublai Khan. Im Zuge dieser Entdeckung erfahren wir zusammen mit Marco, der trotz seiner späteren Bestimmung als Geschichtenerzähler, vorerst mehr als passiver Zuhörer denn als aktiv eingreifender Held auftritt, sämtliche Details über das Treiben am Hof. Intrigen werden angedeutet, Machtspiele ausgebreitet und ebenso schnell eine reale Bedrohung (sowohl von Innen als auch von Außen) erschaffen.

Ein Expositions-Feuerwerk sondergleichen, das in erster Linie mit detailliertem Worldbuilding beschäftigt ist: Die Pilot-Folge von Marco Polo mag in ihren 45 Minuten alles andere als einen dynamischen Ablauf ergeben. Dazu passt sich das Erzähltempo zu holprig der bemerkenswerten Fülle an Information an, die an den Zuschauer weitergeben werden will. Sobald Marco (sowie der Zuschauer) jedoch mit dem Figurenpersonal vertraut ist und in die Zeitumstände des 13. Jahrhunderts in Asien eingeweiht wurde, beginnt die Serie zu atmen. Benedict Wong erhebt sich in mit einschüchternder Geste von seinem Thron und bewegt sich erhaben im Raum. Dieses Ereignis geht zwar recht langsam vonstatten, dafür fangen Joachim Rønning und Espen Sandberg, ihres Zeichens für die Inszenierung der Episode verantwortlich, die Erhabenheit und Würde dieses Augenblicks behutsam ein. Marco Polo zeigt kein Interesse am angezogenen Takt, sondern will vollends in die reichlich ausgestattete Welt mitsamt ihren Bewohner eintauchen. Die Netlix-Produktion gehört also wahrscheinlich zu jenen Serien, die sich erst im Lauf der Zeit entfalten, mit jedem Kapitel ein Stück größer werden und dann hinsichtlich ihrer Ausgestaltung auch nicht davor zurückschrecken, die - nahezu betäubte - Stille im Thronsaal wie Staub aufzuwirbeln.

Zum Vater-Sohn-Konflikt gesellt sich im Folgenden eine verbotene Liebesgeschichte, die kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Brüdern sowie weitere (politische) Gedankenspiele, die sich in Anbetracht des Settings anbieten. Selbst wenn der Spannungsbogen zu Beginn ein sehr routinierter und das Themespektrum in seiner groben Allgemeinheit ein bekanntes ist, lohnt es sich, Marco Polo weiterzuverfolgen, da sich John Fuscos Vision erst im Entstehen befindet. Insofern ist der Vorwurf, dass sich Marco Polo sehr engstirnig einem westlichen Protagonisten bediene, um die fremde Kultur zu erforschen, eher relativ. Mit fortschreitender Laufzeit gerät Marco trotz seiner Eigenschaft als vermeintliche Hauptfigur dermaßen in den Hintergrund, dass er in vielen Subplots lediglich schweigend am Rand steht oder gar keine Rolle einnimmt. Ähnlich wie bei Game of Thrones gibt es folglich mehrere Schauplätze und Figuren-Clans, über die das Handlungskonstrukt verteilt ist. Als problematisch bis fragwürdig entpuppt sich viel mehr der Umstand, dass sich Marco Polo (wie auch Game of Thrones) nur bedingt reflektiert in seiner archaischen Welt austobt.

Während die männliche Dominanz relevante Entscheidungen trifft, versuchen das weibliche Geschlecht seine Gegenspieler vorzugsweise gänzlich unbekleidet seine Gegenspieler in furiosen Action-Sequenzen und Zeitlupenaufnahmen zu überwältigen. Bis zu einem gewissen Grad gehören diese exploitativen Elemente sicherlich zum unvermeidlichen (?) Kollateralschaden des Formats, allerdings musste selbst Game of Thrones im Verlauf seiner vier Staffeln lernen, dass es in puncto Sexposition und Co. durchaus eine pubertäre Hürde zu überwinden gibt. Ob es sich dennoch lohnt, historisch angehauchte Drama weiterzuverfolgen? Ja: Wenngleich der Pilot noch etwas ungehobelt daherkommt, wird Marco Polo mit zunehmender Episodenanzahl stärker und verwandelt sich in ein - vor allem von Dialogen getriebenes - Abenteuer, das vielleicht nicht so reißerisch wie die HBO-Konkurrenz aufs Schlachtfeld tritt, dafür aber jeden Cent seines beachtlichen Budgets investiert, um eine aufregende sowie facettenreiche Welt zu kreieren, die nur noch beweisen muss, dass sie auch längerfristig eine eigene Stimme hat.

Wie hat euch die erste Episode der ersten Staffel von Marco Polo gefallen? Und werde ihr die Netflix-Serie weiter im Auge behalten?

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